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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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beide in ihrer Art sind! Geschmack und Lebensweise stehn in den entgegen¬
gesetzten Enden. Das verdiente weder sie noch er. daß sie sich täuschend ein¬
ander unglücklich machten. Und wenn mein Mann nun in diesem entschei¬
denden Augenblick im Austrag der Mutter ihnen beiden sagte: steht einen
Augenblick still und befragt eure Herzen um die Wahrheit eures Verhältnisses!
-- hätte er dadurch dem Richter unrecht gethan? Und dann war ohne unser
Wissen die ganze Scene schon vorbereitet. Nachdem wir von Ilmenau zurück
waren, kam Richter den fünften Tag zum ersten Mal zu uns. und sah so
verklärt und höchst zufrieden aus, wie wir ihn seit langer Zeit nicht gesehn.
Es siel allen seinen Bekannten auf. Dies löst den Knoten von selbst, über
den wir so bekümmert waren: die beiden und ihr Schicksal hatten ihn schon
gelöst, ehe wirs wußten."

Herder schreibt. 4. August, an Karoline*) (indem er von ihr den Schci-
dungsbrief für Jean Paul empfängt): ..Und nun? trauern Sie noch? Mich
dünkt, wenn Sie die ganze Reihe der Scenen überdenken, wie sich das Ver¬
hältniß entspann, wie es fortgeführt ward, wie es auseinanderging, o so
müssen Sie sich freuen und Gott danken! -- Ich will nichts über oder gegen
Richter sagen, denn ich bin nicht sein Richter. Ich war nicht bei dem An¬
fang des Bündnisses, weiß auch davon so gut wie nichts; daß ich ihn aber
nach dem ersten Aufrollen so alltäglich ruhig, so der Sache vergessen sah. in¬
deß Sie litten und stritten, beunruhigte mich schon. Daß ihm jeder Gedanke,
an Etablissement und Realität zu denken, so lästig, so widrig war. schien
mir noch unwillkommner. Dies war auch die Ursache, warum ich. ehe ich
Sie beide zusammen sah. nach der ersten Aeußerung kein Wort schreiben



") Diesen Brief, für Jean Pauls poetischen Charakter so höchst bezeichnend, entlehnen
wir, wie die übrige Korrespondenz mit Herder, aus dem Werk: "Aus Herders Nachlaß-
Herausgegeben von H. Düntzer und F. G. v. Herder, 3 Bde., Frankfurt a. M" Sauer¬
lander; 1856--7," auf das wir noch einige Mal zurückkomme" werden; es ist für das Stu¬
dium der geheimen Lebensbeziehungen jener Zeit eine der wichtigsten Quellen. Der 1- Bd.
enthält die Correspondenz mit Goethe. Schiller. Klopstock, Lenz. Jean Paul und Claudius
(letztere haben wir bereits benutzt). Eine komische Aeußerung Klopstocks führen wir an, als
Herders Metakritik erschienen war, 14. Juli 1799! "Sie haben es der Mühe werth gehalten,
über Kant zu schreiben." "Sollich sagen Krieg gegen Hirngespinnste oder Hirngespenste?
Warans Gespinnste, so fegten Sie Spinnwebe weg. Warens Gespenste, nun so hatten Sie es
nun mit etwas andern Geistersehern zu thun, als die waren, die noch vor kurzem an wirkliche
Erscheinungen Glauben forderten." "Ich habe nur scharmützelt. Ein einziges Aristophanisches
Wort und noch ein paar Wörtclein, bei denen ich mich anstellte, als ob ich nur Gramma¬
tisches untersuchte, schienen mir zureichend zu sein." -- Im 2. Bde. stehen die Briefe von
Lavater. Mendelssohn, Jacobi, Zimmermann. Forster und dem jungen Herder. Am bedeu¬
tendsten für den Gegensatz der Philosophischen Ueberzeugungen, und ein schlagender Beweis
für Herders Spinozismus sind die Briefe mit Jacobi; Herder stand in jenen Streitfragen ent¬
schieden auf Goethes Seite. -- Der 3. Bd. enthält die Correspondenz zwischen Herder und
seiner spätern Frau: der Contrast dieser Periode gegen die spätere Zeit, in welchem Rahelden
Mittelpunkt der schönen Seelen bildete, ist so auffallend, daß wir noch einmal darauf zurück¬
kommen.

beide in ihrer Art sind! Geschmack und Lebensweise stehn in den entgegen¬
gesetzten Enden. Das verdiente weder sie noch er. daß sie sich täuschend ein¬
ander unglücklich machten. Und wenn mein Mann nun in diesem entschei¬
denden Augenblick im Austrag der Mutter ihnen beiden sagte: steht einen
Augenblick still und befragt eure Herzen um die Wahrheit eures Verhältnisses!
— hätte er dadurch dem Richter unrecht gethan? Und dann war ohne unser
Wissen die ganze Scene schon vorbereitet. Nachdem wir von Ilmenau zurück
waren, kam Richter den fünften Tag zum ersten Mal zu uns. und sah so
verklärt und höchst zufrieden aus, wie wir ihn seit langer Zeit nicht gesehn.
Es siel allen seinen Bekannten auf. Dies löst den Knoten von selbst, über
den wir so bekümmert waren: die beiden und ihr Schicksal hatten ihn schon
gelöst, ehe wirs wußten."

Herder schreibt. 4. August, an Karoline*) (indem er von ihr den Schci-
dungsbrief für Jean Paul empfängt): ..Und nun? trauern Sie noch? Mich
dünkt, wenn Sie die ganze Reihe der Scenen überdenken, wie sich das Ver¬
hältniß entspann, wie es fortgeführt ward, wie es auseinanderging, o so
müssen Sie sich freuen und Gott danken! — Ich will nichts über oder gegen
Richter sagen, denn ich bin nicht sein Richter. Ich war nicht bei dem An¬
fang des Bündnisses, weiß auch davon so gut wie nichts; daß ich ihn aber
nach dem ersten Aufrollen so alltäglich ruhig, so der Sache vergessen sah. in¬
deß Sie litten und stritten, beunruhigte mich schon. Daß ihm jeder Gedanke,
an Etablissement und Realität zu denken, so lästig, so widrig war. schien
mir noch unwillkommner. Dies war auch die Ursache, warum ich. ehe ich
Sie beide zusammen sah. nach der ersten Aeußerung kein Wort schreiben



") Diesen Brief, für Jean Pauls poetischen Charakter so höchst bezeichnend, entlehnen
wir, wie die übrige Korrespondenz mit Herder, aus dem Werk: „Aus Herders Nachlaß-
Herausgegeben von H. Düntzer und F. G. v. Herder, 3 Bde., Frankfurt a. M„ Sauer¬
lander; 1856—7," auf das wir noch einige Mal zurückkomme» werden; es ist für das Stu¬
dium der geheimen Lebensbeziehungen jener Zeit eine der wichtigsten Quellen. Der 1- Bd.
enthält die Correspondenz mit Goethe. Schiller. Klopstock, Lenz. Jean Paul und Claudius
(letztere haben wir bereits benutzt). Eine komische Aeußerung Klopstocks führen wir an, als
Herders Metakritik erschienen war, 14. Juli 1799! „Sie haben es der Mühe werth gehalten,
über Kant zu schreiben." „Sollich sagen Krieg gegen Hirngespinnste oder Hirngespenste?
Warans Gespinnste, so fegten Sie Spinnwebe weg. Warens Gespenste, nun so hatten Sie es
nun mit etwas andern Geistersehern zu thun, als die waren, die noch vor kurzem an wirkliche
Erscheinungen Glauben forderten." „Ich habe nur scharmützelt. Ein einziges Aristophanisches
Wort und noch ein paar Wörtclein, bei denen ich mich anstellte, als ob ich nur Gramma¬
tisches untersuchte, schienen mir zureichend zu sein." — Im 2. Bde. stehen die Briefe von
Lavater. Mendelssohn, Jacobi, Zimmermann. Forster und dem jungen Herder. Am bedeu¬
tendsten für den Gegensatz der Philosophischen Ueberzeugungen, und ein schlagender Beweis
für Herders Spinozismus sind die Briefe mit Jacobi; Herder stand in jenen Streitfragen ent¬
schieden auf Goethes Seite. — Der 3. Bd. enthält die Correspondenz zwischen Herder und
seiner spätern Frau: der Contrast dieser Periode gegen die spätere Zeit, in welchem Rahelden
Mittelpunkt der schönen Seelen bildete, ist so auffallend, daß wir noch einmal darauf zurück¬
kommen.
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[0386] beide in ihrer Art sind! Geschmack und Lebensweise stehn in den entgegen¬ gesetzten Enden. Das verdiente weder sie noch er. daß sie sich täuschend ein¬ ander unglücklich machten. Und wenn mein Mann nun in diesem entschei¬ denden Augenblick im Austrag der Mutter ihnen beiden sagte: steht einen Augenblick still und befragt eure Herzen um die Wahrheit eures Verhältnisses! — hätte er dadurch dem Richter unrecht gethan? Und dann war ohne unser Wissen die ganze Scene schon vorbereitet. Nachdem wir von Ilmenau zurück waren, kam Richter den fünften Tag zum ersten Mal zu uns. und sah so verklärt und höchst zufrieden aus, wie wir ihn seit langer Zeit nicht gesehn. Es siel allen seinen Bekannten auf. Dies löst den Knoten von selbst, über den wir so bekümmert waren: die beiden und ihr Schicksal hatten ihn schon gelöst, ehe wirs wußten." Herder schreibt. 4. August, an Karoline*) (indem er von ihr den Schci- dungsbrief für Jean Paul empfängt): ..Und nun? trauern Sie noch? Mich dünkt, wenn Sie die ganze Reihe der Scenen überdenken, wie sich das Ver¬ hältniß entspann, wie es fortgeführt ward, wie es auseinanderging, o so müssen Sie sich freuen und Gott danken! — Ich will nichts über oder gegen Richter sagen, denn ich bin nicht sein Richter. Ich war nicht bei dem An¬ fang des Bündnisses, weiß auch davon so gut wie nichts; daß ich ihn aber nach dem ersten Aufrollen so alltäglich ruhig, so der Sache vergessen sah. in¬ deß Sie litten und stritten, beunruhigte mich schon. Daß ihm jeder Gedanke, an Etablissement und Realität zu denken, so lästig, so widrig war. schien mir noch unwillkommner. Dies war auch die Ursache, warum ich. ehe ich Sie beide zusammen sah. nach der ersten Aeußerung kein Wort schreiben ") Diesen Brief, für Jean Pauls poetischen Charakter so höchst bezeichnend, entlehnen wir, wie die übrige Korrespondenz mit Herder, aus dem Werk: „Aus Herders Nachlaß- Herausgegeben von H. Düntzer und F. G. v. Herder, 3 Bde., Frankfurt a. M„ Sauer¬ lander; 1856—7," auf das wir noch einige Mal zurückkomme» werden; es ist für das Stu¬ dium der geheimen Lebensbeziehungen jener Zeit eine der wichtigsten Quellen. Der 1- Bd. enthält die Correspondenz mit Goethe. Schiller. Klopstock, Lenz. Jean Paul und Claudius (letztere haben wir bereits benutzt). Eine komische Aeußerung Klopstocks führen wir an, als Herders Metakritik erschienen war, 14. Juli 1799! „Sie haben es der Mühe werth gehalten, über Kant zu schreiben." „Sollich sagen Krieg gegen Hirngespinnste oder Hirngespenste? Warans Gespinnste, so fegten Sie Spinnwebe weg. Warens Gespenste, nun so hatten Sie es nun mit etwas andern Geistersehern zu thun, als die waren, die noch vor kurzem an wirkliche Erscheinungen Glauben forderten." „Ich habe nur scharmützelt. Ein einziges Aristophanisches Wort und noch ein paar Wörtclein, bei denen ich mich anstellte, als ob ich nur Gramma¬ tisches untersuchte, schienen mir zureichend zu sein." — Im 2. Bde. stehen die Briefe von Lavater. Mendelssohn, Jacobi, Zimmermann. Forster und dem jungen Herder. Am bedeu¬ tendsten für den Gegensatz der Philosophischen Ueberzeugungen, und ein schlagender Beweis für Herders Spinozismus sind die Briefe mit Jacobi; Herder stand in jenen Streitfragen ent¬ schieden auf Goethes Seite. — Der 3. Bd. enthält die Correspondenz zwischen Herder und seiner spätern Frau: der Contrast dieser Periode gegen die spätere Zeit, in welchem Rahelden Mittelpunkt der schönen Seelen bildete, ist so auffallend, daß wir noch einmal darauf zurück¬ kommen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/386>, abgerufen am 22.12.2024.