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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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sehr nahe gelegt, nicht zu Stande gekommen ist und hoffentlich nie zu Stande
kommen wird, liegt hauptsächlich in zwei Gründen.

Einmal in dem Fortschritt des sittlich-religiösen Gefühls in Deutschland,
welches eine Erneuerung solcher Unternehmungen, die im Zeitalter Friedrich
des Großen keine Anomalie waren, völlig unmöglich macht. Sodann im
Aufschwung des Nationalgefühls, zuerst durch Klopstock und die darauf fol¬
genden Dichter hervorgebracht, dann durch die Freiheitskriege gefestet. Dies
Nationalgefühl ist unser Erbgut; derjenige von den beiden Staaten wird den
andern überflügeln, der diesem Gefühl die größte Befriedigung verspricht.

Nicht in der Form des Kaiserthums! Zum römischen Kaiserthum des
Mittelalters haben wir keine Beziehung mehr, an die Zeiten des östreichischen
Kaiserthums zurückzudenken, werden wir durch die Herrlichkeiten dieser
Zeiten nicht verlockt. Deutschland kann nur in der Form des Dualismus
constituirt werden, in einer Form, die gesetzlich sixirt, was thatsächlich vor¬
handen ist. Wie das im Einzelnen durchzuführen, darüber hat wol, nachdem
die Idee des Herrn von Radowitz gescheitert ist, keiner ein bestimmtes Bild;
es kommt aber auch nicht darauf an, da wir warten können, wenn wir
auch auf einen vorbereitenden Schritt während der jetzigen Krisis rechnen.
Nur wiederholt werden muß beständig: der Fortschritt Deutschlands liegt in
der Einigkeit Oestreichs und Preußens; die Möglichkeit derselben liegt in der
Unabhängigkeit beider Staaten voneinander. Preußen hat andere
Lebenselemente als Oestreich, sie in einer Verfassung vereinigen zu wollen würde
sie zu Feinden machen. Und jeder derartige Versuch wird ebenso scheitern wie
der vom Jahre 1848.

In einer neu erschienenen Schrift "die Tradition der preußischen
Politik, niedergelegt in drei geschichtlichen Aufsätzen, entsprechend der nationalen,
der politischen, der religiösen Grundlage des preußischen Staats" (Berlin,
Springer) sucht der Verfasser nachzuweisen, daß' Preußen der natürliche Geg¬
ner Oestreichs, und ein Fortschritt nur dann möglich sei, wenn man die Tra¬
ditionen Friedrichs des Großen wieder aufnähme. Wir sind der entgegen¬
gesetzten Meinung; wol aber halten wir dafür, daß Preußen seine Politik
unabhängig von Oestreich bestimmen und über die gegenseitigen Leistungen
mit Oestreich rechnen muß. Das ist nicht blos sein Recht, sondern seine Pflicht
gegen das preußische, gegen das deutsche Volk. Nur muß Preußen immer
daran denken, daß es mit einer Macht zu thun hat, die im Ganzen günstiger
situirt ist und besser zu rechnen versteht und die außerdem durch ihre alte
diplomatische Erziehung den großen Vorzug besitzt, in dem Augenblick, wo sie
am besten rechnet, die Gemüthlichkeit spielen zu lassen.




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sehr nahe gelegt, nicht zu Stande gekommen ist und hoffentlich nie zu Stande
kommen wird, liegt hauptsächlich in zwei Gründen.

Einmal in dem Fortschritt des sittlich-religiösen Gefühls in Deutschland,
welches eine Erneuerung solcher Unternehmungen, die im Zeitalter Friedrich
des Großen keine Anomalie waren, völlig unmöglich macht. Sodann im
Aufschwung des Nationalgefühls, zuerst durch Klopstock und die darauf fol¬
genden Dichter hervorgebracht, dann durch die Freiheitskriege gefestet. Dies
Nationalgefühl ist unser Erbgut; derjenige von den beiden Staaten wird den
andern überflügeln, der diesem Gefühl die größte Befriedigung verspricht.

Nicht in der Form des Kaiserthums! Zum römischen Kaiserthum des
Mittelalters haben wir keine Beziehung mehr, an die Zeiten des östreichischen
Kaiserthums zurückzudenken, werden wir durch die Herrlichkeiten dieser
Zeiten nicht verlockt. Deutschland kann nur in der Form des Dualismus
constituirt werden, in einer Form, die gesetzlich sixirt, was thatsächlich vor¬
handen ist. Wie das im Einzelnen durchzuführen, darüber hat wol, nachdem
die Idee des Herrn von Radowitz gescheitert ist, keiner ein bestimmtes Bild;
es kommt aber auch nicht darauf an, da wir warten können, wenn wir
auch auf einen vorbereitenden Schritt während der jetzigen Krisis rechnen.
Nur wiederholt werden muß beständig: der Fortschritt Deutschlands liegt in
der Einigkeit Oestreichs und Preußens; die Möglichkeit derselben liegt in der
Unabhängigkeit beider Staaten voneinander. Preußen hat andere
Lebenselemente als Oestreich, sie in einer Verfassung vereinigen zu wollen würde
sie zu Feinden machen. Und jeder derartige Versuch wird ebenso scheitern wie
der vom Jahre 1848.

In einer neu erschienenen Schrift „die Tradition der preußischen
Politik, niedergelegt in drei geschichtlichen Aufsätzen, entsprechend der nationalen,
der politischen, der religiösen Grundlage des preußischen Staats" (Berlin,
Springer) sucht der Verfasser nachzuweisen, daß' Preußen der natürliche Geg¬
ner Oestreichs, und ein Fortschritt nur dann möglich sei, wenn man die Tra¬
ditionen Friedrichs des Großen wieder aufnähme. Wir sind der entgegen¬
gesetzten Meinung; wol aber halten wir dafür, daß Preußen seine Politik
unabhängig von Oestreich bestimmen und über die gegenseitigen Leistungen
mit Oestreich rechnen muß. Das ist nicht blos sein Recht, sondern seine Pflicht
gegen das preußische, gegen das deutsche Volk. Nur muß Preußen immer
daran denken, daß es mit einer Macht zu thun hat, die im Ganzen günstiger
situirt ist und besser zu rechnen versteht und die außerdem durch ihre alte
diplomatische Erziehung den großen Vorzug besitzt, in dem Augenblick, wo sie
am besten rechnet, die Gemüthlichkeit spielen zu lassen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/317>, abgerufen am 22.12.2024.