Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.Krieg begonnen, der Millionen von Menschen unglücklich machen wird, aber auch Bisher hatte man der Sehnsucht der Italiener, frei und selbstständig zu wer¬ Indessen ist das ein Punkt, den Oestreich mit sich selber ausmachen möge. Der zweite Umstand, der den Krieg möglich macht, sind die unklaren deutschen Krieg begonnen, der Millionen von Menschen unglücklich machen wird, aber auch Bisher hatte man der Sehnsucht der Italiener, frei und selbstständig zu wer¬ Indessen ist das ein Punkt, den Oestreich mit sich selber ausmachen möge. Der zweite Umstand, der den Krieg möglich macht, sind die unklaren deutschen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0289" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107336"/> <p xml:id="ID_854" prev="#ID_853"> Krieg begonnen, der Millionen von Menschen unglücklich machen wird, aber auch<lb/> der schlimmste Wille auf dein französischen Thron wäre nicht im Stande gewesen,<lb/> nur den Gedanken eines so furchtbaren Friedensbruchs zu fassen, wenn nicht'das<lb/> Ungesunde in den Verhältnissen Italiens und Deutschlands ihn dazu aufgefordert<lb/> hätte. So schwer die Schuld auf dem Haupt dessen lastet, der den Krieg begonnen,<lb/> ebenso schwer — wir scheuen uns nicht es auszusprechen — würde sie aus den¬<lb/> jenigen zurückfallen, der den Krieg durch die Wiederherstellung der alten ungesunden<lb/> Verhältnisse beendigen wollte.</p><lb/> <p xml:id="ID_855"> Bisher hatte man der Sehnsucht der Italiener, frei und selbstständig zu wer¬<lb/> den, wenn man sie auch als unweise tadelte, doch wenigstens menschliches Mitgefühl<lb/> gezollt; setzt soll das Ganze Plötzlich lächerlich sein. Man malt ein Volk, welches<lb/> Jahrhunderte, ja fast ein Jahrtausend lang das erste Kulturvolk Europas war,<lb/> als eine Sammlung von Lazzaronis, Balletspringern und Murmclthicrfängern aus,<lb/> und wenn die officielle Begeisterung noch lange anhält, so wird man im Grasen<lb/> Cavour bald einen entlaufener Galeerensklaven sehen, der schon im Mutterleibe<lb/> verschiedene Todsünden getrieben und seitdem fortgefahren hat, die Welt durch namen¬<lb/> lose Verbrechen in Erstaunen zu setzen. Wir können mit unsern Gefühlen und<lb/> Ueberzeugungen nicht so schnell wechseln. Wir finden das Streben der Italiener,<lb/> einen eignen Staat zu gründen, und ihre Neigung, günstige Conjuncturen zur<lb/> Durchführung dieses Strebens zu benutzen, sehr begreiflich, und wenn Graf Cavour<lb/> jetzt ein sehr verwegenes Spiel zu treiben scheint, so wird ihn die Nachwelt vielleicht<lb/> einen entschlossenen Staatsmann nennen. Man spöttelt über die Italiener, daß sie<lb/> sich von Jesuiten und Mönchen gängeln lassen l wen hat denn Sardinien seit Jahren<lb/> bekämpft als grade diese Mönche und Jesuiten, und wer hat dieselben anders ge¬<lb/> stützt als Oestreich? — Wir finden ferner, daß Deutschland nicht blos nicht das geringste<lb/> Interesse dabei hat, daß Oestreichs Hegemonie in Toscana, Modena, dem Kirchen¬<lb/> staat u. s. w. erhalten bleibe, sondern daß es vielmehr das größte Interesse hat,<lb/> daß diese Hegemonie aufhöre, weil sie uns fortwährend in die unseligsten Verwickelungen<lb/> reißt. Ja Oestreich selbst könnte nichts Glücklicheres begegnen, als dieser Bürde ledig<lb/> ZU sein, es würde dann allmälig an die Regelung seiner Finanzen denken können.</p><lb/> <p xml:id="ID_856"> Indessen ist das ein Punkt, den Oestreich mit sich selber ausmachen möge.</p><lb/> <p xml:id="ID_857" next="#ID_858"> Der zweite Umstand, der den Krieg möglich macht, sind die unklaren deutschen<lb/> Dundesverhültnisse. Wenn dem Kaiser Napoleon nicht bekannt wäre, daß seit zehn<lb/> oder elf Jahren Preußen nichts Eifrigeres betrieben hat, als Oestreich in dem Vor¬<lb/> haben zu bekämpfen, die nämliche Rolle in Deutschland zu spielen, die es in Ita-"<lb/> u'en spielt; daß die eigenthümliche Verfassung Deutschlands bei jedem ernsten Cvlli-<lb/> sivnsfall sast jede Frage unbeantwortet läßt; daß für die Fortdauer der gegenwärtigen<lb/> Zustände im Grunde niemand schwärmt, fo würde er diesen Krieg nicht gewagt<lb/> haben. Die öffentliche Meinung Deutschlands hat freilich ganz Recht, daß diese<lb/> U'nem Mißhelligkeiten uns nicht abhalten dürfen, uns -bis aus den letzten Bluts¬<lb/> tropfen gegen den Uebermuth unserer Nachbarn zu vertheidige», aber sie übersieht<lb/> dabei den entscheidenden Umstand. Diese Vertheidigung kann nnr dann mit Aus¬<lb/> sicht auf Erfolg geführt werden, wenn gleichzeitig diejenige Reform unserer Bundes¬<lb/> verfassung stattfindet, die unumgänglich nöthig ist. Für die Durchführung dieser<lb/> Reform ist ferner der gegenwärtige Augenblick der günstigste, ja vielleicht der einzig</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0289]
Krieg begonnen, der Millionen von Menschen unglücklich machen wird, aber auch
der schlimmste Wille auf dein französischen Thron wäre nicht im Stande gewesen,
nur den Gedanken eines so furchtbaren Friedensbruchs zu fassen, wenn nicht'das
Ungesunde in den Verhältnissen Italiens und Deutschlands ihn dazu aufgefordert
hätte. So schwer die Schuld auf dem Haupt dessen lastet, der den Krieg begonnen,
ebenso schwer — wir scheuen uns nicht es auszusprechen — würde sie aus den¬
jenigen zurückfallen, der den Krieg durch die Wiederherstellung der alten ungesunden
Verhältnisse beendigen wollte.
Bisher hatte man der Sehnsucht der Italiener, frei und selbstständig zu wer¬
den, wenn man sie auch als unweise tadelte, doch wenigstens menschliches Mitgefühl
gezollt; setzt soll das Ganze Plötzlich lächerlich sein. Man malt ein Volk, welches
Jahrhunderte, ja fast ein Jahrtausend lang das erste Kulturvolk Europas war,
als eine Sammlung von Lazzaronis, Balletspringern und Murmclthicrfängern aus,
und wenn die officielle Begeisterung noch lange anhält, so wird man im Grasen
Cavour bald einen entlaufener Galeerensklaven sehen, der schon im Mutterleibe
verschiedene Todsünden getrieben und seitdem fortgefahren hat, die Welt durch namen¬
lose Verbrechen in Erstaunen zu setzen. Wir können mit unsern Gefühlen und
Ueberzeugungen nicht so schnell wechseln. Wir finden das Streben der Italiener,
einen eignen Staat zu gründen, und ihre Neigung, günstige Conjuncturen zur
Durchführung dieses Strebens zu benutzen, sehr begreiflich, und wenn Graf Cavour
jetzt ein sehr verwegenes Spiel zu treiben scheint, so wird ihn die Nachwelt vielleicht
einen entschlossenen Staatsmann nennen. Man spöttelt über die Italiener, daß sie
sich von Jesuiten und Mönchen gängeln lassen l wen hat denn Sardinien seit Jahren
bekämpft als grade diese Mönche und Jesuiten, und wer hat dieselben anders ge¬
stützt als Oestreich? — Wir finden ferner, daß Deutschland nicht blos nicht das geringste
Interesse dabei hat, daß Oestreichs Hegemonie in Toscana, Modena, dem Kirchen¬
staat u. s. w. erhalten bleibe, sondern daß es vielmehr das größte Interesse hat,
daß diese Hegemonie aufhöre, weil sie uns fortwährend in die unseligsten Verwickelungen
reißt. Ja Oestreich selbst könnte nichts Glücklicheres begegnen, als dieser Bürde ledig
ZU sein, es würde dann allmälig an die Regelung seiner Finanzen denken können.
Indessen ist das ein Punkt, den Oestreich mit sich selber ausmachen möge.
Der zweite Umstand, der den Krieg möglich macht, sind die unklaren deutschen
Dundesverhültnisse. Wenn dem Kaiser Napoleon nicht bekannt wäre, daß seit zehn
oder elf Jahren Preußen nichts Eifrigeres betrieben hat, als Oestreich in dem Vor¬
haben zu bekämpfen, die nämliche Rolle in Deutschland zu spielen, die es in Ita-"
u'en spielt; daß die eigenthümliche Verfassung Deutschlands bei jedem ernsten Cvlli-
sivnsfall sast jede Frage unbeantwortet läßt; daß für die Fortdauer der gegenwärtigen
Zustände im Grunde niemand schwärmt, fo würde er diesen Krieg nicht gewagt
haben. Die öffentliche Meinung Deutschlands hat freilich ganz Recht, daß diese
U'nem Mißhelligkeiten uns nicht abhalten dürfen, uns -bis aus den letzten Bluts¬
tropfen gegen den Uebermuth unserer Nachbarn zu vertheidige», aber sie übersieht
dabei den entscheidenden Umstand. Diese Vertheidigung kann nnr dann mit Aus¬
sicht auf Erfolg geführt werden, wenn gleichzeitig diejenige Reform unserer Bundes¬
verfassung stattfindet, die unumgänglich nöthig ist. Für die Durchführung dieser
Reform ist ferner der gegenwärtige Augenblick der günstigste, ja vielleicht der einzig
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