Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

zwanzig Kameraden luftigen, reinlichen Schlafsaal zeigen; die Veilchen darin,
alle von gleicher Größe, standen mit der langen Seite von der Wand ab,
und waren jedes ringsum von einem leichten, schneeweißen Betthimmel um¬
geben. Im Archiv, worin auch einige Antiquitäten aus den Bädern Neros
aufbewahrt wurden, darunter ein kleiner Jupiterskopf, wies man nur als
ältestes Manuscript einen Codex aus dem zehnten und eine Bibel aus dem
dreizehnten Jahrhundert. , Der Hauptschaiz der Bibliothek ist ein aus der
ersten italienischen Presse hervorgegangcncr Lactantius vom Jahr 1465. Da¬
mals sollen nämlich an zweihundert Deutsche im Kloster gewohnt und diese
die Vuchdruckerkunst nach Italien gebracht haben; das früheste Werk ihrer
Hände ist jene Ausgabe des Lactantius, deren Typen vollständig geschriebenen
Buchstaben gleichen. Drei Jahr später wurde schon die Druckerei nach Rom
geschafft, und deshalb nennen auch die Bücher der nächsten Zeit Rom als
ihren Entstehungsort, bis die junge Kunst mehr und mehr Stätten fand, wo
sie gepflegt wurde. Eine gedruckte Geschichte des Klosters existirte noch nicht,
doch hieß es, eine solche werde binnen Kurzem in Genua erscheinen.

Der Kiosterschüler hatte mir inzwischen mitgetheilt, daß unser Führer der
Abt von S. Scolastica sei, oder vielmehr der Padre Presidente wie er ver¬
möge seiner besondern Amtswürdc heiße. Er war nämlich zugleich Abt von
dem Kloster Sacro Speco und Präsident de,r Bcnedictiuerabteien von Snbjaco,
Montecassino und la Cudra, stand also an Rang über den Aebten der letz'
tern Klöster, und hatte vor Kurzem eine mehrmonatlichc Reise als päpstliche"'
Legat durch Italien, Baiern, Preußen^ Belgien und England behufs Revision
der dortigen Benedictinerhänser gemacht. Sein Name war: Pietro Casaretto,
sein Geburtsort Ancona, wohin seine Familie aus Genna gezogen war. Als
äußeres Abzeichen trug er auf der Brust das Kreuz an seidener Schnur und
einen Ring, der einen großen hohen Amethyst faßte. Um das Haupt ging
ihm von eurem Ohr zum audera ein wol zwei Finger breiter Streifen von
Haaren, welche kürzer als die übrigen geschnitten waren, grade umgekehrt wie
bei den Karthäusern, an deren höhern Würdenträgern ich an der nämlichen
Stelle einen Haarstreifen bemerkte, welcher um einige Linien vor dein übrigen
rasirten Theil des Kopfes hervorstand.

Zu den Geschäften des Padre Presidente gehörte auch die Ueberwachung
der Diöcese von Snbjaco, es rief ihn deshalb, da es Sonntag war, si'in
Amt dorthin; ehe er sich aber entfernte, gab er mir einen Geleitsmann nur
nach Sacro Speco, wohin die beiden andern bereits vorausgegangen waren,
und trug ihm auf, oben mich anzumelden und zu sagen, man solle nur
alles Sehenswerthe zeigen.

Eine Viertelstunde etwa hatten wir bergauf zu steigen, ein Theil des
Weges durchschnitt einen kleinen Olivenhain. Das Kloster zeichnet sich da-


zwanzig Kameraden luftigen, reinlichen Schlafsaal zeigen; die Veilchen darin,
alle von gleicher Größe, standen mit der langen Seite von der Wand ab,
und waren jedes ringsum von einem leichten, schneeweißen Betthimmel um¬
geben. Im Archiv, worin auch einige Antiquitäten aus den Bädern Neros
aufbewahrt wurden, darunter ein kleiner Jupiterskopf, wies man nur als
ältestes Manuscript einen Codex aus dem zehnten und eine Bibel aus dem
dreizehnten Jahrhundert. , Der Hauptschaiz der Bibliothek ist ein aus der
ersten italienischen Presse hervorgegangcncr Lactantius vom Jahr 1465. Da¬
mals sollen nämlich an zweihundert Deutsche im Kloster gewohnt und diese
die Vuchdruckerkunst nach Italien gebracht haben; das früheste Werk ihrer
Hände ist jene Ausgabe des Lactantius, deren Typen vollständig geschriebenen
Buchstaben gleichen. Drei Jahr später wurde schon die Druckerei nach Rom
geschafft, und deshalb nennen auch die Bücher der nächsten Zeit Rom als
ihren Entstehungsort, bis die junge Kunst mehr und mehr Stätten fand, wo
sie gepflegt wurde. Eine gedruckte Geschichte des Klosters existirte noch nicht,
doch hieß es, eine solche werde binnen Kurzem in Genua erscheinen.

Der Kiosterschüler hatte mir inzwischen mitgetheilt, daß unser Führer der
Abt von S. Scolastica sei, oder vielmehr der Padre Presidente wie er ver¬
möge seiner besondern Amtswürdc heiße. Er war nämlich zugleich Abt von
dem Kloster Sacro Speco und Präsident de,r Bcnedictiuerabteien von Snbjaco,
Montecassino und la Cudra, stand also an Rang über den Aebten der letz'
tern Klöster, und hatte vor Kurzem eine mehrmonatlichc Reise als päpstliche»'
Legat durch Italien, Baiern, Preußen^ Belgien und England behufs Revision
der dortigen Benedictinerhänser gemacht. Sein Name war: Pietro Casaretto,
sein Geburtsort Ancona, wohin seine Familie aus Genna gezogen war. Als
äußeres Abzeichen trug er auf der Brust das Kreuz an seidener Schnur und
einen Ring, der einen großen hohen Amethyst faßte. Um das Haupt ging
ihm von eurem Ohr zum audera ein wol zwei Finger breiter Streifen von
Haaren, welche kürzer als die übrigen geschnitten waren, grade umgekehrt wie
bei den Karthäusern, an deren höhern Würdenträgern ich an der nämlichen
Stelle einen Haarstreifen bemerkte, welcher um einige Linien vor dein übrigen
rasirten Theil des Kopfes hervorstand.

Zu den Geschäften des Padre Presidente gehörte auch die Ueberwachung
der Diöcese von Snbjaco, es rief ihn deshalb, da es Sonntag war, si'in
Amt dorthin; ehe er sich aber entfernte, gab er mir einen Geleitsmann nur
nach Sacro Speco, wohin die beiden andern bereits vorausgegangen waren,
und trug ihm auf, oben mich anzumelden und zu sagen, man solle nur
alles Sehenswerthe zeigen.

Eine Viertelstunde etwa hatten wir bergauf zu steigen, ein Theil des
Weges durchschnitt einen kleinen Olivenhain. Das Kloster zeichnet sich da-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0300" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107347"/>
          <p xml:id="ID_879" prev="#ID_878"> zwanzig Kameraden luftigen, reinlichen Schlafsaal zeigen; die Veilchen darin,<lb/>
alle von gleicher Größe, standen mit der langen Seite von der Wand ab,<lb/>
und waren jedes ringsum von einem leichten, schneeweißen Betthimmel um¬<lb/>
geben. Im Archiv, worin auch einige Antiquitäten aus den Bädern Neros<lb/>
aufbewahrt wurden, darunter ein kleiner Jupiterskopf, wies man nur als<lb/>
ältestes Manuscript einen Codex aus dem zehnten und eine Bibel aus dem<lb/>
dreizehnten Jahrhundert. , Der Hauptschaiz der Bibliothek ist ein aus der<lb/>
ersten italienischen Presse hervorgegangcncr Lactantius vom Jahr 1465. Da¬<lb/>
mals sollen nämlich an zweihundert Deutsche im Kloster gewohnt und diese<lb/>
die Vuchdruckerkunst nach Italien gebracht haben; das früheste Werk ihrer<lb/>
Hände ist jene Ausgabe des Lactantius, deren Typen vollständig geschriebenen<lb/>
Buchstaben gleichen. Drei Jahr später wurde schon die Druckerei nach Rom<lb/>
geschafft, und deshalb nennen auch die Bücher der nächsten Zeit Rom als<lb/>
ihren Entstehungsort, bis die junge Kunst mehr und mehr Stätten fand, wo<lb/>
sie gepflegt wurde. Eine gedruckte Geschichte des Klosters existirte noch nicht,<lb/>
doch hieß es, eine solche werde binnen Kurzem in Genua erscheinen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_880"> Der Kiosterschüler hatte mir inzwischen mitgetheilt, daß unser Führer der<lb/>
Abt von S. Scolastica sei, oder vielmehr der Padre Presidente wie er ver¬<lb/>
möge seiner besondern Amtswürdc heiße. Er war nämlich zugleich Abt von<lb/>
dem Kloster Sacro Speco und Präsident de,r Bcnedictiuerabteien von Snbjaco,<lb/>
Montecassino und la Cudra, stand also an Rang über den Aebten der letz'<lb/>
tern Klöster, und hatte vor Kurzem eine mehrmonatlichc Reise als päpstliche»'<lb/>
Legat durch Italien, Baiern, Preußen^ Belgien und England behufs Revision<lb/>
der dortigen Benedictinerhänser gemacht. Sein Name war: Pietro Casaretto,<lb/>
sein Geburtsort Ancona, wohin seine Familie aus Genna gezogen war. Als<lb/>
äußeres Abzeichen trug er auf der Brust das Kreuz an seidener Schnur und<lb/>
einen Ring, der einen großen hohen Amethyst faßte. Um das Haupt ging<lb/>
ihm von eurem Ohr zum audera ein wol zwei Finger breiter Streifen von<lb/>
Haaren, welche kürzer als die übrigen geschnitten waren, grade umgekehrt wie<lb/>
bei den Karthäusern, an deren höhern Würdenträgern ich an der nämlichen<lb/>
Stelle einen Haarstreifen bemerkte, welcher um einige Linien vor dein übrigen<lb/>
rasirten Theil des Kopfes hervorstand.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_881"> Zu den Geschäften des Padre Presidente gehörte auch die Ueberwachung<lb/>
der Diöcese von Snbjaco, es rief ihn deshalb, da es Sonntag war, si'in<lb/>
Amt dorthin; ehe er sich aber entfernte, gab er mir einen Geleitsmann nur<lb/>
nach Sacro Speco, wohin die beiden andern bereits vorausgegangen waren,<lb/>
und trug ihm auf, oben mich anzumelden und zu sagen, man solle nur<lb/>
alles Sehenswerthe zeigen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_882" next="#ID_883"> Eine Viertelstunde etwa hatten wir bergauf zu steigen, ein Theil des<lb/>
Weges durchschnitt einen kleinen Olivenhain.  Das Kloster zeichnet sich da-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0300] zwanzig Kameraden luftigen, reinlichen Schlafsaal zeigen; die Veilchen darin, alle von gleicher Größe, standen mit der langen Seite von der Wand ab, und waren jedes ringsum von einem leichten, schneeweißen Betthimmel um¬ geben. Im Archiv, worin auch einige Antiquitäten aus den Bädern Neros aufbewahrt wurden, darunter ein kleiner Jupiterskopf, wies man nur als ältestes Manuscript einen Codex aus dem zehnten und eine Bibel aus dem dreizehnten Jahrhundert. , Der Hauptschaiz der Bibliothek ist ein aus der ersten italienischen Presse hervorgegangcncr Lactantius vom Jahr 1465. Da¬ mals sollen nämlich an zweihundert Deutsche im Kloster gewohnt und diese die Vuchdruckerkunst nach Italien gebracht haben; das früheste Werk ihrer Hände ist jene Ausgabe des Lactantius, deren Typen vollständig geschriebenen Buchstaben gleichen. Drei Jahr später wurde schon die Druckerei nach Rom geschafft, und deshalb nennen auch die Bücher der nächsten Zeit Rom als ihren Entstehungsort, bis die junge Kunst mehr und mehr Stätten fand, wo sie gepflegt wurde. Eine gedruckte Geschichte des Klosters existirte noch nicht, doch hieß es, eine solche werde binnen Kurzem in Genua erscheinen. Der Kiosterschüler hatte mir inzwischen mitgetheilt, daß unser Führer der Abt von S. Scolastica sei, oder vielmehr der Padre Presidente wie er ver¬ möge seiner besondern Amtswürdc heiße. Er war nämlich zugleich Abt von dem Kloster Sacro Speco und Präsident de,r Bcnedictiuerabteien von Snbjaco, Montecassino und la Cudra, stand also an Rang über den Aebten der letz' tern Klöster, und hatte vor Kurzem eine mehrmonatlichc Reise als päpstliche»' Legat durch Italien, Baiern, Preußen^ Belgien und England behufs Revision der dortigen Benedictinerhänser gemacht. Sein Name war: Pietro Casaretto, sein Geburtsort Ancona, wohin seine Familie aus Genna gezogen war. Als äußeres Abzeichen trug er auf der Brust das Kreuz an seidener Schnur und einen Ring, der einen großen hohen Amethyst faßte. Um das Haupt ging ihm von eurem Ohr zum audera ein wol zwei Finger breiter Streifen von Haaren, welche kürzer als die übrigen geschnitten waren, grade umgekehrt wie bei den Karthäusern, an deren höhern Würdenträgern ich an der nämlichen Stelle einen Haarstreifen bemerkte, welcher um einige Linien vor dein übrigen rasirten Theil des Kopfes hervorstand. Zu den Geschäften des Padre Presidente gehörte auch die Ueberwachung der Diöcese von Snbjaco, es rief ihn deshalb, da es Sonntag war, si'in Amt dorthin; ehe er sich aber entfernte, gab er mir einen Geleitsmann nur nach Sacro Speco, wohin die beiden andern bereits vorausgegangen waren, und trug ihm auf, oben mich anzumelden und zu sagen, man solle nur alles Sehenswerthe zeigen. Eine Viertelstunde etwa hatten wir bergauf zu steigen, ein Theil des Weges durchschnitt einen kleinen Olivenhain. Das Kloster zeichnet sich da-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/300
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/300>, abgerufen am 22.12.2024.