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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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mahnte, wurde er um deswillen von seinem eigenen Vater Eulalius, Bischof
von Cäsarien, abgesetzt. Von Justin, dem Märtyrer, wird ausdrücklich be¬
richtet, daß er den groben Philosophenmantel beibehielt und den Bart sich
wachsen ließ, auch nachdem er Christ geworden war; das Gleiche gilt von
Aristides: auch er behielt nach seinem Uebertritt die Tracht und Weise der
Philosophen bei. Von Athenagoras wird dasselbe erzählt, von Hermias
wenigstens vermuthet. Tertullian nahm nach seinem Uebergang zum Christen¬
thum den Philosophenmantel sogar erst an. Dazu kommt, daß im dritten
Jahrhundert mehre als Asketen auftraten, deren Erscheinung, wie wir aus
Tertullians Schrift "vom Pallium" wissen, große Aehnlichkeit mit der der Phi¬
losophen hatte. Nicht grade wunderbar, finde ich! Gab es doch auch unter
den damaligen Philosophen, den Neuplatonikern, bereits zahlreiche und eif¬
rige Asketen, welche der Ehe, der Gesellschaft, des Eigenthums, selbst der
Fleischspeisen sich zur möglichsten Ertödtung der Sinnlichkeit enthielten.

Ich sehe daher in der philosophischen Tracht der apostolischen Väter und
Asketen etwa nichts Besonderes, Auffallendes und absichtlich Gesuchtes, sondern
ich sehe in ihr nur etwas Selbstverständliches und Natürliches, was dem
Wesen des Christenthums und der Christen jener Tage sehr wohl ansteht, von
denen der unbekannte Apologet und Verfasser des Briefes an den Diognet
speciell berichtet: "sie unterscheiden sich weder durch ein besonderes Vaterland,
noch durch eine besondere Sprache, noch durch eine eigenthümliche Volkssitte
von den übrigen Menschen. Sie wohnen in griechischen und barbarischen Städ-
sen, wohin jeden das Schicksal führt, indem sie der Landessitte in der
Wahl der Kleidung und der Speisen, so wie der übrigen Lebensart folgen."

Ehe ich nun ausführlich nachweise, wie die Tracht hier mit der Haltung
und dem Wesen dieser Verbreiter und Vertheidiger der christlichen Lehre und
somit dem Christenthum der ersten beiden Jahrhunderte selbst übereinstimmt,
gestatte man mir noch eine Fabel zu berichten, weil dieselbe jedenfalls zur
Genüge beweist, daß die spätere Zeit auch die Apostel selbst sich nicht anders
vorgestellt hat, als in der Tracht der genannten Apologeten des zweiten und
dritten Jahrhunderts. Agnellus, jener schon erwähnte Geschichtschreiber, berichtet:
Bischof Maximianus von Ravenna hätte für die Basilika des h. Andreas
sich den Leichnam dieses Apostels aus Byzanz erbeten. Da Kaiser Justinian
nun diese Bitte ihm abgeschlagen Hütte, so habe er gefleht: man möge ihm
doch erlauben, wenigstens eine Nacht an der Leiche des Heiligen zu durch¬
wachen. Da man ihm dies ohne Bedenken gestattet habe, so sei es über
ihn gekommen, er wisse selbst nicht wie, und er habe, um doch wenigstens
eine Reliquie von dem Apostel nach Ravenna zu bringen, dem heiligen
Manne den Bart abgeschnitten. Agnellus bedauert dabei nur. daß der Dieb¬
stahl der ganzen Leiche unmöglich gewesen sei.


mahnte, wurde er um deswillen von seinem eigenen Vater Eulalius, Bischof
von Cäsarien, abgesetzt. Von Justin, dem Märtyrer, wird ausdrücklich be¬
richtet, daß er den groben Philosophenmantel beibehielt und den Bart sich
wachsen ließ, auch nachdem er Christ geworden war; das Gleiche gilt von
Aristides: auch er behielt nach seinem Uebertritt die Tracht und Weise der
Philosophen bei. Von Athenagoras wird dasselbe erzählt, von Hermias
wenigstens vermuthet. Tertullian nahm nach seinem Uebergang zum Christen¬
thum den Philosophenmantel sogar erst an. Dazu kommt, daß im dritten
Jahrhundert mehre als Asketen auftraten, deren Erscheinung, wie wir aus
Tertullians Schrift „vom Pallium" wissen, große Aehnlichkeit mit der der Phi¬
losophen hatte. Nicht grade wunderbar, finde ich! Gab es doch auch unter
den damaligen Philosophen, den Neuplatonikern, bereits zahlreiche und eif¬
rige Asketen, welche der Ehe, der Gesellschaft, des Eigenthums, selbst der
Fleischspeisen sich zur möglichsten Ertödtung der Sinnlichkeit enthielten.

Ich sehe daher in der philosophischen Tracht der apostolischen Väter und
Asketen etwa nichts Besonderes, Auffallendes und absichtlich Gesuchtes, sondern
ich sehe in ihr nur etwas Selbstverständliches und Natürliches, was dem
Wesen des Christenthums und der Christen jener Tage sehr wohl ansteht, von
denen der unbekannte Apologet und Verfasser des Briefes an den Diognet
speciell berichtet: „sie unterscheiden sich weder durch ein besonderes Vaterland,
noch durch eine besondere Sprache, noch durch eine eigenthümliche Volkssitte
von den übrigen Menschen. Sie wohnen in griechischen und barbarischen Städ-
sen, wohin jeden das Schicksal führt, indem sie der Landessitte in der
Wahl der Kleidung und der Speisen, so wie der übrigen Lebensart folgen."

Ehe ich nun ausführlich nachweise, wie die Tracht hier mit der Haltung
und dem Wesen dieser Verbreiter und Vertheidiger der christlichen Lehre und
somit dem Christenthum der ersten beiden Jahrhunderte selbst übereinstimmt,
gestatte man mir noch eine Fabel zu berichten, weil dieselbe jedenfalls zur
Genüge beweist, daß die spätere Zeit auch die Apostel selbst sich nicht anders
vorgestellt hat, als in der Tracht der genannten Apologeten des zweiten und
dritten Jahrhunderts. Agnellus, jener schon erwähnte Geschichtschreiber, berichtet:
Bischof Maximianus von Ravenna hätte für die Basilika des h. Andreas
sich den Leichnam dieses Apostels aus Byzanz erbeten. Da Kaiser Justinian
nun diese Bitte ihm abgeschlagen Hütte, so habe er gefleht: man möge ihm
doch erlauben, wenigstens eine Nacht an der Leiche des Heiligen zu durch¬
wachen. Da man ihm dies ohne Bedenken gestattet habe, so sei es über
ihn gekommen, er wisse selbst nicht wie, und er habe, um doch wenigstens
eine Reliquie von dem Apostel nach Ravenna zu bringen, dem heiligen
Manne den Bart abgeschnitten. Agnellus bedauert dabei nur. daß der Dieb¬
stahl der ganzen Leiche unmöglich gewesen sei.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/422>, abgerufen am 22.12.2024.