Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Häusern. Menschen und Läden, während er in Rom zu den Ruinen zu ge¬
hören scheint und wie eine malerische Staffage ihren Neiz erhöht. Ein Klein¬
städter kann aus Paris. London. Wien nach seiner Heimath als Geck zurück¬
kehren, er kann die Sitten und Moden dieser Ton angehenden Städte copiren
wollen, und in seiner äußern Erscheinung sie treu wiedergeben, an Roms
Größe scheitert aber sein Nachahmungstalent. Hier ist noch so viel Ur¬
sprünglichkeit vorhanden, daß wir einen großen Theil unserer anerzogenen
Formen über Bord werfen müssen, wenn wir den Römer copiren wollen.
Erscheint der Römer auch kriechend dem Fremden gegenüber, so ist dies doch
nicht seine wahre Gesinnung, er betrachtet den Fremden nur wie eine Citrone,
die er auspreßt und unbeachtet liegen läßt, wenn er seinen Durst gesättigt.
Jene Lukaiendemuth. welche vor der Aristokratie der Geburt oder des Geldes
sich unwillkürlich beugt, liegt durchaus nicht in seiner Natur, noch wird sie
ihm angelernt; zwischen Herrn und Diener ist das Verhältniß ein ganz hu¬
manes, und selbst in den Gesichtszügen ist den niedern Classen der Stempel
der Unterwürfigkeit nicht ausgedrückt. Rom hat wol eine unterste Classe,
aber keinen Pöbel. Was wir patriarchalische Gefühle nennen, Liebe und
Treue, die durch Geschlechter sich fortpflanzt und die gewöhnlich der alte greise
Diener auf dem Theater repräsentirt, der dem Hause noch mehr anhangt als
der Person, davon weiß der Römer nichts. Für ihn ist das schützende Haus
keine Nothwendigkeit, er ist nicht obdachlos, selbst wenn er kein Obdach hat
und der glückliche Himmelsstrich schenkt ihm so vieles, um was der Nord-
länder erst dienen und kämpfen muß. Der Römer ist der letzte Repräsentant
des Diogenes, des Weisen in der Tonne, und dieser Menschenkenner würde
trotz der mangelhaften Beleuchtung der ewigen Stadt an der Tiber mehr
Menschen finden, als an der Spree, wo nur der gefüllten Tonne die allgemeine
Verehrung gezollt wird. Ja. man kann, ohne paradox zu sein, behaupten,
daß man sich w London, wo die Geister aufeinanderplatzen, nicht so frei
fühlt als in Rom, wo sie geknechtet sind. Das Jagen nach dem Erwerb,
der Luxus, die fieberhafte Concurrenz. die Angstarbeit, diese Errungenschaften
der Cultur, die den Menschen den Genuß so schwer erkaufen lassen, sind dem
einfachen Römer noch unbekannt, er zieht es vor, lieber in der Gegenwart
als in der Zukunft zu genießen, und das Sparen ist ihm in der Seele zu¬
wider.

Nichts Gemachtes, nichts Gekünsteltes, einfach und natürlich ist das Wesen
des Römers, auch bei den Frauen keine Spur von Prüderie, falscher Em¬
pfindsamkeit und Geziertheit. Wie muß da der ewig negirende Berliner zu¬
rückstehen! In Berlin gibt erst der Titel und das Amt dem Menschen ein
Relief, der Staat drückt eben einen Stempel auf. während in Rom selbst der
höchste Würdenträger keine Amtsmiene zeigt und häufig ganz harmlos nur


Häusern. Menschen und Läden, während er in Rom zu den Ruinen zu ge¬
hören scheint und wie eine malerische Staffage ihren Neiz erhöht. Ein Klein¬
städter kann aus Paris. London. Wien nach seiner Heimath als Geck zurück¬
kehren, er kann die Sitten und Moden dieser Ton angehenden Städte copiren
wollen, und in seiner äußern Erscheinung sie treu wiedergeben, an Roms
Größe scheitert aber sein Nachahmungstalent. Hier ist noch so viel Ur¬
sprünglichkeit vorhanden, daß wir einen großen Theil unserer anerzogenen
Formen über Bord werfen müssen, wenn wir den Römer copiren wollen.
Erscheint der Römer auch kriechend dem Fremden gegenüber, so ist dies doch
nicht seine wahre Gesinnung, er betrachtet den Fremden nur wie eine Citrone,
die er auspreßt und unbeachtet liegen läßt, wenn er seinen Durst gesättigt.
Jene Lukaiendemuth. welche vor der Aristokratie der Geburt oder des Geldes
sich unwillkürlich beugt, liegt durchaus nicht in seiner Natur, noch wird sie
ihm angelernt; zwischen Herrn und Diener ist das Verhältniß ein ganz hu¬
manes, und selbst in den Gesichtszügen ist den niedern Classen der Stempel
der Unterwürfigkeit nicht ausgedrückt. Rom hat wol eine unterste Classe,
aber keinen Pöbel. Was wir patriarchalische Gefühle nennen, Liebe und
Treue, die durch Geschlechter sich fortpflanzt und die gewöhnlich der alte greise
Diener auf dem Theater repräsentirt, der dem Hause noch mehr anhangt als
der Person, davon weiß der Römer nichts. Für ihn ist das schützende Haus
keine Nothwendigkeit, er ist nicht obdachlos, selbst wenn er kein Obdach hat
und der glückliche Himmelsstrich schenkt ihm so vieles, um was der Nord-
länder erst dienen und kämpfen muß. Der Römer ist der letzte Repräsentant
des Diogenes, des Weisen in der Tonne, und dieser Menschenkenner würde
trotz der mangelhaften Beleuchtung der ewigen Stadt an der Tiber mehr
Menschen finden, als an der Spree, wo nur der gefüllten Tonne die allgemeine
Verehrung gezollt wird. Ja. man kann, ohne paradox zu sein, behaupten,
daß man sich w London, wo die Geister aufeinanderplatzen, nicht so frei
fühlt als in Rom, wo sie geknechtet sind. Das Jagen nach dem Erwerb,
der Luxus, die fieberhafte Concurrenz. die Angstarbeit, diese Errungenschaften
der Cultur, die den Menschen den Genuß so schwer erkaufen lassen, sind dem
einfachen Römer noch unbekannt, er zieht es vor, lieber in der Gegenwart
als in der Zukunft zu genießen, und das Sparen ist ihm in der Seele zu¬
wider.

Nichts Gemachtes, nichts Gekünsteltes, einfach und natürlich ist das Wesen
des Römers, auch bei den Frauen keine Spur von Prüderie, falscher Em¬
pfindsamkeit und Geziertheit. Wie muß da der ewig negirende Berliner zu¬
rückstehen! In Berlin gibt erst der Titel und das Amt dem Menschen ein
Relief, der Staat drückt eben einen Stempel auf. während in Rom selbst der
höchste Würdenträger keine Amtsmiene zeigt und häufig ganz harmlos nur


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0037" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107623"/>
          <p xml:id="ID_68" prev="#ID_67"> Häusern. Menschen und Läden, während er in Rom zu den Ruinen zu ge¬<lb/>
hören scheint und wie eine malerische Staffage ihren Neiz erhöht.  Ein Klein¬<lb/>
städter kann aus Paris. London. Wien nach seiner Heimath als Geck zurück¬<lb/>
kehren, er kann die Sitten und Moden dieser Ton angehenden Städte copiren<lb/>
wollen, und in seiner äußern Erscheinung sie treu wiedergeben, an Roms<lb/>
Größe scheitert aber sein Nachahmungstalent.  Hier ist noch so viel Ur¬<lb/>
sprünglichkeit vorhanden, daß wir einen großen Theil unserer anerzogenen<lb/>
Formen über Bord werfen müssen, wenn wir den Römer copiren wollen.<lb/>
Erscheint der Römer auch kriechend dem Fremden gegenüber, so ist dies doch<lb/>
nicht seine wahre Gesinnung, er betrachtet den Fremden nur wie eine Citrone,<lb/>
die er auspreßt und unbeachtet liegen läßt, wenn er seinen Durst gesättigt.<lb/>
Jene Lukaiendemuth. welche vor der Aristokratie der Geburt oder des Geldes<lb/>
sich unwillkürlich beugt, liegt durchaus nicht in seiner Natur, noch wird sie<lb/>
ihm angelernt; zwischen Herrn und Diener ist das Verhältniß ein ganz hu¬<lb/>
manes, und selbst in den Gesichtszügen ist den niedern Classen der Stempel<lb/>
der Unterwürfigkeit nicht ausgedrückt.  Rom hat wol eine unterste Classe,<lb/>
aber keinen Pöbel.  Was wir patriarchalische Gefühle nennen, Liebe und<lb/>
Treue, die durch Geschlechter sich fortpflanzt und die gewöhnlich der alte greise<lb/>
Diener auf dem Theater repräsentirt, der dem Hause noch mehr anhangt als<lb/>
der Person, davon weiß der Römer nichts.  Für ihn ist das schützende Haus<lb/>
keine Nothwendigkeit, er ist nicht obdachlos, selbst wenn er kein Obdach hat<lb/>
und der glückliche Himmelsstrich schenkt ihm so vieles, um was der Nord-<lb/>
länder erst dienen und kämpfen muß. Der Römer ist der letzte Repräsentant<lb/>
des Diogenes, des Weisen in der Tonne, und dieser Menschenkenner würde<lb/>
trotz der mangelhaften Beleuchtung der ewigen Stadt an der Tiber mehr<lb/>
Menschen finden, als an der Spree, wo nur der gefüllten Tonne die allgemeine<lb/>
Verehrung gezollt wird.  Ja. man kann, ohne paradox zu sein, behaupten,<lb/>
daß man sich w London, wo die Geister aufeinanderplatzen, nicht so frei<lb/>
fühlt als in Rom, wo sie geknechtet sind.  Das Jagen nach dem Erwerb,<lb/>
der Luxus, die fieberhafte Concurrenz. die Angstarbeit, diese Errungenschaften<lb/>
der Cultur, die den Menschen den Genuß so schwer erkaufen lassen, sind dem<lb/>
einfachen Römer noch unbekannt, er zieht es vor, lieber in der Gegenwart<lb/>
als in der Zukunft zu genießen, und das Sparen ist ihm in der Seele zu¬<lb/>
wider.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_69" next="#ID_70"> Nichts Gemachtes, nichts Gekünsteltes, einfach und natürlich ist das Wesen<lb/>
des Römers, auch bei den Frauen keine Spur von Prüderie, falscher Em¬<lb/>
pfindsamkeit und Geziertheit. Wie muß da der ewig negirende Berliner zu¬<lb/>
rückstehen! In Berlin gibt erst der Titel und das Amt dem Menschen ein<lb/>
Relief, der Staat drückt eben einen Stempel auf. während in Rom selbst der<lb/>
höchste Würdenträger keine Amtsmiene zeigt und häufig ganz harmlos nur</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0037] Häusern. Menschen und Läden, während er in Rom zu den Ruinen zu ge¬ hören scheint und wie eine malerische Staffage ihren Neiz erhöht. Ein Klein¬ städter kann aus Paris. London. Wien nach seiner Heimath als Geck zurück¬ kehren, er kann die Sitten und Moden dieser Ton angehenden Städte copiren wollen, und in seiner äußern Erscheinung sie treu wiedergeben, an Roms Größe scheitert aber sein Nachahmungstalent. Hier ist noch so viel Ur¬ sprünglichkeit vorhanden, daß wir einen großen Theil unserer anerzogenen Formen über Bord werfen müssen, wenn wir den Römer copiren wollen. Erscheint der Römer auch kriechend dem Fremden gegenüber, so ist dies doch nicht seine wahre Gesinnung, er betrachtet den Fremden nur wie eine Citrone, die er auspreßt und unbeachtet liegen läßt, wenn er seinen Durst gesättigt. Jene Lukaiendemuth. welche vor der Aristokratie der Geburt oder des Geldes sich unwillkürlich beugt, liegt durchaus nicht in seiner Natur, noch wird sie ihm angelernt; zwischen Herrn und Diener ist das Verhältniß ein ganz hu¬ manes, und selbst in den Gesichtszügen ist den niedern Classen der Stempel der Unterwürfigkeit nicht ausgedrückt. Rom hat wol eine unterste Classe, aber keinen Pöbel. Was wir patriarchalische Gefühle nennen, Liebe und Treue, die durch Geschlechter sich fortpflanzt und die gewöhnlich der alte greise Diener auf dem Theater repräsentirt, der dem Hause noch mehr anhangt als der Person, davon weiß der Römer nichts. Für ihn ist das schützende Haus keine Nothwendigkeit, er ist nicht obdachlos, selbst wenn er kein Obdach hat und der glückliche Himmelsstrich schenkt ihm so vieles, um was der Nord- länder erst dienen und kämpfen muß. Der Römer ist der letzte Repräsentant des Diogenes, des Weisen in der Tonne, und dieser Menschenkenner würde trotz der mangelhaften Beleuchtung der ewigen Stadt an der Tiber mehr Menschen finden, als an der Spree, wo nur der gefüllten Tonne die allgemeine Verehrung gezollt wird. Ja. man kann, ohne paradox zu sein, behaupten, daß man sich w London, wo die Geister aufeinanderplatzen, nicht so frei fühlt als in Rom, wo sie geknechtet sind. Das Jagen nach dem Erwerb, der Luxus, die fieberhafte Concurrenz. die Angstarbeit, diese Errungenschaften der Cultur, die den Menschen den Genuß so schwer erkaufen lassen, sind dem einfachen Römer noch unbekannt, er zieht es vor, lieber in der Gegenwart als in der Zukunft zu genießen, und das Sparen ist ihm in der Seele zu¬ wider. Nichts Gemachtes, nichts Gekünsteltes, einfach und natürlich ist das Wesen des Römers, auch bei den Frauen keine Spur von Prüderie, falscher Em¬ pfindsamkeit und Geziertheit. Wie muß da der ewig negirende Berliner zu¬ rückstehen! In Berlin gibt erst der Titel und das Amt dem Menschen ein Relief, der Staat drückt eben einen Stempel auf. während in Rom selbst der höchste Würdenträger keine Amtsmiene zeigt und häufig ganz harmlos nur

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/37
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/37>, abgerufen am 28.12.2024.