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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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gens auf den Terrassen geöffnet, hängen jetzt schon ihre Köpfchen, und der
leiseste Athemzug des Windes weht die Blätter auf die Straße hinab, wo sie
im hochliegenden Staub ihr Grab finden. staubbedeckt sind die Blätter des
Rebstocks, der hier und da an der Mauer eines Palastes emporkriecht und hin¬
ter den großen, rothbraunen Blättern hängt dunkel und schwer die Traube.

Schiffer und Gewerbsleute suchen in diesen Mittagsstunden den Schatten,
und finden ihn in den lichtlosen Gassen, die so eng sind, daß eben zwei
Menschen einander darin ausweichen können. Jalousien. Laden und Vor¬
hänge sind geschlossen, das Licht ist dem Auge zu grell, ihm ist wohl nur in
künstlicher Dämmerung. In den Tavernen sitzen die Gäste, haben die Glä¬
ser bei Seite gestellt und schlafen.

Nur die Eidechsen -- selbst wie schillernde Lichtstrahlen -- freuen sich
dieser Hitze und laufen auf dem Gemäuer umher. Auch die Touristen haben
keine Ruhe. Sie stürzen blindlings in das Gewirr der Gassen und suchen
ihren Weg. entschlossen, sich überraschen zu lassen.

Wie viel Marmor, wie viel Paläste! Man ist keine halbe Stunde ge¬
gangen, ohne von dieser Wucht von Pracht erdrückt zu sein. Aber welch toller,
extravaganter Geschmack! Hier ist ein Palast -- Palazzo Tursi -- dunkelroth,
dort ein anderer -- Palazzo Spinola -- citronengelb bemalt. Ein dritter ist
vom Parterre bis zum Giebel mit Fresken ausstaffirt. Ein bizarrer Pinsel
hat Säulen entworfen, die nichts tragen, Architrave hingesetzt und Statuen,
welche riesig auf den Vorübergehenden herabsehen, in falsche Nischen gestellt.
Durchbrochene Galerieen hier und dort! Orangen- und Myrthenbäume in
Kübeln machen diese Orte zu künstlichen Gärten. Welche Vorhallen und Säu¬
lenhöfe, welche Treppenhäuser mit edlen Sculpturen! Marmorne Schmuck¬
kästen sind die Paläste. Welches Prunken mit Raum in einer Stadt, die so
wenig Raum zu verschenken hat! Es ist, als ob in jedem Hause der Strada
Valbi ein Gras von Monte Christo wohnte.

Aller Sonnenglut zum Trotz wollten wir einen Gang um die ganze
Stadt machen. Wir wandelten an der den Hafen umschließenden Vertheidi¬
gungsmauer hin. die sich mit ihren Rondelen an die beiden Molos lehnt,
an der Darsena vorüber, bis zum Leuchtthurm, der, von starken Batterien
geschützt, frei und stolz wie eine Säule emporragt. Von dort aus eilten wir
zur Höhe. Genua ist von der Landseite doppelt mit Mauern umgeben. Die
erste Mauer läuft mit der Spornschanze von sechs Bastionen um die eigent¬
liche Stadt, die andere Mauer erklimmt die Höhen des Apennins und bildet
ein gleichschenkliges Dreieck mit Rondelen und Forts, das auch die Vorstädte
und die angrenzenden Fetttheile umschließt. Auf jeder der einzelnen Höhen¬
spitzen ragt ein Castell. Unter diesen detachirten Werken ist das Fort Dia-
mcmte mit vier Bastionen das imposanteste. Alle Werke der äußern und in-


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gens auf den Terrassen geöffnet, hängen jetzt schon ihre Köpfchen, und der
leiseste Athemzug des Windes weht die Blätter auf die Straße hinab, wo sie
im hochliegenden Staub ihr Grab finden. staubbedeckt sind die Blätter des
Rebstocks, der hier und da an der Mauer eines Palastes emporkriecht und hin¬
ter den großen, rothbraunen Blättern hängt dunkel und schwer die Traube.

Schiffer und Gewerbsleute suchen in diesen Mittagsstunden den Schatten,
und finden ihn in den lichtlosen Gassen, die so eng sind, daß eben zwei
Menschen einander darin ausweichen können. Jalousien. Laden und Vor¬
hänge sind geschlossen, das Licht ist dem Auge zu grell, ihm ist wohl nur in
künstlicher Dämmerung. In den Tavernen sitzen die Gäste, haben die Glä¬
ser bei Seite gestellt und schlafen.

Nur die Eidechsen — selbst wie schillernde Lichtstrahlen — freuen sich
dieser Hitze und laufen auf dem Gemäuer umher. Auch die Touristen haben
keine Ruhe. Sie stürzen blindlings in das Gewirr der Gassen und suchen
ihren Weg. entschlossen, sich überraschen zu lassen.

Wie viel Marmor, wie viel Paläste! Man ist keine halbe Stunde ge¬
gangen, ohne von dieser Wucht von Pracht erdrückt zu sein. Aber welch toller,
extravaganter Geschmack! Hier ist ein Palast — Palazzo Tursi — dunkelroth,
dort ein anderer — Palazzo Spinola — citronengelb bemalt. Ein dritter ist
vom Parterre bis zum Giebel mit Fresken ausstaffirt. Ein bizarrer Pinsel
hat Säulen entworfen, die nichts tragen, Architrave hingesetzt und Statuen,
welche riesig auf den Vorübergehenden herabsehen, in falsche Nischen gestellt.
Durchbrochene Galerieen hier und dort! Orangen- und Myrthenbäume in
Kübeln machen diese Orte zu künstlichen Gärten. Welche Vorhallen und Säu¬
lenhöfe, welche Treppenhäuser mit edlen Sculpturen! Marmorne Schmuck¬
kästen sind die Paläste. Welches Prunken mit Raum in einer Stadt, die so
wenig Raum zu verschenken hat! Es ist, als ob in jedem Hause der Strada
Valbi ein Gras von Monte Christo wohnte.

Aller Sonnenglut zum Trotz wollten wir einen Gang um die ganze
Stadt machen. Wir wandelten an der den Hafen umschließenden Vertheidi¬
gungsmauer hin. die sich mit ihren Rondelen an die beiden Molos lehnt,
an der Darsena vorüber, bis zum Leuchtthurm, der, von starken Batterien
geschützt, frei und stolz wie eine Säule emporragt. Von dort aus eilten wir
zur Höhe. Genua ist von der Landseite doppelt mit Mauern umgeben. Die
erste Mauer läuft mit der Spornschanze von sechs Bastionen um die eigent¬
liche Stadt, die andere Mauer erklimmt die Höhen des Apennins und bildet
ein gleichschenkliges Dreieck mit Rondelen und Forts, das auch die Vorstädte
und die angrenzenden Fetttheile umschließt. Auf jeder der einzelnen Höhen¬
spitzen ragt ein Castell. Unter diesen detachirten Werken ist das Fort Dia-
mcmte mit vier Bastionen das imposanteste. Alle Werke der äußern und in-


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[0517] gens auf den Terrassen geöffnet, hängen jetzt schon ihre Köpfchen, und der leiseste Athemzug des Windes weht die Blätter auf die Straße hinab, wo sie im hochliegenden Staub ihr Grab finden. staubbedeckt sind die Blätter des Rebstocks, der hier und da an der Mauer eines Palastes emporkriecht und hin¬ ter den großen, rothbraunen Blättern hängt dunkel und schwer die Traube. Schiffer und Gewerbsleute suchen in diesen Mittagsstunden den Schatten, und finden ihn in den lichtlosen Gassen, die so eng sind, daß eben zwei Menschen einander darin ausweichen können. Jalousien. Laden und Vor¬ hänge sind geschlossen, das Licht ist dem Auge zu grell, ihm ist wohl nur in künstlicher Dämmerung. In den Tavernen sitzen die Gäste, haben die Glä¬ ser bei Seite gestellt und schlafen. Nur die Eidechsen — selbst wie schillernde Lichtstrahlen — freuen sich dieser Hitze und laufen auf dem Gemäuer umher. Auch die Touristen haben keine Ruhe. Sie stürzen blindlings in das Gewirr der Gassen und suchen ihren Weg. entschlossen, sich überraschen zu lassen. Wie viel Marmor, wie viel Paläste! Man ist keine halbe Stunde ge¬ gangen, ohne von dieser Wucht von Pracht erdrückt zu sein. Aber welch toller, extravaganter Geschmack! Hier ist ein Palast — Palazzo Tursi — dunkelroth, dort ein anderer — Palazzo Spinola — citronengelb bemalt. Ein dritter ist vom Parterre bis zum Giebel mit Fresken ausstaffirt. Ein bizarrer Pinsel hat Säulen entworfen, die nichts tragen, Architrave hingesetzt und Statuen, welche riesig auf den Vorübergehenden herabsehen, in falsche Nischen gestellt. Durchbrochene Galerieen hier und dort! Orangen- und Myrthenbäume in Kübeln machen diese Orte zu künstlichen Gärten. Welche Vorhallen und Säu¬ lenhöfe, welche Treppenhäuser mit edlen Sculpturen! Marmorne Schmuck¬ kästen sind die Paläste. Welches Prunken mit Raum in einer Stadt, die so wenig Raum zu verschenken hat! Es ist, als ob in jedem Hause der Strada Valbi ein Gras von Monte Christo wohnte. Aller Sonnenglut zum Trotz wollten wir einen Gang um die ganze Stadt machen. Wir wandelten an der den Hafen umschließenden Vertheidi¬ gungsmauer hin. die sich mit ihren Rondelen an die beiden Molos lehnt, an der Darsena vorüber, bis zum Leuchtthurm, der, von starken Batterien geschützt, frei und stolz wie eine Säule emporragt. Von dort aus eilten wir zur Höhe. Genua ist von der Landseite doppelt mit Mauern umgeben. Die erste Mauer läuft mit der Spornschanze von sechs Bastionen um die eigent¬ liche Stadt, die andere Mauer erklimmt die Höhen des Apennins und bildet ein gleichschenkliges Dreieck mit Rondelen und Forts, das auch die Vorstädte und die angrenzenden Fetttheile umschließt. Auf jeder der einzelnen Höhen¬ spitzen ragt ein Castell. Unter diesen detachirten Werken ist das Fort Dia- mcmte mit vier Bastionen das imposanteste. Alle Werke der äußern und in- 64*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/517>, abgerufen am 22.12.2024.