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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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nig, wie irgend sonst, den Geist der innern Zwietracht zu nähren und sich
zum Bundesgenossen zu erziehen. Die obrigkeitliche Gewalt jedoch lag jetzt
in den Händen der protestantischen Partei. Als Borromeo den Versuch machte,
die Jesuiten im Veltlin einzuschmuggeln und eine Anzahl von ihnen unter
Führung des Pater Bobadilla sich in Ponte an der Adda niederlassen wollten,
wurden sie von der bündnerischen Regierung des Landes verwiesen (1561).
Im Jahre 1580 erschien er selbst im Veltlin unter dem Vorgeben einer Wall¬
fahrt zu der Madonna von Tirano; von den Katholiken ward er mit Begeisterung
aufgenommen, und als er vor der in Tirano versammelten Menge predigte,
mochten selbst von den Protestanten viele sich dem Eindruck seiner würdigen
und einnehmenden Persönlichkeit und seiner milden, eindringlichen Rede nicht
entziehen. Für die Graubündtner war dies genug; als der Cardinal 1582
zum Visitator der schweizerischen und graubündtnerischen Lande ernannt eine
Rundreise in Tessin machte und von da aus weiter nach Graubündten bis
Chur und auf dem Rückweg nach Chiavenna und dem Veltlin gehen wollte,
ward ihm bedeutet, daß er dies zu unterlassen habe, und er mußte unverrich-
teter Sache wieder umkehren. Trotz aller Schwierigkeiten aber gab er seinen
Plan niemals auf; als er 1537 starb, stand er in lebhaften Unterhandlungen
mit dem Hofe von Madrid, dem Gouverneur Terranova von Mailand und
den Katholiken im Veltlin; schon damals wurde der Plan besprochen, durch
eine Empörung der katholischen Bevölkerung das Land den Graubündtnern zu
entreißen und wieder mit Mailand zu vereinigen; die katholischen Verschwore¬
nen des Thales verlangten nur 400 Mann spanische Truppen, damit wollten
sie der Bündnerischen schon Herren werden und ihnen dann die Pässe im Nor¬
den des Landes versperren. Wahrscheinlich war es der Tod Borromeos, der diese
Pläne hinderte, schon jetzt zur Reife zu kommen; auch waren die Graubündt¬
ner streng auf ihrer Hut und wiesen alle fremden Geistliche und Mönche, be¬
sonders die Kapuziner rücksichtslos aus dem Lande, und dem Bischof von
Como, zu dessen Diöcese das Veltlin gehörte, ward bei seiner geistlichen Ver¬
waltung daselbst genau auf die Finger gesehen.

Freilich war es nun im Laufe der Zeit dahin gekommen, daß die Katho¬
liken in dieser Landschaft der unterdrückte Theil geworden waren. Die ur¬
sprüngliche Vorstellung, daß das Thal sich aus freiem Entschluß als Bundes¬
mitglied angeschlossen hatte, war überhaupt bald zurückgetreten vor dem An¬
spruch, die Herrschaft wie über eine unterworfene Provinz auszuüben; als
dann noch hinzukam, daß man dieselbe gegen innere und äußere Feinde zu¬
gleich sicher stellen mußte, indem jene mit diesen in verrntherischer Verbindung
standen, war es nicht anders möglich, als daß die Katholiken von allen Stel¬
len, an denen sie gefährlich werden konnten, entfernt wurden, und daß man
entweder einheimische reformirte, oder noch lieber graubündtnerische Beamtete


nig, wie irgend sonst, den Geist der innern Zwietracht zu nähren und sich
zum Bundesgenossen zu erziehen. Die obrigkeitliche Gewalt jedoch lag jetzt
in den Händen der protestantischen Partei. Als Borromeo den Versuch machte,
die Jesuiten im Veltlin einzuschmuggeln und eine Anzahl von ihnen unter
Führung des Pater Bobadilla sich in Ponte an der Adda niederlassen wollten,
wurden sie von der bündnerischen Regierung des Landes verwiesen (1561).
Im Jahre 1580 erschien er selbst im Veltlin unter dem Vorgeben einer Wall¬
fahrt zu der Madonna von Tirano; von den Katholiken ward er mit Begeisterung
aufgenommen, und als er vor der in Tirano versammelten Menge predigte,
mochten selbst von den Protestanten viele sich dem Eindruck seiner würdigen
und einnehmenden Persönlichkeit und seiner milden, eindringlichen Rede nicht
entziehen. Für die Graubündtner war dies genug; als der Cardinal 1582
zum Visitator der schweizerischen und graubündtnerischen Lande ernannt eine
Rundreise in Tessin machte und von da aus weiter nach Graubündten bis
Chur und auf dem Rückweg nach Chiavenna und dem Veltlin gehen wollte,
ward ihm bedeutet, daß er dies zu unterlassen habe, und er mußte unverrich-
teter Sache wieder umkehren. Trotz aller Schwierigkeiten aber gab er seinen
Plan niemals auf; als er 1537 starb, stand er in lebhaften Unterhandlungen
mit dem Hofe von Madrid, dem Gouverneur Terranova von Mailand und
den Katholiken im Veltlin; schon damals wurde der Plan besprochen, durch
eine Empörung der katholischen Bevölkerung das Land den Graubündtnern zu
entreißen und wieder mit Mailand zu vereinigen; die katholischen Verschwore¬
nen des Thales verlangten nur 400 Mann spanische Truppen, damit wollten
sie der Bündnerischen schon Herren werden und ihnen dann die Pässe im Nor¬
den des Landes versperren. Wahrscheinlich war es der Tod Borromeos, der diese
Pläne hinderte, schon jetzt zur Reife zu kommen; auch waren die Graubündt¬
ner streng auf ihrer Hut und wiesen alle fremden Geistliche und Mönche, be¬
sonders die Kapuziner rücksichtslos aus dem Lande, und dem Bischof von
Como, zu dessen Diöcese das Veltlin gehörte, ward bei seiner geistlichen Ver¬
waltung daselbst genau auf die Finger gesehen.

Freilich war es nun im Laufe der Zeit dahin gekommen, daß die Katho¬
liken in dieser Landschaft der unterdrückte Theil geworden waren. Die ur¬
sprüngliche Vorstellung, daß das Thal sich aus freiem Entschluß als Bundes¬
mitglied angeschlossen hatte, war überhaupt bald zurückgetreten vor dem An¬
spruch, die Herrschaft wie über eine unterworfene Provinz auszuüben; als
dann noch hinzukam, daß man dieselbe gegen innere und äußere Feinde zu¬
gleich sicher stellen mußte, indem jene mit diesen in verrntherischer Verbindung
standen, war es nicht anders möglich, als daß die Katholiken von allen Stel¬
len, an denen sie gefährlich werden konnten, entfernt wurden, und daß man
entweder einheimische reformirte, oder noch lieber graubündtnerische Beamtete


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/100>, abgerufen am 22.07.2024.