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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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war. -- Damit man aber über diesen idyllischen Beschäftigungen nicht vergißt,
daß die Geschichte in Rußland spielt, wird man zuweilen durch heimliche Ver¬
bannungen nach Sibirien, durch Verhaftungen und selbst durch die Folter
an die öffentlichen Staatsgeschäfte erinnert.

Im Jahr 1749 studirte Katharina den Plato, was um so verdienstlicher
war, da gleichzeitig der Großfürst in den Nebenzimmern unter lautem Peitschen¬
knallen und mit Jägerschrei wiederum eine Meute Hunde dressirte, wobei die grau¬
samsten Hiebe vorkamen. Neben der Lectüre des Plato hatte Katharina die Kühn¬
heit, eine heimliche Korrespondenz mit Cernitschef zu unterhalten, bis es dem
Hetman Graf Ratzumofsky einfiel, ihr feierlich seine Liebe zu bekennen. "Und
er war in der That ein schöner Mensch, von originellem Geist und gefälligem
Benehmen."

Eine reizende Scene findet in Sophino statt, siebzig Werst von Moskau.
"Wir lagerten dort in Zelten. Den Tag nach unsrer Ankunft gingen wir in
das Zelt der Kaiserin und fanden sie beschäftigt, den Verwalter des Guts zu
schelten. Sie war gekommen, um auf die Jagd zu gehn, und hatte keine
Hasen vorgefunden. Der Mensch war blaß und zitterte --sie überhäufte ihn
mit Schmähungen jeder Art; in der That, sie war außer sich, vor Wuth. Als
sie uns zum Handkuß kommen sah, umarmte sie uns wie gewöhnlich und
setzte dann ihr Schelten fort. In ihrem Zorn schleuderte sie Pfeile nach allen
Seiten. Sie sprang von einem aufs andere und ihre Zungenfertigkeit war
großartig. Uuter andern bemerkte sie: sie verstehe sich vollkommen aus die
Verwaltung von Gütern, die Regierung der Kaiserin Anna habe sie darüber
belehrt; als sie wenig gehabt, habe sie sich gehütet viel auszugeben; wenn
sie Schulden gemacht hätte, würde sie gefürchtet haben, sich in Verdammniß
zu stürzen; wäre sie mit Schulden gestorben, so würde niemand sie bezahlt
haben, ihre Seele würde zur Hölle gefahren sein, was sie nicht wolle; sie
trage deshalb zu Hause, auch wenn sie es nicht nöthig habe, sehr einfache
Kleider, oben aus weißem Tasse, unten aus schwarzem Tuch; auf diese Weise
spare sie viel; und sie hüte sich, kostbare Stoffe auf der Reise oder auf dem
Lande zu tragen. Das sollte auf mich gehn, denn ich trug ein Lilaklcid mit
Silber; ich ließ es mir also gesagt sein. Diese Vorlesung (denn eine solche
war es, da niemand, wenn er sie von Zorn roth und flammend sah, ein
Wort redete) dauerte wenigstens dreiviertel Stunden. Endlich brachte ein
Narr der Kaiserin, Namens Aksakosf, sie' zum Schluß. Er trat mit einem
kleinen Stachelschwein herein, welches er ihr in seinem Hute darreichte. Sie
näherte sich ihm, um es zu betrachten, stieß aber, so wie sie es sah^ einen
lauten Schrei aus, erklärte, es gleiche einer Maus und entfloh spornstreichs in
ihr Zelt. Sie hatte die größte Furcht vor Mäusen. Wir sahen sie dann
nicht mehr, sie dinirte allein."


war. — Damit man aber über diesen idyllischen Beschäftigungen nicht vergißt,
daß die Geschichte in Rußland spielt, wird man zuweilen durch heimliche Ver¬
bannungen nach Sibirien, durch Verhaftungen und selbst durch die Folter
an die öffentlichen Staatsgeschäfte erinnert.

Im Jahr 1749 studirte Katharina den Plato, was um so verdienstlicher
war, da gleichzeitig der Großfürst in den Nebenzimmern unter lautem Peitschen¬
knallen und mit Jägerschrei wiederum eine Meute Hunde dressirte, wobei die grau¬
samsten Hiebe vorkamen. Neben der Lectüre des Plato hatte Katharina die Kühn¬
heit, eine heimliche Korrespondenz mit Cernitschef zu unterhalten, bis es dem
Hetman Graf Ratzumofsky einfiel, ihr feierlich seine Liebe zu bekennen. „Und
er war in der That ein schöner Mensch, von originellem Geist und gefälligem
Benehmen."

Eine reizende Scene findet in Sophino statt, siebzig Werst von Moskau.
„Wir lagerten dort in Zelten. Den Tag nach unsrer Ankunft gingen wir in
das Zelt der Kaiserin und fanden sie beschäftigt, den Verwalter des Guts zu
schelten. Sie war gekommen, um auf die Jagd zu gehn, und hatte keine
Hasen vorgefunden. Der Mensch war blaß und zitterte —sie überhäufte ihn
mit Schmähungen jeder Art; in der That, sie war außer sich, vor Wuth. Als
sie uns zum Handkuß kommen sah, umarmte sie uns wie gewöhnlich und
setzte dann ihr Schelten fort. In ihrem Zorn schleuderte sie Pfeile nach allen
Seiten. Sie sprang von einem aufs andere und ihre Zungenfertigkeit war
großartig. Uuter andern bemerkte sie: sie verstehe sich vollkommen aus die
Verwaltung von Gütern, die Regierung der Kaiserin Anna habe sie darüber
belehrt; als sie wenig gehabt, habe sie sich gehütet viel auszugeben; wenn
sie Schulden gemacht hätte, würde sie gefürchtet haben, sich in Verdammniß
zu stürzen; wäre sie mit Schulden gestorben, so würde niemand sie bezahlt
haben, ihre Seele würde zur Hölle gefahren sein, was sie nicht wolle; sie
trage deshalb zu Hause, auch wenn sie es nicht nöthig habe, sehr einfache
Kleider, oben aus weißem Tasse, unten aus schwarzem Tuch; auf diese Weise
spare sie viel; und sie hüte sich, kostbare Stoffe auf der Reise oder auf dem
Lande zu tragen. Das sollte auf mich gehn, denn ich trug ein Lilaklcid mit
Silber; ich ließ es mir also gesagt sein. Diese Vorlesung (denn eine solche
war es, da niemand, wenn er sie von Zorn roth und flammend sah, ein
Wort redete) dauerte wenigstens dreiviertel Stunden. Endlich brachte ein
Narr der Kaiserin, Namens Aksakosf, sie' zum Schluß. Er trat mit einem
kleinen Stachelschwein herein, welches er ihr in seinem Hute darreichte. Sie
näherte sich ihm, um es zu betrachten, stieß aber, so wie sie es sah^ einen
lauten Schrei aus, erklärte, es gleiche einer Maus und entfloh spornstreichs in
ihr Zelt. Sie hatte die größte Furcht vor Mäusen. Wir sahen sie dann
nicht mehr, sie dinirte allein."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/84>, abgerufen am 22.12.2024.