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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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Und doch, wenn Preußen sich veranlaßt sieht, die Waffen gegen den
Herrn Frankreichs zu kehren, wird der Kampf für ihn ein Krieg auf Leben
und Tod. kein großartiges militärisches Manövre, wie der Krieg in Italien
ihm und den Franzosen erscheint. Doch würde, wenn wir zuletzt seiner Herr
würden, auch für Preußen und Deutschland die kritische Frage zu beantworten
sein -- was dann? Und solche Frage haben nicht einmal wir mit souveräner
Macht zu beantworten, sondern ganz Europa wird sich das Recht nehmen,
dabei mitzusprechen und nicht zuletzt die Franzosen selbst. Der Einzelne hält
dergleichen Reflexionen gern von sich fern und verschiebt sie auf die Zukunft,
eine Regierung aber muß sich ihrer letzten Zielpunkte klar bewußt sein, denn
die Methode ihres Vorschreitens. selbst die militärischen Operationen werden
dadurch bestimmt; im entgegengesetzten Fall würde, was durch Blut und
Waffen gewonnen wird, durch Rathlosigkeit der Diplomatie wieder verloren
gehn. So ist die Frage: ob Krieg, ob Friede? für Preußens Regierung nicht
so einfach und schnell abzufertigen, als sie von einigen kleinen Cabineten
Deutschlands und den Landtagsmitgliedern derselben abgethan worden ist.

Da aber Preußen im Begriff steht, seine Vermittlerthätigkeit zu beginnen,
so soll es auch so handeln, wie bis jetzt sein Rath und Entschluß war, offen,
ehrlich und loyal, loyal auch dem Gegner. Wie ist aber eine ehrliche Me¬
diation möglich, wenn Preußen und Deutschland schon vorher der östreichischen
Regierung gegenüber bestimmt formulirte Versprechungen gegeben haben,
welche diese Jntercession nicht als einen Act selbstständiger Kraft erscheinen
lassen, 'sondern als eine feindliche Waffe, welche zu Wien geschärft worden
ist? Es versteht sich von selbst und wird von Frankreich niemals anders be¬
trachtet werden, daß eine bewaffnete Vermittlung Preußens und des deutschen
Bundes neben dem deutschen Interesse das östreichische wahrzunehmen hat.
aber es ist von entscheidender Bedeutung, ob Frankreich solche Vermittlung
als durch das preußische und deutsche Interesse geboten betrachtet, oder ob
Kaiser Napoleon von vorn herein in den Vermittlern nur die Genossen und
Vasallen östreichischen Einflusses zu sehn hat. Es ist wahrscheinlich, daß er
in dem ersten Fall so fügsam sein wird, als ihm seine Verhältnisse nur
immer erlauben, es ist mehr als wahrscheinlich, daß er im zweiten Fall das,
was er einen Mangel an Aufrichtigkeit nennen muß, mit Mißtrauen betracht
ten und seine Kräfte aufs äußerste anspannen wird, solchem demüthigenden
Zwange zu widerstehn. Es ist möglich, daß im ersten Fall die bewaffnete
Mediation gute Erfolge hat. es ist sicher, daß sie im zweiten Fall vergeblich
sein wird, nichts als das unnütze Vorspiel eines erbitterten europäischen
Krieges. Und wir meinen, Preußen und seine Bundesgenossen werden die
sehr gefährdeten Interessen Oestreichs erfolgreicher vertreten, wenn sie mit
voller Freiheit die Verhandlungen beginnen. Für Preußen selbst aber ist die


Und doch, wenn Preußen sich veranlaßt sieht, die Waffen gegen den
Herrn Frankreichs zu kehren, wird der Kampf für ihn ein Krieg auf Leben
und Tod. kein großartiges militärisches Manövre, wie der Krieg in Italien
ihm und den Franzosen erscheint. Doch würde, wenn wir zuletzt seiner Herr
würden, auch für Preußen und Deutschland die kritische Frage zu beantworten
sein — was dann? Und solche Frage haben nicht einmal wir mit souveräner
Macht zu beantworten, sondern ganz Europa wird sich das Recht nehmen,
dabei mitzusprechen und nicht zuletzt die Franzosen selbst. Der Einzelne hält
dergleichen Reflexionen gern von sich fern und verschiebt sie auf die Zukunft,
eine Regierung aber muß sich ihrer letzten Zielpunkte klar bewußt sein, denn
die Methode ihres Vorschreitens. selbst die militärischen Operationen werden
dadurch bestimmt; im entgegengesetzten Fall würde, was durch Blut und
Waffen gewonnen wird, durch Rathlosigkeit der Diplomatie wieder verloren
gehn. So ist die Frage: ob Krieg, ob Friede? für Preußens Regierung nicht
so einfach und schnell abzufertigen, als sie von einigen kleinen Cabineten
Deutschlands und den Landtagsmitgliedern derselben abgethan worden ist.

Da aber Preußen im Begriff steht, seine Vermittlerthätigkeit zu beginnen,
so soll es auch so handeln, wie bis jetzt sein Rath und Entschluß war, offen,
ehrlich und loyal, loyal auch dem Gegner. Wie ist aber eine ehrliche Me¬
diation möglich, wenn Preußen und Deutschland schon vorher der östreichischen
Regierung gegenüber bestimmt formulirte Versprechungen gegeben haben,
welche diese Jntercession nicht als einen Act selbstständiger Kraft erscheinen
lassen, 'sondern als eine feindliche Waffe, welche zu Wien geschärft worden
ist? Es versteht sich von selbst und wird von Frankreich niemals anders be¬
trachtet werden, daß eine bewaffnete Vermittlung Preußens und des deutschen
Bundes neben dem deutschen Interesse das östreichische wahrzunehmen hat.
aber es ist von entscheidender Bedeutung, ob Frankreich solche Vermittlung
als durch das preußische und deutsche Interesse geboten betrachtet, oder ob
Kaiser Napoleon von vorn herein in den Vermittlern nur die Genossen und
Vasallen östreichischen Einflusses zu sehn hat. Es ist wahrscheinlich, daß er
in dem ersten Fall so fügsam sein wird, als ihm seine Verhältnisse nur
immer erlauben, es ist mehr als wahrscheinlich, daß er im zweiten Fall das,
was er einen Mangel an Aufrichtigkeit nennen muß, mit Mißtrauen betracht
ten und seine Kräfte aufs äußerste anspannen wird, solchem demüthigenden
Zwange zu widerstehn. Es ist möglich, daß im ersten Fall die bewaffnete
Mediation gute Erfolge hat. es ist sicher, daß sie im zweiten Fall vergeblich
sein wird, nichts als das unnütze Vorspiel eines erbitterten europäischen
Krieges. Und wir meinen, Preußen und seine Bundesgenossen werden die
sehr gefährdeten Interessen Oestreichs erfolgreicher vertreten, wenn sie mit
voller Freiheit die Verhandlungen beginnen. Für Preußen selbst aber ist die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/480>, abgerufen am 22.12.2024.