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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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die revolutionäre Leidenschaft neu anzufachen. Heute wird man wol darüber
einig sein, daß die Hinrichtung derselben ein Selbstmord des neuen König¬
thums gewesen wäre. Daß sie dem Volk nicht Preis gegeben werden dursten,
darüber waren auch die liberalen Mitglieder des Cabinets einig; auch Lafay-
ette hat sich in dieser Sache durchaus ehrenvoll benommen, aber man hatte
doch allgemein das Gefühl, daß dem Volk um so vieler Enttäuschungen wil¬
len ein Sühnopfer hingeworfen werden müsse, und so wurden am 3. Nov.
die reactionüren Mitglieder des Cabinets, darunter Guizot, entlassen und die
liberale Partei Lasittes hatte ausschließlich das Heft in Händen.

Die Gelegenheit zu einer volksthümlichen Demonstration gab der Tod
Benjamin Constants 8. December. Von diesem geistvollen Redner ent¬
wirft Guizot eine schwarze Schilderung, die aber durch andere Berichte, na¬
mentlich durch Ste. Beuve, in der Hauptsache bestätigt wird. --Von einem
vielseitigen, umfassenden, bildsamen Geist, ein scharfsinniger Dialektiker, in
der Unterhaltung und im Pamphlet glänzend; aber, ein sophistischer Skeptiker,
ein rücksichtsloser Spötter ohne Ueberzeugung, der sich aus Langeweile den schon
erloschenen Leidenschaften überließ und einzig darauf dachte, für eine blasirte
Seele und ein abgenutztes Leben einige Unterhaltung und einiges Interesse
zu suchen. Der König hatte ihm 100,000 Franken geschenkt; trotzdem ergab er
sich der schlimmsten Art der Opposition, er schmeichelte den Leidenschaften des
Pöbels. Es war ihm weder gelungen, sein Vermögen noch seine Seele wieder
aufzurichten, er blieb ruinirt, und gab auf der Tribüne seiner Traurigkeit
einen patriotischen Anstrich: Lotte tristesse, messieurs, dea-ueoux la eom-
Prermeut, beaueoux in. xartageut; je ne ins xermettr^i ac vous 1'ex-
M^ner. Zuletzt hatte er seinen Ehrgeiz aus die Akademie gerichtet; Guizot
sollte ihm den Weg dazu durch einen Gewaltschritt bahnen; seine Weigerung
war ein nicht unwesentlicher Grund der gegenseitigen Feindschaft.

Der Proceß der Minister wurde entschieden, die Todesstrafe abgewandt,
die Gährung des Volks schnell unterdrückt. Die Kammern beschlossen den
Sieg weiter zu verfolgen. Lafayettes Stellung war im Widerspruch mit allen
übrigen Staatseinrichtungen; die Kammer beschloß, sie aufzuheben. Lafanette
ihr zuvor, er reichte seine Entlassung ein: aveo ach tormes simples, it
etait zur et ner. Nun fing zwischen ihm und dem König, der vor jedem
energischen Entschluß zurückbebte, eine lange Komödie an: 1e roi, äans ses
6em0usti irtions rM-kees on ecrites, ckoima.it s, ig. eomeckie qui Sö jous tou-
clvM's un peu entre les geteuis politiques, xlus cke xlaes que u'en vxig'can
La role; et I-atavette, an milieu ac ses velleit^s rexublieÄiies, plus tem6-
ran'L en ickee yue Irarcli claus l'action, se laissait xousser a, entrexreuckre
^eaueoup Ms qu'it ne xvuvs.it on u'osait executer. Er hatte seine Popu¬
larität überschätzt; die Sache wurde fast ohne Anstand durchgeführt.


Grenzboten I. 1859. 4

die revolutionäre Leidenschaft neu anzufachen. Heute wird man wol darüber
einig sein, daß die Hinrichtung derselben ein Selbstmord des neuen König¬
thums gewesen wäre. Daß sie dem Volk nicht Preis gegeben werden dursten,
darüber waren auch die liberalen Mitglieder des Cabinets einig; auch Lafay-
ette hat sich in dieser Sache durchaus ehrenvoll benommen, aber man hatte
doch allgemein das Gefühl, daß dem Volk um so vieler Enttäuschungen wil¬
len ein Sühnopfer hingeworfen werden müsse, und so wurden am 3. Nov.
die reactionüren Mitglieder des Cabinets, darunter Guizot, entlassen und die
liberale Partei Lasittes hatte ausschließlich das Heft in Händen.

Die Gelegenheit zu einer volksthümlichen Demonstration gab der Tod
Benjamin Constants 8. December. Von diesem geistvollen Redner ent¬
wirft Guizot eine schwarze Schilderung, die aber durch andere Berichte, na¬
mentlich durch Ste. Beuve, in der Hauptsache bestätigt wird. —Von einem
vielseitigen, umfassenden, bildsamen Geist, ein scharfsinniger Dialektiker, in
der Unterhaltung und im Pamphlet glänzend; aber, ein sophistischer Skeptiker,
ein rücksichtsloser Spötter ohne Ueberzeugung, der sich aus Langeweile den schon
erloschenen Leidenschaften überließ und einzig darauf dachte, für eine blasirte
Seele und ein abgenutztes Leben einige Unterhaltung und einiges Interesse
zu suchen. Der König hatte ihm 100,000 Franken geschenkt; trotzdem ergab er
sich der schlimmsten Art der Opposition, er schmeichelte den Leidenschaften des
Pöbels. Es war ihm weder gelungen, sein Vermögen noch seine Seele wieder
aufzurichten, er blieb ruinirt, und gab auf der Tribüne seiner Traurigkeit
einen patriotischen Anstrich: Lotte tristesse, messieurs, dea-ueoux la eom-
Prermeut, beaueoux in. xartageut; je ne ins xermettr^i ac vous 1'ex-
M^ner. Zuletzt hatte er seinen Ehrgeiz aus die Akademie gerichtet; Guizot
sollte ihm den Weg dazu durch einen Gewaltschritt bahnen; seine Weigerung
war ein nicht unwesentlicher Grund der gegenseitigen Feindschaft.

Der Proceß der Minister wurde entschieden, die Todesstrafe abgewandt,
die Gährung des Volks schnell unterdrückt. Die Kammern beschlossen den
Sieg weiter zu verfolgen. Lafayettes Stellung war im Widerspruch mit allen
übrigen Staatseinrichtungen; die Kammer beschloß, sie aufzuheben. Lafanette
ihr zuvor, er reichte seine Entlassung ein: aveo ach tormes simples, it
etait zur et ner. Nun fing zwischen ihm und dem König, der vor jedem
energischen Entschluß zurückbebte, eine lange Komödie an: 1e roi, äans ses
6em0usti irtions rM-kees on ecrites, ckoima.it s, ig. eomeckie qui Sö jous tou-
clvM's un peu entre les geteuis politiques, xlus cke xlaes que u'en vxig'can
La role; et I-atavette, an milieu ac ses velleit^s rexublieÄiies, plus tem6-
ran'L en ickee yue Irarcli claus l'action, se laissait xousser a, entrexreuckre
^eaueoup Ms qu'it ne xvuvs.it on u'osait executer. Er hatte seine Popu¬
larität überschätzt; die Sache wurde fast ohne Anstand durchgeführt.


Grenzboten I. 1859. 4
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[0035] die revolutionäre Leidenschaft neu anzufachen. Heute wird man wol darüber einig sein, daß die Hinrichtung derselben ein Selbstmord des neuen König¬ thums gewesen wäre. Daß sie dem Volk nicht Preis gegeben werden dursten, darüber waren auch die liberalen Mitglieder des Cabinets einig; auch Lafay- ette hat sich in dieser Sache durchaus ehrenvoll benommen, aber man hatte doch allgemein das Gefühl, daß dem Volk um so vieler Enttäuschungen wil¬ len ein Sühnopfer hingeworfen werden müsse, und so wurden am 3. Nov. die reactionüren Mitglieder des Cabinets, darunter Guizot, entlassen und die liberale Partei Lasittes hatte ausschließlich das Heft in Händen. Die Gelegenheit zu einer volksthümlichen Demonstration gab der Tod Benjamin Constants 8. December. Von diesem geistvollen Redner ent¬ wirft Guizot eine schwarze Schilderung, die aber durch andere Berichte, na¬ mentlich durch Ste. Beuve, in der Hauptsache bestätigt wird. —Von einem vielseitigen, umfassenden, bildsamen Geist, ein scharfsinniger Dialektiker, in der Unterhaltung und im Pamphlet glänzend; aber, ein sophistischer Skeptiker, ein rücksichtsloser Spötter ohne Ueberzeugung, der sich aus Langeweile den schon erloschenen Leidenschaften überließ und einzig darauf dachte, für eine blasirte Seele und ein abgenutztes Leben einige Unterhaltung und einiges Interesse zu suchen. Der König hatte ihm 100,000 Franken geschenkt; trotzdem ergab er sich der schlimmsten Art der Opposition, er schmeichelte den Leidenschaften des Pöbels. Es war ihm weder gelungen, sein Vermögen noch seine Seele wieder aufzurichten, er blieb ruinirt, und gab auf der Tribüne seiner Traurigkeit einen patriotischen Anstrich: Lotte tristesse, messieurs, dea-ueoux la eom- Prermeut, beaueoux in. xartageut; je ne ins xermettr^i ac vous 1'ex- M^ner. Zuletzt hatte er seinen Ehrgeiz aus die Akademie gerichtet; Guizot sollte ihm den Weg dazu durch einen Gewaltschritt bahnen; seine Weigerung war ein nicht unwesentlicher Grund der gegenseitigen Feindschaft. Der Proceß der Minister wurde entschieden, die Todesstrafe abgewandt, die Gährung des Volks schnell unterdrückt. Die Kammern beschlossen den Sieg weiter zu verfolgen. Lafayettes Stellung war im Widerspruch mit allen übrigen Staatseinrichtungen; die Kammer beschloß, sie aufzuheben. Lafanette ihr zuvor, er reichte seine Entlassung ein: aveo ach tormes simples, it etait zur et ner. Nun fing zwischen ihm und dem König, der vor jedem energischen Entschluß zurückbebte, eine lange Komödie an: 1e roi, äans ses 6em0usti irtions rM-kees on ecrites, ckoima.it s, ig. eomeckie qui Sö jous tou- clvM's un peu entre les geteuis politiques, xlus cke xlaes que u'en vxig'can La role; et I-atavette, an milieu ac ses velleit^s rexublieÄiies, plus tem6- ran'L en ickee yue Irarcli claus l'action, se laissait xousser a, entrexreuckre ^eaueoup Ms qu'it ne xvuvs.it on u'osait executer. Er hatte seine Popu¬ larität überschätzt; die Sache wurde fast ohne Anstand durchgeführt. Grenzboten I. 1859. 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/35>, abgerufen am 22.12.2024.