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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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zeigte er sich anfangs auch gegen Beleidigungen seiner Person, gegen Pas¬
quille und Spottgedichte gleichgiltig. in einem freien Staate müsse Geist und
Zunge frei sein. Der zudringlichen Servilität des Senats, der Bestrafung sol¬
cher Verbrechen forderte, begegnete er mit derselben scheinbaren kalten Ruhe. "Wir
haben nicht so viel Zeit übrig, lautete seine Antwort, daß wir uns noch in
mehr Geschäfte einlassen sollten. Wenn ihr diese Thür öffnen werdet, werdet
ihr bewirken, daß nichts Anderes zur Verhandlung gelangen wird; denn alle
Privatfeindschaften werden unter diesem Vorwande an uns gebracht werden."
Feindselige Aeußerungen gegen seine Person wollte er höchstens damit vergel¬
ten, so ungerechte Beurtheiler zu hassen. Nach und nach, sagt Sueton, kehrte
er den Fürsten heraus. Zur Wiedereinführung des Majestätsgesetzes sollen
ihn nach Tacitus anonyme Spottverse bewogen haben, in denen damals wie
zu allen Zeiten im alten und neuen Rom die unterdrückte Redefreiheit sich
Luft machte; auch im Alterthum war es Sitte, sie an Statuen zu heften. Sue¬
ton hat einige derselben aufbewahrt. Mit Bezug auf sein gespanntes Ver¬
hältniß mit Livia heißt es darin, seine eigne Mutter könne ihn nicht lieben,
er dürste so nach Blut wie früher nach Wein (er war ein großer Trinker ge¬
wesen), und mit Anspielung auf sein freiwilliges Exil aufNhodus: Wer aus
der Verbannung auf den Thron gelangt, wird eine blutige Herrschaft führen
ein Satz, zu dessen Bestätigung die Geschichte Beispiele genug bietet. Auf
die Anfrage eines Prätors, ob Majestätsprocesse Statt haben sollten, antwor¬
tete Tiber nach seiner Weise: man müsse die Gesetze handhaben. Die ersten
Klagen, gleichsam ein einleitendes Vorspiel der beginnenden Verfolgungen, waren
im zweiten Regierungsjahr gegen zwei unbedeutende Ritter gerichtet. Der
eine hatte in eine religiöse Gesellschaft zur Verehrung Augusts (deren sich so¬
gleich nach dessen Aufnahme unter die Götter in allen größern Häusern Roms
gebildet hatten) einen wegen Unzucht berüchtigten Schauspieler aufgenommen,
und beim Verkauf eines Gartens eine darin befindliche Statue Augusts mit
losgeschlagen. Der andere hatte bei August falsch geschworen. Vermuthlich
waren sowol die Anklagepunkte als die Personen der Angeklagten in bestimm¬
ter Absicht gewählt, die erstern, um die Grenze zu ermitteln, bis zu welcher Tiber die
Ausdehnung der Verfolgungen gestatten würde; waren dies Majestätsverbrechen,
so gab es nicht leicht etwas, was nicht dazu gestempelt werden konnte. DiePersonen
hatte man sich ersehn, weil ihre geringe Bedeutung den Versuch gefahrlos
machte. In der That wurden beide freigesprochen. Tiberius schrieb an die
Consuln, die Aufnahme seines Vaters unter die Götter solle nicht zum Verderben
der Bürger ausschlagen. Daß sein Bild gleich denen andrer Gottheiten bei
dem Verkauf von Gärten und Häusern mit verkauft werde, sei keine Verletzung
heiliger Gebräuche. Ein Meineid bei August solle nicht anders behandelt
werden, als ein Meineid bei Jupiter. Beleidigungen der Götter solle man


zeigte er sich anfangs auch gegen Beleidigungen seiner Person, gegen Pas¬
quille und Spottgedichte gleichgiltig. in einem freien Staate müsse Geist und
Zunge frei sein. Der zudringlichen Servilität des Senats, der Bestrafung sol¬
cher Verbrechen forderte, begegnete er mit derselben scheinbaren kalten Ruhe. „Wir
haben nicht so viel Zeit übrig, lautete seine Antwort, daß wir uns noch in
mehr Geschäfte einlassen sollten. Wenn ihr diese Thür öffnen werdet, werdet
ihr bewirken, daß nichts Anderes zur Verhandlung gelangen wird; denn alle
Privatfeindschaften werden unter diesem Vorwande an uns gebracht werden."
Feindselige Aeußerungen gegen seine Person wollte er höchstens damit vergel¬
ten, so ungerechte Beurtheiler zu hassen. Nach und nach, sagt Sueton, kehrte
er den Fürsten heraus. Zur Wiedereinführung des Majestätsgesetzes sollen
ihn nach Tacitus anonyme Spottverse bewogen haben, in denen damals wie
zu allen Zeiten im alten und neuen Rom die unterdrückte Redefreiheit sich
Luft machte; auch im Alterthum war es Sitte, sie an Statuen zu heften. Sue¬
ton hat einige derselben aufbewahrt. Mit Bezug auf sein gespanntes Ver¬
hältniß mit Livia heißt es darin, seine eigne Mutter könne ihn nicht lieben,
er dürste so nach Blut wie früher nach Wein (er war ein großer Trinker ge¬
wesen), und mit Anspielung auf sein freiwilliges Exil aufNhodus: Wer aus
der Verbannung auf den Thron gelangt, wird eine blutige Herrschaft führen
ein Satz, zu dessen Bestätigung die Geschichte Beispiele genug bietet. Auf
die Anfrage eines Prätors, ob Majestätsprocesse Statt haben sollten, antwor¬
tete Tiber nach seiner Weise: man müsse die Gesetze handhaben. Die ersten
Klagen, gleichsam ein einleitendes Vorspiel der beginnenden Verfolgungen, waren
im zweiten Regierungsjahr gegen zwei unbedeutende Ritter gerichtet. Der
eine hatte in eine religiöse Gesellschaft zur Verehrung Augusts (deren sich so¬
gleich nach dessen Aufnahme unter die Götter in allen größern Häusern Roms
gebildet hatten) einen wegen Unzucht berüchtigten Schauspieler aufgenommen,
und beim Verkauf eines Gartens eine darin befindliche Statue Augusts mit
losgeschlagen. Der andere hatte bei August falsch geschworen. Vermuthlich
waren sowol die Anklagepunkte als die Personen der Angeklagten in bestimm¬
ter Absicht gewählt, die erstern, um die Grenze zu ermitteln, bis zu welcher Tiber die
Ausdehnung der Verfolgungen gestatten würde; waren dies Majestätsverbrechen,
so gab es nicht leicht etwas, was nicht dazu gestempelt werden konnte. DiePersonen
hatte man sich ersehn, weil ihre geringe Bedeutung den Versuch gefahrlos
machte. In der That wurden beide freigesprochen. Tiberius schrieb an die
Consuln, die Aufnahme seines Vaters unter die Götter solle nicht zum Verderben
der Bürger ausschlagen. Daß sein Bild gleich denen andrer Gottheiten bei
dem Verkauf von Gärten und Häusern mit verkauft werde, sei keine Verletzung
heiliger Gebräuche. Ein Meineid bei August solle nicht anders behandelt
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/19>, abgerufen am 28.12.2024.