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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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das Lager und die Piccolomini geben ein viel-richtigeres Bild jener wilden
Zeit als die prosaische Erzählung, und Wallensteins Charakter ist nicht blos
psychologisch tiefer, sondern auch historisch richtiger aufgefaßt, wie die spätern
urkundlichen Forschungen bestätigt haben.

Diese Beziehung zum Drama möchte für Schillers Entwicklungsgang das
Wichtigste sein, viel bedeutender aber hat das Werk auf die allgemeine Cultur
eingewirkt: es war das einzige historische Buch jener Zeit, welches viel ge¬
lesen wurde, und seine sittliche Anschauung hat sich unauslöschlich dem Volk
eingeprägt. Seitdem ist nur noch eine protestantische Anschauung der deutschen
Geschichte möglich, was vor ihm noch gar nicht so ausgemacht war, denn
Schmidt, der einzige, der eine lesbare deutsche Geschichte geschrieben, war
Katholik und für Oestreich, obgleich gemüßigt. Daß die spätern Versuche von
Schlegel. Gfrörer. Hurter u. "., den Gesichtspunkt zu verdrehen und die Kirchen¬
trennung als das Elend Deutschlands darzustellen, ganz erfolglos geblieben
sind, verdanken' wir doch hauptsächlich dem mächtigen Eindruck, den Schillers
Rhetorik auf die Menge machte.

In demselben Sinn muß die Geschichte der Unruhen in Frankreich bis
zum Tode Karl des Neunten aufgefaßt werden, mit der Schiller den dritten
Band seiner historischen Memoires eröffnete und die später von Paulus fort¬
gesetzt wurde. Hier neigt sich nicht sowol das politische als vielmehr das
humane Interesse fast ganz auf Seite der Protestanten und in dem Admiral
Coligny kann Schiller viel unbefangener seinen Helden feiern als in Gustav
Adolph. Die ganze Erzählung ist vortrefflich und einzelne psychologische Er¬
örterungen, namentlich die über Karl den Neunten, wieder von großer Fein¬
heit; sür die Erbärmlichkeit des Jntriguenspiels, das mit einer so blutigen
Katastrophe endigte, fehlte ihm die Kenntniß des Details: daß er sonst Ironie
genug besitzt, uns auch bei tragischen Dingen hinter die Coulissen blicken zu
lassen, zeigen manche Figuren im Wallenstein. In solchen Gegenständen, wie
in der Geschichte der Fronde, hätten Huber und Körner vielleicht mehr geleistet.

Damit ist Schillers historische Laufbahn, wenn man von einigen Auf¬
sätzen absieht, die nur als Lückenbüßer für die Hören bestimmt waren, ge¬
schlossen. Ueberall tritt er im Sinn des Marquis Pos" als Verfechter des
Freiheitprincips auf. so weit dasselbe mit der Bildung und Humanität ver¬
einbar ist, für die sansculottische Freiheit hatte er keinen Sinn. In den
ästhetischen Briefen 1795 kündigte er sein Princip bestimmter an: ehe der
Einzelne von der Zucht und Sitte des Gesetzes frei gegeben werden darf, muß
er durch ästhetische Bildung moralisch befreit werden, damit der große Moment
nicht wieder ein kleines Geschlecht finde; und diese Bildung kann nur von der
Kunst ausgehn.

Sehr treffend würdigt ein Mann, dem hier vor allem ein Urtheil zu-


das Lager und die Piccolomini geben ein viel-richtigeres Bild jener wilden
Zeit als die prosaische Erzählung, und Wallensteins Charakter ist nicht blos
psychologisch tiefer, sondern auch historisch richtiger aufgefaßt, wie die spätern
urkundlichen Forschungen bestätigt haben.

Diese Beziehung zum Drama möchte für Schillers Entwicklungsgang das
Wichtigste sein, viel bedeutender aber hat das Werk auf die allgemeine Cultur
eingewirkt: es war das einzige historische Buch jener Zeit, welches viel ge¬
lesen wurde, und seine sittliche Anschauung hat sich unauslöschlich dem Volk
eingeprägt. Seitdem ist nur noch eine protestantische Anschauung der deutschen
Geschichte möglich, was vor ihm noch gar nicht so ausgemacht war, denn
Schmidt, der einzige, der eine lesbare deutsche Geschichte geschrieben, war
Katholik und für Oestreich, obgleich gemüßigt. Daß die spätern Versuche von
Schlegel. Gfrörer. Hurter u. «., den Gesichtspunkt zu verdrehen und die Kirchen¬
trennung als das Elend Deutschlands darzustellen, ganz erfolglos geblieben
sind, verdanken' wir doch hauptsächlich dem mächtigen Eindruck, den Schillers
Rhetorik auf die Menge machte.

In demselben Sinn muß die Geschichte der Unruhen in Frankreich bis
zum Tode Karl des Neunten aufgefaßt werden, mit der Schiller den dritten
Band seiner historischen Memoires eröffnete und die später von Paulus fort¬
gesetzt wurde. Hier neigt sich nicht sowol das politische als vielmehr das
humane Interesse fast ganz auf Seite der Protestanten und in dem Admiral
Coligny kann Schiller viel unbefangener seinen Helden feiern als in Gustav
Adolph. Die ganze Erzählung ist vortrefflich und einzelne psychologische Er¬
örterungen, namentlich die über Karl den Neunten, wieder von großer Fein¬
heit; sür die Erbärmlichkeit des Jntriguenspiels, das mit einer so blutigen
Katastrophe endigte, fehlte ihm die Kenntniß des Details: daß er sonst Ironie
genug besitzt, uns auch bei tragischen Dingen hinter die Coulissen blicken zu
lassen, zeigen manche Figuren im Wallenstein. In solchen Gegenständen, wie
in der Geschichte der Fronde, hätten Huber und Körner vielleicht mehr geleistet.

Damit ist Schillers historische Laufbahn, wenn man von einigen Auf¬
sätzen absieht, die nur als Lückenbüßer für die Hören bestimmt waren, ge¬
schlossen. Ueberall tritt er im Sinn des Marquis Pos« als Verfechter des
Freiheitprincips auf. so weit dasselbe mit der Bildung und Humanität ver¬
einbar ist, für die sansculottische Freiheit hatte er keinen Sinn. In den
ästhetischen Briefen 1795 kündigte er sein Princip bestimmter an: ehe der
Einzelne von der Zucht und Sitte des Gesetzes frei gegeben werden darf, muß
er durch ästhetische Bildung moralisch befreit werden, damit der große Moment
nicht wieder ein kleines Geschlecht finde; und diese Bildung kann nur von der
Kunst ausgehn.

Sehr treffend würdigt ein Mann, dem hier vor allem ein Urtheil zu-


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[0514] das Lager und die Piccolomini geben ein viel-richtigeres Bild jener wilden Zeit als die prosaische Erzählung, und Wallensteins Charakter ist nicht blos psychologisch tiefer, sondern auch historisch richtiger aufgefaßt, wie die spätern urkundlichen Forschungen bestätigt haben. Diese Beziehung zum Drama möchte für Schillers Entwicklungsgang das Wichtigste sein, viel bedeutender aber hat das Werk auf die allgemeine Cultur eingewirkt: es war das einzige historische Buch jener Zeit, welches viel ge¬ lesen wurde, und seine sittliche Anschauung hat sich unauslöschlich dem Volk eingeprägt. Seitdem ist nur noch eine protestantische Anschauung der deutschen Geschichte möglich, was vor ihm noch gar nicht so ausgemacht war, denn Schmidt, der einzige, der eine lesbare deutsche Geschichte geschrieben, war Katholik und für Oestreich, obgleich gemüßigt. Daß die spätern Versuche von Schlegel. Gfrörer. Hurter u. «., den Gesichtspunkt zu verdrehen und die Kirchen¬ trennung als das Elend Deutschlands darzustellen, ganz erfolglos geblieben sind, verdanken' wir doch hauptsächlich dem mächtigen Eindruck, den Schillers Rhetorik auf die Menge machte. In demselben Sinn muß die Geschichte der Unruhen in Frankreich bis zum Tode Karl des Neunten aufgefaßt werden, mit der Schiller den dritten Band seiner historischen Memoires eröffnete und die später von Paulus fort¬ gesetzt wurde. Hier neigt sich nicht sowol das politische als vielmehr das humane Interesse fast ganz auf Seite der Protestanten und in dem Admiral Coligny kann Schiller viel unbefangener seinen Helden feiern als in Gustav Adolph. Die ganze Erzählung ist vortrefflich und einzelne psychologische Er¬ örterungen, namentlich die über Karl den Neunten, wieder von großer Fein¬ heit; sür die Erbärmlichkeit des Jntriguenspiels, das mit einer so blutigen Katastrophe endigte, fehlte ihm die Kenntniß des Details: daß er sonst Ironie genug besitzt, uns auch bei tragischen Dingen hinter die Coulissen blicken zu lassen, zeigen manche Figuren im Wallenstein. In solchen Gegenständen, wie in der Geschichte der Fronde, hätten Huber und Körner vielleicht mehr geleistet. Damit ist Schillers historische Laufbahn, wenn man von einigen Auf¬ sätzen absieht, die nur als Lückenbüßer für die Hören bestimmt waren, ge¬ schlossen. Ueberall tritt er im Sinn des Marquis Pos« als Verfechter des Freiheitprincips auf. so weit dasselbe mit der Bildung und Humanität ver¬ einbar ist, für die sansculottische Freiheit hatte er keinen Sinn. In den ästhetischen Briefen 1795 kündigte er sein Princip bestimmter an: ehe der Einzelne von der Zucht und Sitte des Gesetzes frei gegeben werden darf, muß er durch ästhetische Bildung moralisch befreit werden, damit der große Moment nicht wieder ein kleines Geschlecht finde; und diese Bildung kann nur von der Kunst ausgehn. Sehr treffend würdigt ein Mann, dem hier vor allem ein Urtheil zu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/514>, abgerufen am 22.12.2024.