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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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zutreten. Wenn eine junge Dame ihre besondere Gunst erwarb, so sonnte sie
ziemlich sicher darauf rechnen, vom Hofe verbannt zu werden. Den 21. August
1745 fand die Hochzeit statt, die Mutter der neuen Großfürstin wurde bald
darauf entlassen und fing nun mit ihrer Tochter, die sie bis dahin ans jede
Weise gemißhandelt hatte, eine heimliche Korrespondenz an. "Mein lieber
Gemahl bekümmerte sich durchaus nicht um mich, sondern war fortmährend
in seinem Zimmer mit dem Einexerciren seiner Bedienten beschäftigt, wobei
er zwanzigmal in einem Tag die Uniform wechselte. Ich gähnte, langweilte
mich, da ich mit niemand reden konnte, oder ich war bei öffentlichen Festlich¬
keiten zugegen." Sie ging auch nur sehr selten in die Zimmer ihres Gemahls,
und wenn das geschah, so konnte man auf irgend eine Unschicklichkeit rechnen.
Einmal, Ostern 1746, ließ er in seinem Zimmer ein Marionettentheater errichten
und lud die Damen dazu ein. Das Zimmer hatte eine verbotene Thür,
welche in ein Gemach der Kaiserin führte, wo ein Tisch war, den man ver¬
mittelst einer Maschine senken und heben konnte, um ohne Bedienung zu spei¬
sen. Der neugierige Großfürst bohrt ein Loch durch die Thür und bemerkt
den Oberjägermeister, der im Schlafrock mit der Kaiserin dinirte. Das Schau¬
spiel wurde allen Anwesenden mitgetheilt, die Kaiserin erfuhr es und hielt
dem Großfürsten eine zornige Strafpredigt: unter ihrer Vorgängerin wäre so
etwas jedenfalls mit der Festung bestraft worden; er sei nichts als ein dummer
Junge, dem sie Lebensart lehren müsse. Uebrigens war sie bei aller Leiden¬
schaftlichkeit im Grunde sehr gutmüthig, man konnte ihren heftigen Zorn
beschwichtigen, wenn man ihr auf russisch: Vergebung, Mütterchen, sagte.

In diese Periode fallt die erste Neigung der Großfürstin, es war ein
Cavalier ihres Mannes, Andreas Cernitschef; die Kaiserin wurde sehr unge¬
halten darüber, man suchte sogar durch Beichtväter auf die junge Dame zu
wirken, und Cernitschef wurde in eine Festung gesperrt.

Zur Zerstreuung las die Großfürstin ein Jahr lang nichts als Romane:
"doch diese begannen mich zu langweilen; zufällig kam ich auf die Briefe der
Madame Sevign6, eine Lectüre, die mich amüsirte. Nachdem ich sie ver¬
schlungen hatte, sielen mir die Werte Voltaires in die Hand. Nach dieser
Lectüre suchte ich Meine Bücher mit größerer Wahl aus."

Einige Zeit darauf erfuhr sie den Tod ihres Vaters. "Man ließ mich
acht Tage weinen so viel ich wollte, doch am Ende dieser acht Tage erklärte
mir die Oberhofmeisterin, es sei nun des Weinens genug, die Kaiserin befehle
mir aufzuhören, denn es schicke sich für eine Großfürstin nicht , länger um
einen Vater zu weinen, der kein König gewesen sei."

Während eines Landaufenthaltes sing der Großfürst an, Hunde zu dres-
siren; wenn er müde wurde sie zu quälen, spielte er mit großer Heftigkeit
die Violine, obgleich er keine Note kannte. Eine Kammerfrau verschaffte ihm


zutreten. Wenn eine junge Dame ihre besondere Gunst erwarb, so sonnte sie
ziemlich sicher darauf rechnen, vom Hofe verbannt zu werden. Den 21. August
1745 fand die Hochzeit statt, die Mutter der neuen Großfürstin wurde bald
darauf entlassen und fing nun mit ihrer Tochter, die sie bis dahin ans jede
Weise gemißhandelt hatte, eine heimliche Korrespondenz an. „Mein lieber
Gemahl bekümmerte sich durchaus nicht um mich, sondern war fortmährend
in seinem Zimmer mit dem Einexerciren seiner Bedienten beschäftigt, wobei
er zwanzigmal in einem Tag die Uniform wechselte. Ich gähnte, langweilte
mich, da ich mit niemand reden konnte, oder ich war bei öffentlichen Festlich¬
keiten zugegen." Sie ging auch nur sehr selten in die Zimmer ihres Gemahls,
und wenn das geschah, so konnte man auf irgend eine Unschicklichkeit rechnen.
Einmal, Ostern 1746, ließ er in seinem Zimmer ein Marionettentheater errichten
und lud die Damen dazu ein. Das Zimmer hatte eine verbotene Thür,
welche in ein Gemach der Kaiserin führte, wo ein Tisch war, den man ver¬
mittelst einer Maschine senken und heben konnte, um ohne Bedienung zu spei¬
sen. Der neugierige Großfürst bohrt ein Loch durch die Thür und bemerkt
den Oberjägermeister, der im Schlafrock mit der Kaiserin dinirte. Das Schau¬
spiel wurde allen Anwesenden mitgetheilt, die Kaiserin erfuhr es und hielt
dem Großfürsten eine zornige Strafpredigt: unter ihrer Vorgängerin wäre so
etwas jedenfalls mit der Festung bestraft worden; er sei nichts als ein dummer
Junge, dem sie Lebensart lehren müsse. Uebrigens war sie bei aller Leiden¬
schaftlichkeit im Grunde sehr gutmüthig, man konnte ihren heftigen Zorn
beschwichtigen, wenn man ihr auf russisch: Vergebung, Mütterchen, sagte.

In diese Periode fallt die erste Neigung der Großfürstin, es war ein
Cavalier ihres Mannes, Andreas Cernitschef; die Kaiserin wurde sehr unge¬
halten darüber, man suchte sogar durch Beichtväter auf die junge Dame zu
wirken, und Cernitschef wurde in eine Festung gesperrt.

Zur Zerstreuung las die Großfürstin ein Jahr lang nichts als Romane:
„doch diese begannen mich zu langweilen; zufällig kam ich auf die Briefe der
Madame Sevign6, eine Lectüre, die mich amüsirte. Nachdem ich sie ver¬
schlungen hatte, sielen mir die Werte Voltaires in die Hand. Nach dieser
Lectüre suchte ich Meine Bücher mit größerer Wahl aus."

Einige Zeit darauf erfuhr sie den Tod ihres Vaters. „Man ließ mich
acht Tage weinen so viel ich wollte, doch am Ende dieser acht Tage erklärte
mir die Oberhofmeisterin, es sei nun des Weinens genug, die Kaiserin befehle
mir aufzuhören, denn es schicke sich für eine Großfürstin nicht , länger um
einen Vater zu weinen, der kein König gewesen sei."

Während eines Landaufenthaltes sing der Großfürst an, Hunde zu dres-
siren; wenn er müde wurde sie zu quälen, spielte er mit großer Heftigkeit
die Violine, obgleich er keine Note kannte. Eine Kammerfrau verschaffte ihm


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[0082] zutreten. Wenn eine junge Dame ihre besondere Gunst erwarb, so sonnte sie ziemlich sicher darauf rechnen, vom Hofe verbannt zu werden. Den 21. August 1745 fand die Hochzeit statt, die Mutter der neuen Großfürstin wurde bald darauf entlassen und fing nun mit ihrer Tochter, die sie bis dahin ans jede Weise gemißhandelt hatte, eine heimliche Korrespondenz an. „Mein lieber Gemahl bekümmerte sich durchaus nicht um mich, sondern war fortmährend in seinem Zimmer mit dem Einexerciren seiner Bedienten beschäftigt, wobei er zwanzigmal in einem Tag die Uniform wechselte. Ich gähnte, langweilte mich, da ich mit niemand reden konnte, oder ich war bei öffentlichen Festlich¬ keiten zugegen." Sie ging auch nur sehr selten in die Zimmer ihres Gemahls, und wenn das geschah, so konnte man auf irgend eine Unschicklichkeit rechnen. Einmal, Ostern 1746, ließ er in seinem Zimmer ein Marionettentheater errichten und lud die Damen dazu ein. Das Zimmer hatte eine verbotene Thür, welche in ein Gemach der Kaiserin führte, wo ein Tisch war, den man ver¬ mittelst einer Maschine senken und heben konnte, um ohne Bedienung zu spei¬ sen. Der neugierige Großfürst bohrt ein Loch durch die Thür und bemerkt den Oberjägermeister, der im Schlafrock mit der Kaiserin dinirte. Das Schau¬ spiel wurde allen Anwesenden mitgetheilt, die Kaiserin erfuhr es und hielt dem Großfürsten eine zornige Strafpredigt: unter ihrer Vorgängerin wäre so etwas jedenfalls mit der Festung bestraft worden; er sei nichts als ein dummer Junge, dem sie Lebensart lehren müsse. Uebrigens war sie bei aller Leiden¬ schaftlichkeit im Grunde sehr gutmüthig, man konnte ihren heftigen Zorn beschwichtigen, wenn man ihr auf russisch: Vergebung, Mütterchen, sagte. In diese Periode fallt die erste Neigung der Großfürstin, es war ein Cavalier ihres Mannes, Andreas Cernitschef; die Kaiserin wurde sehr unge¬ halten darüber, man suchte sogar durch Beichtväter auf die junge Dame zu wirken, und Cernitschef wurde in eine Festung gesperrt. Zur Zerstreuung las die Großfürstin ein Jahr lang nichts als Romane: „doch diese begannen mich zu langweilen; zufällig kam ich auf die Briefe der Madame Sevign6, eine Lectüre, die mich amüsirte. Nachdem ich sie ver¬ schlungen hatte, sielen mir die Werte Voltaires in die Hand. Nach dieser Lectüre suchte ich Meine Bücher mit größerer Wahl aus." Einige Zeit darauf erfuhr sie den Tod ihres Vaters. „Man ließ mich acht Tage weinen so viel ich wollte, doch am Ende dieser acht Tage erklärte mir die Oberhofmeisterin, es sei nun des Weinens genug, die Kaiserin befehle mir aufzuhören, denn es schicke sich für eine Großfürstin nicht , länger um einen Vater zu weinen, der kein König gewesen sei." Während eines Landaufenthaltes sing der Großfürst an, Hunde zu dres- siren; wenn er müde wurde sie zu quälen, spielte er mit großer Heftigkeit die Violine, obgleich er keine Note kannte. Eine Kammerfrau verschaffte ihm

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/82>, abgerufen am 22.12.2024.