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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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nutzen, um sich auf seinen richtigen diplomatischen Standpunkt, in das richtige
Verhältniß zu seinen natürlichen Bundesgenossen, namentlich zu Preußen und
damit zu ganz Deutschland zurückzubringen, welches richtige Verhältniß es
durch sein Ultimatum an Sardinien und sein einseitiges Vorgehn verloren hatte.

Aber Napoleon der Dritte, bisher immer Sieger? Warum schließt er den
Waffenstillstand? Warum geht er darauf ein?

Um einen zweiten Versuch zu machen, Oestreich zu isoliren, aber noch
kräftiger zu isoliren als bisher; um damit zugleich den Vorwand und die Er¬
laubniß zu einem rücksichtsloseren Auftreten in Italien zu erhalten, falls der
Versuch gelingt, um für den andern Fall, daß er nicht gelingt, die Zeit zur
Vorbereitung des Krieges auf einem weiteren Kriegsschauplatz zu gewinnen
und sie seinem natürlichen Bundesgenossen, Rußland zu verschaffen.

Wir glauben daher, daß bei den zu erwartenden Unterhandlungen Na¬
poleon äußerst mäßig, von seinem Standpunkt aus, auftreten wird. Aber
was heißt sür ihn Mäßigkeit? Er hat erklärt: er wolle Italien frei machen
bis zum adriatischen Meere. Begnüge er sich jetzt mit der Minciolinie für
Piemont, so ist das eine ungemeine Concession. Er wird vorschlagen, daß
sowol in der Lombardei, als in Toscana, als in Parma, Modena und viel¬
leicht in den Legationen eine Volksabstimmung über die künftige Regierungs-
form unter dem Schutze der französischen und piemontesischen Waffen stattfinde.
.I'^rranZerai Wut xs,r lo 8ut7i'a.gs univei-ssl, hat er längst gesagt.

Oestreich wird keinenfalls dem zustimmen; aber bei England ist es nicht
unwahrscheinlich, bei Preußen ist es unwahrscheinlich, aber -- nicht unmög¬
lich. Tritt nun diese Combination ein, so ist Oestreich neuerdings isolirt.
Dann aber müssen die natürlichen Verbündeten, welche sich von Oestreich
neuerdings zurückziehen, es neuerdings isoliren lassen. Napoleon auch gestat¬
ten, daß er Oestreich auf deutsches Bundesgebiet folge, und daß er das
System des Suffrage universel in Italien im größesten Maßstabe anwende.
Der Vortheil der einen wie der andern Erlaubniß für Napoleon liegt auf
der Hand. Was die letztere betrifft, so denke man nur an die Schwierig
leiten, die sich Napoleon durch sein Versprechen, den Papst schonen zu wollen"
bereitet hat, und die grell in dem Contraste hervortreten, daß auf der einen
Seite Victor Emanuel in den Legationen, dem Gebiet, welches für eine wirk¬
same Kriegführung am untern Po den Verbündeten unentbehrlich werden
kann, das Protectorat über die aufgestandenen Städte übernimmt, daß aus
der andern Seite mit hoher obrigkeitlicher Bewilligung des Comte de GoyoN
die päpstlichen Soldtruppen Perugia zur päpstlichen Ruhe bringen.

Glückt aber die Combination nicht, so muß Deutschland, mit Preußen
an der Spitze, den Krieg am Rhein beginnen. Und auf diesen ist Napoleon
noch nicht vorbereitet, was auch die Leute erzählen mögen. Selbst um die


nutzen, um sich auf seinen richtigen diplomatischen Standpunkt, in das richtige
Verhältniß zu seinen natürlichen Bundesgenossen, namentlich zu Preußen und
damit zu ganz Deutschland zurückzubringen, welches richtige Verhältniß es
durch sein Ultimatum an Sardinien und sein einseitiges Vorgehn verloren hatte.

Aber Napoleon der Dritte, bisher immer Sieger? Warum schließt er den
Waffenstillstand? Warum geht er darauf ein?

Um einen zweiten Versuch zu machen, Oestreich zu isoliren, aber noch
kräftiger zu isoliren als bisher; um damit zugleich den Vorwand und die Er¬
laubniß zu einem rücksichtsloseren Auftreten in Italien zu erhalten, falls der
Versuch gelingt, um für den andern Fall, daß er nicht gelingt, die Zeit zur
Vorbereitung des Krieges auf einem weiteren Kriegsschauplatz zu gewinnen
und sie seinem natürlichen Bundesgenossen, Rußland zu verschaffen.

Wir glauben daher, daß bei den zu erwartenden Unterhandlungen Na¬
poleon äußerst mäßig, von seinem Standpunkt aus, auftreten wird. Aber
was heißt sür ihn Mäßigkeit? Er hat erklärt: er wolle Italien frei machen
bis zum adriatischen Meere. Begnüge er sich jetzt mit der Minciolinie für
Piemont, so ist das eine ungemeine Concession. Er wird vorschlagen, daß
sowol in der Lombardei, als in Toscana, als in Parma, Modena und viel¬
leicht in den Legationen eine Volksabstimmung über die künftige Regierungs-
form unter dem Schutze der französischen und piemontesischen Waffen stattfinde.
.I'^rranZerai Wut xs,r lo 8ut7i'a.gs univei-ssl, hat er längst gesagt.

Oestreich wird keinenfalls dem zustimmen; aber bei England ist es nicht
unwahrscheinlich, bei Preußen ist es unwahrscheinlich, aber — nicht unmög¬
lich. Tritt nun diese Combination ein, so ist Oestreich neuerdings isolirt.
Dann aber müssen die natürlichen Verbündeten, welche sich von Oestreich
neuerdings zurückziehen, es neuerdings isoliren lassen. Napoleon auch gestat¬
ten, daß er Oestreich auf deutsches Bundesgebiet folge, und daß er das
System des Suffrage universel in Italien im größesten Maßstabe anwende.
Der Vortheil der einen wie der andern Erlaubniß für Napoleon liegt auf
der Hand. Was die letztere betrifft, so denke man nur an die Schwierig
leiten, die sich Napoleon durch sein Versprechen, den Papst schonen zu wollen«
bereitet hat, und die grell in dem Contraste hervortreten, daß auf der einen
Seite Victor Emanuel in den Legationen, dem Gebiet, welches für eine wirk¬
same Kriegführung am untern Po den Verbündeten unentbehrlich werden
kann, das Protectorat über die aufgestandenen Städte übernimmt, daß aus
der andern Seite mit hoher obrigkeitlicher Bewilligung des Comte de GoyoN
die päpstlichen Soldtruppen Perugia zur päpstlichen Ruhe bringen.

Glückt aber die Combination nicht, so muß Deutschland, mit Preußen
an der Spitze, den Krieg am Rhein beginnen. Und auf diesen ist Napoleon
noch nicht vorbereitet, was auch die Leute erzählen mögen. Selbst um die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/132>, abgerufen am 22.07.2024.