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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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blonde Peißen herabhingen, und ein dicker Schwarzbart aus Brody waren
besonders redselig, aber leider verstand ich ihr Hebräisch-Deutsch nur halb.
Wir erfuhren, daß hier "Molen Kodesch", heiliger Grund sei, daß der Tem¬
pel nicht lange mehr Ruine bleiben werde, daß in ungefähr dreihundert Jah-
der Meschiach kommen und die Herrlichkeit Jeruschalajims wieder aufrichten
und alle Gojim zum Judenthum bekehren werde Alle großen Herren
von Chuzeleorez (Ausland, NichtPalästina), selbst der Kaiser in Wien und
die Königin von England sollen Juden werden. Ich fragte, wie aber.
Kenn einer und der andere nicht wollte? Ob sie ihn dann mit Gewalt dazu
b"ngen würden? Nein, antworteten sie. ein solcher Fall könnte gar nicht ein¬
treten; denn der Geist Gottes würde alle erfüllen. Ich erkundigte mich, was
sie von Jesus hielten, ob er ein Prophet gewesen. Sie erwiderten, ja, aber
"n falscher; denn er hätte alle Gebote übertreten. Welche zum Beispiel,
^agte ich. Sie besannen sich und wußten dann nur vorzubringen, daß er
den Sabbath nicht gehalten.

Von den verschiedenen alten Wasserbehältern innerhalb der Stadtmauer
ist zunächst der sogenannte Hiskiasteich zu erwähnen, der, rings von hohen
Häusern umgeben, etwa 250 Fuß lang und 150 Fuß breit, nicht fern vom
Eiligen Grabe hinter der Christengasse liegt. Er soll im Sommer austrocknen.
ich ihn von der Terrasse der Wohnung des Bischofs sah, hatte er noch
Mindestens sechs Fuß Wasser. Ein anderes vielgenanntes altes Becken der
Art ist der Teich Bethesda. Er befindet sich in der Nahe des Stephansthores
"n der Nordmauer des Tempelplatzes. Seine Länge beträgt ungefähr 350,
seine Breite 120 Fuß. Wie tief er ursprünglich gewesen, ist nicht zu sagen,
d" von der Nordseite herab Schutt in ihn gerollt ist. welcher mit Gebüsch
und Unkraut überwachsen einen großen Theil des Bodens bedeckt. Als ich
besuchte, standen nur einige Regenpfützen darin. Das Ganze hat mehr
Aehnlichkeit mit einem Festungsgraben, als mit einem Teich. Ob es wirklich
der Bethesda ist, muß dahingestellt bleiben. Robinson fand diesen bekannt¬
lich in der im Kidronthal gelegenen Marienquelle.

Außerhalb der Stadt, namentlich im Kidronthal und auf dem Oelberg
wiederholt sich die Häufung von Legendenorten, die innerhalb der Mauern
den frommen Pilger in fortwährender Rührung erhalt. Man weiß nicht nur,
K° Jesus gen Himmel gefahren, sondern auch, wo er das Vaterunser ge¬
lehrt, wo er über Jerusalem geweint, ja sogar, wo die Apostel das Credo
Erfaßten. Tritt man aus dem Stephansthor, um in das genannte Thal
hinabzusteigen, so trifft man links vom Wege einen kleinen Teich, in dem sich
Jungfrau Maria zu baden pflegte. Einige Schritte davon rst der Platz,
Man den h. Stephanus steinigte, wieder ein Stück weiter em Stein. auf
Maria der Hinrichtung zusah, ganz unten endlich aus der Sohle des


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blonde Peißen herabhingen, und ein dicker Schwarzbart aus Brody waren
besonders redselig, aber leider verstand ich ihr Hebräisch-Deutsch nur halb.
Wir erfuhren, daß hier „Molen Kodesch", heiliger Grund sei, daß der Tem¬
pel nicht lange mehr Ruine bleiben werde, daß in ungefähr dreihundert Jah-
der Meschiach kommen und die Herrlichkeit Jeruschalajims wieder aufrichten
und alle Gojim zum Judenthum bekehren werde Alle großen Herren
von Chuzeleorez (Ausland, NichtPalästina), selbst der Kaiser in Wien und
die Königin von England sollen Juden werden. Ich fragte, wie aber.
Kenn einer und der andere nicht wollte? Ob sie ihn dann mit Gewalt dazu
b"ngen würden? Nein, antworteten sie. ein solcher Fall könnte gar nicht ein¬
treten; denn der Geist Gottes würde alle erfüllen. Ich erkundigte mich, was
sie von Jesus hielten, ob er ein Prophet gewesen. Sie erwiderten, ja, aber
"n falscher; denn er hätte alle Gebote übertreten. Welche zum Beispiel,
^agte ich. Sie besannen sich und wußten dann nur vorzubringen, daß er
den Sabbath nicht gehalten.

Von den verschiedenen alten Wasserbehältern innerhalb der Stadtmauer
ist zunächst der sogenannte Hiskiasteich zu erwähnen, der, rings von hohen
Häusern umgeben, etwa 250 Fuß lang und 150 Fuß breit, nicht fern vom
Eiligen Grabe hinter der Christengasse liegt. Er soll im Sommer austrocknen.
ich ihn von der Terrasse der Wohnung des Bischofs sah, hatte er noch
Mindestens sechs Fuß Wasser. Ein anderes vielgenanntes altes Becken der
Art ist der Teich Bethesda. Er befindet sich in der Nahe des Stephansthores
"n der Nordmauer des Tempelplatzes. Seine Länge beträgt ungefähr 350,
seine Breite 120 Fuß. Wie tief er ursprünglich gewesen, ist nicht zu sagen,
d« von der Nordseite herab Schutt in ihn gerollt ist. welcher mit Gebüsch
und Unkraut überwachsen einen großen Theil des Bodens bedeckt. Als ich
besuchte, standen nur einige Regenpfützen darin. Das Ganze hat mehr
Aehnlichkeit mit einem Festungsgraben, als mit einem Teich. Ob es wirklich
der Bethesda ist, muß dahingestellt bleiben. Robinson fand diesen bekannt¬
lich in der im Kidronthal gelegenen Marienquelle.

Außerhalb der Stadt, namentlich im Kidronthal und auf dem Oelberg
wiederholt sich die Häufung von Legendenorten, die innerhalb der Mauern
den frommen Pilger in fortwährender Rührung erhalt. Man weiß nicht nur,
K° Jesus gen Himmel gefahren, sondern auch, wo er das Vaterunser ge¬
lehrt, wo er über Jerusalem geweint, ja sogar, wo die Apostel das Credo
Erfaßten. Tritt man aus dem Stephansthor, um in das genannte Thal
hinabzusteigen, so trifft man links vom Wege einen kleinen Teich, in dem sich
Jungfrau Maria zu baden pflegte. Einige Schritte davon rst der Platz,
Man den h. Stephanus steinigte, wieder ein Stück weiter em Stein. auf
Maria der Hinrichtung zusah, ganz unten endlich aus der Sohle des


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[0313] blonde Peißen herabhingen, und ein dicker Schwarzbart aus Brody waren besonders redselig, aber leider verstand ich ihr Hebräisch-Deutsch nur halb. Wir erfuhren, daß hier „Molen Kodesch", heiliger Grund sei, daß der Tem¬ pel nicht lange mehr Ruine bleiben werde, daß in ungefähr dreihundert Jah- der Meschiach kommen und die Herrlichkeit Jeruschalajims wieder aufrichten und alle Gojim zum Judenthum bekehren werde Alle großen Herren von Chuzeleorez (Ausland, NichtPalästina), selbst der Kaiser in Wien und die Königin von England sollen Juden werden. Ich fragte, wie aber. Kenn einer und der andere nicht wollte? Ob sie ihn dann mit Gewalt dazu b"ngen würden? Nein, antworteten sie. ein solcher Fall könnte gar nicht ein¬ treten; denn der Geist Gottes würde alle erfüllen. Ich erkundigte mich, was sie von Jesus hielten, ob er ein Prophet gewesen. Sie erwiderten, ja, aber "n falscher; denn er hätte alle Gebote übertreten. Welche zum Beispiel, ^agte ich. Sie besannen sich und wußten dann nur vorzubringen, daß er den Sabbath nicht gehalten. Von den verschiedenen alten Wasserbehältern innerhalb der Stadtmauer ist zunächst der sogenannte Hiskiasteich zu erwähnen, der, rings von hohen Häusern umgeben, etwa 250 Fuß lang und 150 Fuß breit, nicht fern vom Eiligen Grabe hinter der Christengasse liegt. Er soll im Sommer austrocknen. ich ihn von der Terrasse der Wohnung des Bischofs sah, hatte er noch Mindestens sechs Fuß Wasser. Ein anderes vielgenanntes altes Becken der Art ist der Teich Bethesda. Er befindet sich in der Nahe des Stephansthores "n der Nordmauer des Tempelplatzes. Seine Länge beträgt ungefähr 350, seine Breite 120 Fuß. Wie tief er ursprünglich gewesen, ist nicht zu sagen, d« von der Nordseite herab Schutt in ihn gerollt ist. welcher mit Gebüsch und Unkraut überwachsen einen großen Theil des Bodens bedeckt. Als ich besuchte, standen nur einige Regenpfützen darin. Das Ganze hat mehr Aehnlichkeit mit einem Festungsgraben, als mit einem Teich. Ob es wirklich der Bethesda ist, muß dahingestellt bleiben. Robinson fand diesen bekannt¬ lich in der im Kidronthal gelegenen Marienquelle. Außerhalb der Stadt, namentlich im Kidronthal und auf dem Oelberg wiederholt sich die Häufung von Legendenorten, die innerhalb der Mauern den frommen Pilger in fortwährender Rührung erhalt. Man weiß nicht nur, K° Jesus gen Himmel gefahren, sondern auch, wo er das Vaterunser ge¬ lehrt, wo er über Jerusalem geweint, ja sogar, wo die Apostel das Credo Erfaßten. Tritt man aus dem Stephansthor, um in das genannte Thal hinabzusteigen, so trifft man links vom Wege einen kleinen Teich, in dem sich Jungfrau Maria zu baden pflegte. Einige Schritte davon rst der Platz, Man den h. Stephanus steinigte, wieder ein Stück weiter em Stein. auf Maria der Hinrichtung zusah, ganz unten endlich aus der Sohle des 38*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/313>, abgerufen am 29.12.2024.