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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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der Via Montanara, wo der Gemüsemarkt abgehalten wird, nicht weit vom
Tempel der Vesta. hatte sich ein Streit entsponnen zwischen einem Bauerund
einem Gensdarmen; ein Volkshaufen sammelt sich, der Wortwechsel wird
immer heftiger, endlich, nachdem die Kehlen ermüdet sind, gehen die Strei¬
tenden nach verschiedenen Richtungen auseinander. Der Bauer scheint aber
kein Freund des Friedens zu sein. Er küßt den heiligen Isidorus, den Be¬
schützer des Ackerbaues, dessen Amulet er am Halse trägt, nimmt plötzlich einen
Stein und wirst seinen Gegner damit. Der Gensdarm, dem das Wurfgeschoß
vom classischen Boden den Arm gestreift, läuft nicht seinem Gegner, sondern
dem Steine nach, aber was thut er mit dem eorvu8 äelieti? Er wirft den¬
selben Stein nach dem Bauer, der im Laufen sich vorsichtig bückt, als ob er
schon diese Strafe erwartet hätte! Der verwegene Landmann verlacht noch die
ungeschickte Obrigkeit, die sich jetzt nach der Niederlage ruhig aus dem Staube
macht.

Der Römer versteht es nicht, mit einem künstlichen Nimbus sich zu um¬
geben. Er ist zu sehr Naturkind. um dauernd eine Rolle zu spielen und sein
Gesicht in bestimmte ehrerbietige Falten zu legen. Selbst die Priester machen
hier keine fromme Miene oder tragen ihre geistliche Würde zur Schau. Sie
sind keine Frömmler, sie zeigen offen die Schwächen aller anderen Menschen¬
kinder, verkehren in den Kaffeehäusern, rauchen, spielen, reiten spazieren und
sind gegen Damen die aufmerksamsten Cavaliere. In einem Staate, wo der
Kriegsminister zugleich Geistlicher und Prälat ist, muß da nicht diese und jene
Welt in der liebenswürdigsten Weise sich vermischen? Die transscendente Welt
wirft hier keine schwarzen Schatten in das Diesseits und der Faßbinder ge¬
braucht die Cypressenzweige, die Sinnbilder der Wehmuth, zu einfachen Ton¬
nenreifen. Die geistige Gesundheit und Frische ist ein Erbtheil der Römer,
und die frommen Werke, die den Katholiken selig machen, erregen nicht so
viele Skrupel, wie der fromme Glaube. Gespenster, Kobolde und böse Gei¬
ster, wie sie in den Sagen des Nordens so häusig erscheinen, sind hier un¬
bekannt und den Teufel kann sich jeder austreiben lassen.




der Via Montanara, wo der Gemüsemarkt abgehalten wird, nicht weit vom
Tempel der Vesta. hatte sich ein Streit entsponnen zwischen einem Bauerund
einem Gensdarmen; ein Volkshaufen sammelt sich, der Wortwechsel wird
immer heftiger, endlich, nachdem die Kehlen ermüdet sind, gehen die Strei¬
tenden nach verschiedenen Richtungen auseinander. Der Bauer scheint aber
kein Freund des Friedens zu sein. Er küßt den heiligen Isidorus, den Be¬
schützer des Ackerbaues, dessen Amulet er am Halse trägt, nimmt plötzlich einen
Stein und wirst seinen Gegner damit. Der Gensdarm, dem das Wurfgeschoß
vom classischen Boden den Arm gestreift, läuft nicht seinem Gegner, sondern
dem Steine nach, aber was thut er mit dem eorvu8 äelieti? Er wirft den¬
selben Stein nach dem Bauer, der im Laufen sich vorsichtig bückt, als ob er
schon diese Strafe erwartet hätte! Der verwegene Landmann verlacht noch die
ungeschickte Obrigkeit, die sich jetzt nach der Niederlage ruhig aus dem Staube
macht.

Der Römer versteht es nicht, mit einem künstlichen Nimbus sich zu um¬
geben. Er ist zu sehr Naturkind. um dauernd eine Rolle zu spielen und sein
Gesicht in bestimmte ehrerbietige Falten zu legen. Selbst die Priester machen
hier keine fromme Miene oder tragen ihre geistliche Würde zur Schau. Sie
sind keine Frömmler, sie zeigen offen die Schwächen aller anderen Menschen¬
kinder, verkehren in den Kaffeehäusern, rauchen, spielen, reiten spazieren und
sind gegen Damen die aufmerksamsten Cavaliere. In einem Staate, wo der
Kriegsminister zugleich Geistlicher und Prälat ist, muß da nicht diese und jene
Welt in der liebenswürdigsten Weise sich vermischen? Die transscendente Welt
wirft hier keine schwarzen Schatten in das Diesseits und der Faßbinder ge¬
braucht die Cypressenzweige, die Sinnbilder der Wehmuth, zu einfachen Ton¬
nenreifen. Die geistige Gesundheit und Frische ist ein Erbtheil der Römer,
und die frommen Werke, die den Katholiken selig machen, erregen nicht so
viele Skrupel, wie der fromme Glaube. Gespenster, Kobolde und böse Gei¬
ster, wie sie in den Sagen des Nordens so häusig erscheinen, sind hier un¬
bekannt und den Teufel kann sich jeder austreiben lassen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/40>, abgerufen am 28.12.2024.