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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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gers empfindet er nicht. Er war gewohnt, sein Heil im Gewissen zu suchen,
nicht in einer Magie, die an Aeußerlichkeiten haftet. Er fragte, ob das heilige
Land noch jetzt von einem besonders heiligen Geschlecht bewohnt sei, und er¬
fuhr das Gegentheil. Er erkundigte sich, ob die Andenken an die große Ver¬
gangenheit hier echt sind, und die Kritik erklärte so viele davon für sinnlose
Erfindung, daß er auch an die übrigen nur halb glauben kann. So kommt
er mit sehenden Augen ins Land und sieht die Wahrheit, und die Wahrheit
Macht zwar immer frei, aber nicht immer glücklich.

Der Moslem sagt: der heiligste Theil der Welt ist Syrien, der heiligste
Theil von Syrien Palästina, der heiligste Ort von Palästina El Koth (Jeru¬
salem), die heiligste Stätte der heiligen Stadt der Berg (Moriah), die heiligste
Stelle des Berges die Moschee (Omars), der heiligste Punkt der Moschee die
Kapelle (in welcher ein vom Himmel gefallener Stein liegt, auf dem alle
Propheten gebetet haben, und unter dem der Sage nach die Bundeslade
sieht), und im Thale Josaphat wird Mohammed dereinst die Welt richten.

Der Talmudjude preist das Land seiner Büder in noch überschwänglicheren
Sprüchen. Nach ihm blieben von den zehn Maß Weisheit, die aus die Erde
ausgeschüttet wurden, neun im gelobten Lande zurück. Wenn einer hier be¬
gaben wird, so ist es gleich, als wäre er unter dem Altar begraben.' Wer
nur vier Ellen weit in Palästina reist, dem wird "Anton Habo", ewiges Leben
SU Theil. Nur wer hier wohnt, ist als ein solcher einzusehn, der den wahren
Gott hat. Er lebt ohne Sünde, und sein Gebet geht geradewegs zum
Himmel.

Die katholische Kirche begnügt sich, allen, welche das heilige Land betreten,
vollkommenen Ablaß in Aussicht zu stellen. Gewisse Protestanten erwarten
wenigstens, daß Christus hier wieder erscheinen wird, und nennen darum
Jerusalem eine "Stadt der höchsten Berufung". Der kühlere Heide ist diesen
Illusionen fern. Ihm erscheint ein großer Theil dessen, was jene erbaut, als
°>n sehr wenig erbaulicher Spuk mittelalterlicher Romantik. Er sieht in dem
gelobten Land nur einen unter den ausgebrannten Vulkanen der Weltgeschichte,
vielleicht den größten, in den jährlichen Osterwallfahrten dahin nichts Besseres
uis in den Karnvanenzügen der Moslemin nach Mekka, vielleicht Schlim¬
meres. Es wird gut sein, den vielen Wallfahrtsbeschreibungen. deren Ver¬
fasser sich das Land und seine Leute durch die romantische Brille frommer Em¬
pfindsamkeit besahen, wieder einmal eine Schilderung an die Seite zu stellen,
welche den Gegenstand malt, wie er wirklich ist.




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gers empfindet er nicht. Er war gewohnt, sein Heil im Gewissen zu suchen,
nicht in einer Magie, die an Aeußerlichkeiten haftet. Er fragte, ob das heilige
Land noch jetzt von einem besonders heiligen Geschlecht bewohnt sei, und er¬
fuhr das Gegentheil. Er erkundigte sich, ob die Andenken an die große Ver¬
gangenheit hier echt sind, und die Kritik erklärte so viele davon für sinnlose
Erfindung, daß er auch an die übrigen nur halb glauben kann. So kommt
er mit sehenden Augen ins Land und sieht die Wahrheit, und die Wahrheit
Macht zwar immer frei, aber nicht immer glücklich.

Der Moslem sagt: der heiligste Theil der Welt ist Syrien, der heiligste
Theil von Syrien Palästina, der heiligste Ort von Palästina El Koth (Jeru¬
salem), die heiligste Stätte der heiligen Stadt der Berg (Moriah), die heiligste
Stelle des Berges die Moschee (Omars), der heiligste Punkt der Moschee die
Kapelle (in welcher ein vom Himmel gefallener Stein liegt, auf dem alle
Propheten gebetet haben, und unter dem der Sage nach die Bundeslade
sieht), und im Thale Josaphat wird Mohammed dereinst die Welt richten.

Der Talmudjude preist das Land seiner Büder in noch überschwänglicheren
Sprüchen. Nach ihm blieben von den zehn Maß Weisheit, die aus die Erde
ausgeschüttet wurden, neun im gelobten Lande zurück. Wenn einer hier be¬
gaben wird, so ist es gleich, als wäre er unter dem Altar begraben.' Wer
nur vier Ellen weit in Palästina reist, dem wird „Anton Habo", ewiges Leben
SU Theil. Nur wer hier wohnt, ist als ein solcher einzusehn, der den wahren
Gott hat. Er lebt ohne Sünde, und sein Gebet geht geradewegs zum
Himmel.

Die katholische Kirche begnügt sich, allen, welche das heilige Land betreten,
vollkommenen Ablaß in Aussicht zu stellen. Gewisse Protestanten erwarten
wenigstens, daß Christus hier wieder erscheinen wird, und nennen darum
Jerusalem eine „Stadt der höchsten Berufung". Der kühlere Heide ist diesen
Illusionen fern. Ihm erscheint ein großer Theil dessen, was jene erbaut, als
°>n sehr wenig erbaulicher Spuk mittelalterlicher Romantik. Er sieht in dem
gelobten Land nur einen unter den ausgebrannten Vulkanen der Weltgeschichte,
vielleicht den größten, in den jährlichen Osterwallfahrten dahin nichts Besseres
uis in den Karnvanenzügen der Moslemin nach Mekka, vielleicht Schlim¬
meres. Es wird gut sein, den vielen Wallfahrtsbeschreibungen. deren Ver¬
fasser sich das Land und seine Leute durch die romantische Brille frommer Em¬
pfindsamkeit besahen, wieder einmal eine Schilderung an die Seite zu stellen,
welche den Gegenstand malt, wie er wirklich ist.




Grenzboten III. 1SS9.28
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/231>, abgerufen am 22.07.2024.