Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.Das Thal der zwickauer Mulde hat zwar mancherlei Schönheiten, das Anders stellt sich die Frage für den Reisenden, der mehr, nach den Leuten, ") Der Titel ist "Lebensbilder vom Sächsischen Erzgebirge von Berthold
Sigismund. Leipzig, Verlag von Karl B, Lorck 1859." Das Werkchen zählt zu dem Beste", was wir seit Jahren auf diesem Gebiet gelesen haben. Das Thal der zwickauer Mulde hat zwar mancherlei Schönheiten, das Anders stellt sich die Frage für den Reisenden, der mehr, nach den Leuten, ") Der Titel ist „Lebensbilder vom Sächsischen Erzgebirge von Berthold
Sigismund. Leipzig, Verlag von Karl B, Lorck 1859." Das Werkchen zählt zu dem Beste", was wir seit Jahren auf diesem Gebiet gelesen haben. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0112" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107698"/> <p xml:id="ID_342"> Das Thal der zwickauer Mulde hat zwar mancherlei Schönheiten, das<lb/> der Zschopau namentlich in seinem untern Theile mehre ungemein romantische<lb/> Punkte. Außerordentlich anmuthig ist die Umgebung von Olbernhan mit ihrem<lb/> Wechsel düsterer Nadelwälder und hellgrüner Bucheuhcnne. Nirgend aber be¬<lb/> gegnet das Auge so wirksamen Bildungen und Farbe», wie im thüringer<lb/> Wald oder im Harz, in der sächsischen Schweiz oder im Riesengebirge. Keines<lb/> der Thäler laßt sich auch nur entfernt mit dem wildzerklüfteten Bodethal oder<lb/> mit dem Idyll von Reinhardsbrunn, keiner der Berge sich mit den edlen<lb/> Formen des Brockens oder seines Vasallen, des entzückend schönen Kegels,<lb/> der die Harzburg trügt, vergleichen. Das Gebirg steigt, mindestens aus der<lb/> Nordseite, nur ganz allmälig an, ist hier mehr eine schiefe Ebene als ein<lb/> Gebirg zu nennen. Seine Gipfel find breite, stumpfe, fast flache Erhöhungen.<lb/> Nur selten tritt das Gestein zu Tage. Viele Strecken sind waldlos, die be¬<lb/> waldeten fast nur mit einförmigen melancholisch gefärbten Nadelholz bedeckt.<lb/> Burg- und Klosterruinen, von Sagen umwebt, wie sie die Ufer der Saale<lb/> schmücken, Wasserfälle, wie sie im Jlsethal rauschen, wie sie dem kaskaden¬<lb/> reichen Riesengebirge entstürzen, fehlen so gut wie ganz. Die Berge liefern<lb/> Erz und Kohlen, der Wald, durchgehends Kunstproduct, erfreut das Auge des<lb/> Forstwirths und zerstreut die Befürchtungen vor Holztheuerung, die Gewässer<lb/> treiben Mühlen und Pochwerke; das Auge des Künstlers aber findet an ihnen<lb/> allen wenig, was zur Betrachtung, nichts, was zur Nachschöpfung einlüde.</p><lb/> <p xml:id="ID_343" next="#ID_344"> Anders stellt sich die Frage für den Reisenden, der mehr, nach den Leuten,<lb/> als nach dem Lande fragt. Romantische Menschen zwar hat das Erzgebirge<lb/> so wenig wie romantische Berge, Wälder und Gewässer. Die alten Trachten,<lb/> die alten Sitten und Gebräuche sind verschwunden. Wo ein Restchen Heiden¬<lb/> zeit, ein Stück Aberglaube sich verhält, versteckt es sich verschämt vor der Bil¬<lb/> dung, die in Sachsen längst schon bis in die entferntesten Winkel gedrungen<lb/> ist. Das Wesen des Erzgebirgers ist bescheidene Nüchternheit, und wer ihn<lb/> einen excentrischen Charakter nennen wollte, würde ihm unverzeihliches Unrecht<lb/> thun. Dennoch gehört das sächsische Gebirge in Betreff seiner Bewohner zu<lb/> den interessantesten Strichen Deutschlands, und zwar nicht blos deshalb, weil<lb/> hier der Bergbau die höchste Stufe der Entwicklung erreicht oder weil hier<lb/> die deutsche Industrie ihre gewaltigsten Werkstätten aufgeschlagen hat. Ein<lb/> soeben erschienenes kleines Buch von Berthold Sigismund, ebenso ausgezeich¬<lb/> net durch feine und unbefangene Beobachtung, wie durch anmuthige Dar¬<lb/> stellung') gibt ein Bild von der Lebensweise und dem Charakter der Erz-<lb/> gebirger, welches außer jenen Grundzügen noch viele andere enthält, die unsere</p><lb/> <note xml:id="FID_9" place="foot"> ") Der Titel ist „Lebensbilder vom Sächsischen Erzgebirge von Berthold<lb/> Sigismund. Leipzig, Verlag von Karl B, Lorck 1859." Das Werkchen zählt zu dem Beste",<lb/> was wir seit Jahren auf diesem Gebiet gelesen haben.</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0112]
Das Thal der zwickauer Mulde hat zwar mancherlei Schönheiten, das
der Zschopau namentlich in seinem untern Theile mehre ungemein romantische
Punkte. Außerordentlich anmuthig ist die Umgebung von Olbernhan mit ihrem
Wechsel düsterer Nadelwälder und hellgrüner Bucheuhcnne. Nirgend aber be¬
gegnet das Auge so wirksamen Bildungen und Farbe», wie im thüringer
Wald oder im Harz, in der sächsischen Schweiz oder im Riesengebirge. Keines
der Thäler laßt sich auch nur entfernt mit dem wildzerklüfteten Bodethal oder
mit dem Idyll von Reinhardsbrunn, keiner der Berge sich mit den edlen
Formen des Brockens oder seines Vasallen, des entzückend schönen Kegels,
der die Harzburg trügt, vergleichen. Das Gebirg steigt, mindestens aus der
Nordseite, nur ganz allmälig an, ist hier mehr eine schiefe Ebene als ein
Gebirg zu nennen. Seine Gipfel find breite, stumpfe, fast flache Erhöhungen.
Nur selten tritt das Gestein zu Tage. Viele Strecken sind waldlos, die be¬
waldeten fast nur mit einförmigen melancholisch gefärbten Nadelholz bedeckt.
Burg- und Klosterruinen, von Sagen umwebt, wie sie die Ufer der Saale
schmücken, Wasserfälle, wie sie im Jlsethal rauschen, wie sie dem kaskaden¬
reichen Riesengebirge entstürzen, fehlen so gut wie ganz. Die Berge liefern
Erz und Kohlen, der Wald, durchgehends Kunstproduct, erfreut das Auge des
Forstwirths und zerstreut die Befürchtungen vor Holztheuerung, die Gewässer
treiben Mühlen und Pochwerke; das Auge des Künstlers aber findet an ihnen
allen wenig, was zur Betrachtung, nichts, was zur Nachschöpfung einlüde.
Anders stellt sich die Frage für den Reisenden, der mehr, nach den Leuten,
als nach dem Lande fragt. Romantische Menschen zwar hat das Erzgebirge
so wenig wie romantische Berge, Wälder und Gewässer. Die alten Trachten,
die alten Sitten und Gebräuche sind verschwunden. Wo ein Restchen Heiden¬
zeit, ein Stück Aberglaube sich verhält, versteckt es sich verschämt vor der Bil¬
dung, die in Sachsen längst schon bis in die entferntesten Winkel gedrungen
ist. Das Wesen des Erzgebirgers ist bescheidene Nüchternheit, und wer ihn
einen excentrischen Charakter nennen wollte, würde ihm unverzeihliches Unrecht
thun. Dennoch gehört das sächsische Gebirge in Betreff seiner Bewohner zu
den interessantesten Strichen Deutschlands, und zwar nicht blos deshalb, weil
hier der Bergbau die höchste Stufe der Entwicklung erreicht oder weil hier
die deutsche Industrie ihre gewaltigsten Werkstätten aufgeschlagen hat. Ein
soeben erschienenes kleines Buch von Berthold Sigismund, ebenso ausgezeich¬
net durch feine und unbefangene Beobachtung, wie durch anmuthige Dar¬
stellung') gibt ein Bild von der Lebensweise und dem Charakter der Erz-
gebirger, welches außer jenen Grundzügen noch viele andere enthält, die unsere
") Der Titel ist „Lebensbilder vom Sächsischen Erzgebirge von Berthold
Sigismund. Leipzig, Verlag von Karl B, Lorck 1859." Das Werkchen zählt zu dem Beste",
was wir seit Jahren auf diesem Gebiet gelesen haben.
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