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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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der Absolutismus in seinen verschiedenen Abstufungen vom Scheinconstitutio-
nalismus bis zur russischen Willkür beherrschte den Continent außer Frank¬
reich. Um so schlimmer, daß man Versprechungen gab, die man nicht halten
zu können glaubte, es erbittert immer mehr, wenn man den Schein eines
Dinges gibt, als wenn man alles vorenthält.*) So sandte Kaiser Franz
wol seinen Bruder, den Erzherzog Rainer als Vicekönig, dessen kalte und
zögernde Natur außerdem den Italienern wenig sympathisch sein mußte, aber
er gab ihm keine eigne königliche Gewalt. In Wien bestand nicht einmal
sür die italienischen Besitzungen eine besondere Kanzlei, wie Ungarn und Sie¬
benbürgen seit Alters hatten, sondern das Königreich ward rein vom Cabinet
und den Centralbehördm regiert. Das Patent vom 15. April hatte (Art.
12 und 13) eine Repräsentation in Form zweier berathender Centralversamm-
lungen in Mailand und Venedig versprochen, außerdem sollte eme ähnliche
Provinzialvertrctung in jedem Bezirke stattfinden. Die Zusammensetzung beider
war so unpolitisch und engherzig wie möglich, die Vertreter sollten ehrfurchts¬
voll ihre Wünsche ausdrücken dürfen, während die Negierung ihrerseits sich vor¬
behielt, "sie um Rath zu fragen, wenn sie es für zweckdienlich erachte" (Patent
vom 24. April 1815). Aber während fünfunddreißig Jahren hat man keiner der
Versammlungen jemals eins der vielen Gesetze unterbreitet, welche erlassen
wurden, und als 1825 die mailändischen Vertreter einmal von jenem Recht, ihre
Wünsche ehrfurchtsvoll auszudrücken, Gebrauch machten, indem sie eine Adresse an
den Kaiser aufsetzten, worin gewisse Verwaltungsreformen erbeten wurden, ward
die Überreichung derselben vom Gouverneur untersagt und vom Kaiser abge¬
schlagen. Begreiflich genug war es allerdings, daß ein bürcaukratischer Kopf
wie Franz, welcher wollte, daß alle Fäden der Verwaltung in seinem Privai-
cabinet zusammenliefen, repräsentative Versammlungen nicht lieben konnte;
dazu hatte er in Italien das Danaergeschenk eines centralisirten Verwaltungs¬
mechanismus gefunden, welchen Napoleon in allen Vasallenstaaten eingeführt,
und seinem regelrechten Geist gefiel diese bequeme Mechanik nur zu sehr.
Auch muß man zugestehen, daß eine solche bureaukratisch-absolute Regierung
eine Nothwendigkeit war, wenn man die italienischen Provinzen in der Weise
der östreichischen Cabinetspolitik regieren wollte, es war dann aber schon ein
großer Fehler, eine auch nur berathende Vertretung zu schaffen, welche nicht
in Thätigkeit kommen sollte. Aber selbst die Organisation der Bureaukratie
war fehlerhaft, man konnte wenigstens die Italiener durch italienische Be-



') Ganz consequent tadelt daher auch Graf Ficquclmout die Errichtung des lombardisch-
venetianischcn Königreichs als "eine falsche Concession an das italienische Nationalgefühl, die
eine Gefahr für Oestreich werden mußte." Denn Geschichte und Geographie mußten vereint
rathen, kein andres Band der politischen Solidarität zwischen den beiden großen Theilen,
welche das neue Königreich bilden, bestehen zu lassen, als das des gemeinsamen Gehorsams
gegen den Kaiser. (Ld. Palmerston:c. 2 x. 211.)

der Absolutismus in seinen verschiedenen Abstufungen vom Scheinconstitutio-
nalismus bis zur russischen Willkür beherrschte den Continent außer Frank¬
reich. Um so schlimmer, daß man Versprechungen gab, die man nicht halten
zu können glaubte, es erbittert immer mehr, wenn man den Schein eines
Dinges gibt, als wenn man alles vorenthält.*) So sandte Kaiser Franz
wol seinen Bruder, den Erzherzog Rainer als Vicekönig, dessen kalte und
zögernde Natur außerdem den Italienern wenig sympathisch sein mußte, aber
er gab ihm keine eigne königliche Gewalt. In Wien bestand nicht einmal
sür die italienischen Besitzungen eine besondere Kanzlei, wie Ungarn und Sie¬
benbürgen seit Alters hatten, sondern das Königreich ward rein vom Cabinet
und den Centralbehördm regiert. Das Patent vom 15. April hatte (Art.
12 und 13) eine Repräsentation in Form zweier berathender Centralversamm-
lungen in Mailand und Venedig versprochen, außerdem sollte eme ähnliche
Provinzialvertrctung in jedem Bezirke stattfinden. Die Zusammensetzung beider
war so unpolitisch und engherzig wie möglich, die Vertreter sollten ehrfurchts¬
voll ihre Wünsche ausdrücken dürfen, während die Negierung ihrerseits sich vor¬
behielt, „sie um Rath zu fragen, wenn sie es für zweckdienlich erachte" (Patent
vom 24. April 1815). Aber während fünfunddreißig Jahren hat man keiner der
Versammlungen jemals eins der vielen Gesetze unterbreitet, welche erlassen
wurden, und als 1825 die mailändischen Vertreter einmal von jenem Recht, ihre
Wünsche ehrfurchtsvoll auszudrücken, Gebrauch machten, indem sie eine Adresse an
den Kaiser aufsetzten, worin gewisse Verwaltungsreformen erbeten wurden, ward
die Überreichung derselben vom Gouverneur untersagt und vom Kaiser abge¬
schlagen. Begreiflich genug war es allerdings, daß ein bürcaukratischer Kopf
wie Franz, welcher wollte, daß alle Fäden der Verwaltung in seinem Privai-
cabinet zusammenliefen, repräsentative Versammlungen nicht lieben konnte;
dazu hatte er in Italien das Danaergeschenk eines centralisirten Verwaltungs¬
mechanismus gefunden, welchen Napoleon in allen Vasallenstaaten eingeführt,
und seinem regelrechten Geist gefiel diese bequeme Mechanik nur zu sehr.
Auch muß man zugestehen, daß eine solche bureaukratisch-absolute Regierung
eine Nothwendigkeit war, wenn man die italienischen Provinzen in der Weise
der östreichischen Cabinetspolitik regieren wollte, es war dann aber schon ein
großer Fehler, eine auch nur berathende Vertretung zu schaffen, welche nicht
in Thätigkeit kommen sollte. Aber selbst die Organisation der Bureaukratie
war fehlerhaft, man konnte wenigstens die Italiener durch italienische Be-



') Ganz consequent tadelt daher auch Graf Ficquclmout die Errichtung des lombardisch-
venetianischcn Königreichs als „eine falsche Concession an das italienische Nationalgefühl, die
eine Gefahr für Oestreich werden mußte." Denn Geschichte und Geographie mußten vereint
rathen, kein andres Band der politischen Solidarität zwischen den beiden großen Theilen,
welche das neue Königreich bilden, bestehen zu lassen, als das des gemeinsamen Gehorsams
gegen den Kaiser. (Ld. Palmerston:c. 2 x. 211.)
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[0074] der Absolutismus in seinen verschiedenen Abstufungen vom Scheinconstitutio- nalismus bis zur russischen Willkür beherrschte den Continent außer Frank¬ reich. Um so schlimmer, daß man Versprechungen gab, die man nicht halten zu können glaubte, es erbittert immer mehr, wenn man den Schein eines Dinges gibt, als wenn man alles vorenthält.*) So sandte Kaiser Franz wol seinen Bruder, den Erzherzog Rainer als Vicekönig, dessen kalte und zögernde Natur außerdem den Italienern wenig sympathisch sein mußte, aber er gab ihm keine eigne königliche Gewalt. In Wien bestand nicht einmal sür die italienischen Besitzungen eine besondere Kanzlei, wie Ungarn und Sie¬ benbürgen seit Alters hatten, sondern das Königreich ward rein vom Cabinet und den Centralbehördm regiert. Das Patent vom 15. April hatte (Art. 12 und 13) eine Repräsentation in Form zweier berathender Centralversamm- lungen in Mailand und Venedig versprochen, außerdem sollte eme ähnliche Provinzialvertrctung in jedem Bezirke stattfinden. Die Zusammensetzung beider war so unpolitisch und engherzig wie möglich, die Vertreter sollten ehrfurchts¬ voll ihre Wünsche ausdrücken dürfen, während die Negierung ihrerseits sich vor¬ behielt, „sie um Rath zu fragen, wenn sie es für zweckdienlich erachte" (Patent vom 24. April 1815). Aber während fünfunddreißig Jahren hat man keiner der Versammlungen jemals eins der vielen Gesetze unterbreitet, welche erlassen wurden, und als 1825 die mailändischen Vertreter einmal von jenem Recht, ihre Wünsche ehrfurchtsvoll auszudrücken, Gebrauch machten, indem sie eine Adresse an den Kaiser aufsetzten, worin gewisse Verwaltungsreformen erbeten wurden, ward die Überreichung derselben vom Gouverneur untersagt und vom Kaiser abge¬ schlagen. Begreiflich genug war es allerdings, daß ein bürcaukratischer Kopf wie Franz, welcher wollte, daß alle Fäden der Verwaltung in seinem Privai- cabinet zusammenliefen, repräsentative Versammlungen nicht lieben konnte; dazu hatte er in Italien das Danaergeschenk eines centralisirten Verwaltungs¬ mechanismus gefunden, welchen Napoleon in allen Vasallenstaaten eingeführt, und seinem regelrechten Geist gefiel diese bequeme Mechanik nur zu sehr. Auch muß man zugestehen, daß eine solche bureaukratisch-absolute Regierung eine Nothwendigkeit war, wenn man die italienischen Provinzen in der Weise der östreichischen Cabinetspolitik regieren wollte, es war dann aber schon ein großer Fehler, eine auch nur berathende Vertretung zu schaffen, welche nicht in Thätigkeit kommen sollte. Aber selbst die Organisation der Bureaukratie war fehlerhaft, man konnte wenigstens die Italiener durch italienische Be- ') Ganz consequent tadelt daher auch Graf Ficquclmout die Errichtung des lombardisch- venetianischcn Königreichs als „eine falsche Concession an das italienische Nationalgefühl, die eine Gefahr für Oestreich werden mußte." Denn Geschichte und Geographie mußten vereint rathen, kein andres Band der politischen Solidarität zwischen den beiden großen Theilen, welche das neue Königreich bilden, bestehen zu lassen, als das des gemeinsamen Gehorsams gegen den Kaiser. (Ld. Palmerston:c. 2 x. 211.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/74>, abgerufen am 22.12.2024.