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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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Monismus des S)!ersehen, der höhere Blick des bösen Geistes ist consequente
unbestechliche Faunenweisheit. -- Daß Goethe darum den menschlich hohen
Werth Fausts nicht vernachlässigte, trotz der Verachtung, der er ihn im Me-
phistc'pheles aussetzte, ihn doch warm und erhaben ausmalte, macht seinem
Genie Ehre, aber es ist peinlich! Das Peinliche lost sich dann freilich am
Ende auch in höhere Bewunderung des Dichters auf; seine "erhabene
Ruhe" hält am Ende hier auch her. man sieht im Dichter den Herrn seines
Stoffs, seiner Welt, den höchsten Blick, der über dem Teufel und den Men¬
schen schwebt, Ver frei spielenden Geist, der, nirgend durch unzeitige Wahr¬
heit beschränkt, jede relative Wahrheit der Imagination ungescheut auffaßt und
erschöpft. Und grade dies hat unter allen Dichtern der Welt Goethe allein
ganz vermocht: es ist die reinste, consequenteste Imagination, ewig unver-
mischt mit seiner eignen Individualität; das großmüthigste, feinste, unbeding¬
teste Opfer, das je der Muse und dem Genius gebracht wurde." -- In dieser
hingeworfenen Kritik) steht man die Seele des Dichters arbeiten; insofern
sind sie interessanter, als die abgerundeten Recensionen, die er gleich darauf
in die L. Z. schrieb. -- Was ihm bei all seinem Scharfsinn und seiner fei¬
nen Empfänglichkeit zum guten Kritiker fehlte, wußte er selber sehr gut. "Ich
weiß nicht, schreibt er Z. Febr. 1802 an einen Freund, ob mir zur Muster¬
haftigkeit in Ihrem schmeichelhaften Sinn nicht ebenso viel fehlt, als zu der
Musterhaftigkeit, weiche Fr. Schlegel mir zuerkennen möchte. Ich habe einige
Eigenschaften eines guten Kritikers: Candenr, Gefühl, gesunde Vernunft und
eine nicht einseitige Bildung; aber es fehlt mir gründliches Wissen. Meine
^sten Jugendjahre waren zu günstig, sie gaben mir in einigen Dingen zu
Wh eine Vollendung: dann fand ich mich schon in der Welt, da ich manches
gar nicht, und manches noch nicht so gelernt hatte, daß es sich nicht durch
Mangel an Uebung hätte verwischen müssen. Was ich sonst Gutes habe,
verwahrt mich vor Seichtigkeit; aber eigentliche Wissenschaft sehlt mir, und
sollte mir nicht fehlen. Erreiche ich je die Unabhängigkeit, nicht von meiner
Feder leben zu müssen, so würde ich. wie spät es auch sein möchte, für ir¬
gend etwas, es möchte sein was es wollte, ganz eigentlich in die Schule
gehn." Doch verdient die ausführliche Kritik der neuen Ausgabe Goethes,
die er Ende 1792 in die L. Z. schrieb, um so mehr Anerkennung, je dürftiger
von den übrigen Recensenten diese Ausgabe besprochen wurde. "Wo das
linste und umfassendste Gefühl, der reifste Geschmack und das kühnste Ge-



") Noch sagt er von Schillers Briefen über Don Carlos (25, Aug. 1788)- "Der Ton ist
öfters von einer gewissen Altklugheit-angesteckt, die ganz ans Wielands Schule kommt . , .
Dieser Schritt ist die Folge von der Empfindlichkeit, die uns ja in seinen ersten Briefen ans
Weimar so verdroß , . . Wem hat er nöthig, seine Ideale zu entwickeln? Denen, die sie
"icht außerdem gefühlt haben, thut er doch gewiß eine sehr unverdiente Ehre an. und für
b'l- ander" ist es Geträtsch." --

Monismus des S)!ersehen, der höhere Blick des bösen Geistes ist consequente
unbestechliche Faunenweisheit. — Daß Goethe darum den menschlich hohen
Werth Fausts nicht vernachlässigte, trotz der Verachtung, der er ihn im Me-
phistc'pheles aussetzte, ihn doch warm und erhaben ausmalte, macht seinem
Genie Ehre, aber es ist peinlich! Das Peinliche lost sich dann freilich am
Ende auch in höhere Bewunderung des Dichters auf; seine „erhabene
Ruhe" hält am Ende hier auch her. man sieht im Dichter den Herrn seines
Stoffs, seiner Welt, den höchsten Blick, der über dem Teufel und den Men¬
schen schwebt, Ver frei spielenden Geist, der, nirgend durch unzeitige Wahr¬
heit beschränkt, jede relative Wahrheit der Imagination ungescheut auffaßt und
erschöpft. Und grade dies hat unter allen Dichtern der Welt Goethe allein
ganz vermocht: es ist die reinste, consequenteste Imagination, ewig unver-
mischt mit seiner eignen Individualität; das großmüthigste, feinste, unbeding¬
teste Opfer, das je der Muse und dem Genius gebracht wurde." — In dieser
hingeworfenen Kritik) steht man die Seele des Dichters arbeiten; insofern
sind sie interessanter, als die abgerundeten Recensionen, die er gleich darauf
in die L. Z. schrieb. — Was ihm bei all seinem Scharfsinn und seiner fei¬
nen Empfänglichkeit zum guten Kritiker fehlte, wußte er selber sehr gut. „Ich
weiß nicht, schreibt er Z. Febr. 1802 an einen Freund, ob mir zur Muster¬
haftigkeit in Ihrem schmeichelhaften Sinn nicht ebenso viel fehlt, als zu der
Musterhaftigkeit, weiche Fr. Schlegel mir zuerkennen möchte. Ich habe einige
Eigenschaften eines guten Kritikers: Candenr, Gefühl, gesunde Vernunft und
eine nicht einseitige Bildung; aber es fehlt mir gründliches Wissen. Meine
^sten Jugendjahre waren zu günstig, sie gaben mir in einigen Dingen zu
Wh eine Vollendung: dann fand ich mich schon in der Welt, da ich manches
gar nicht, und manches noch nicht so gelernt hatte, daß es sich nicht durch
Mangel an Uebung hätte verwischen müssen. Was ich sonst Gutes habe,
verwahrt mich vor Seichtigkeit; aber eigentliche Wissenschaft sehlt mir, und
sollte mir nicht fehlen. Erreiche ich je die Unabhängigkeit, nicht von meiner
Feder leben zu müssen, so würde ich. wie spät es auch sein möchte, für ir¬
gend etwas, es möchte sein was es wollte, ganz eigentlich in die Schule
gehn." Doch verdient die ausführliche Kritik der neuen Ausgabe Goethes,
die er Ende 1792 in die L. Z. schrieb, um so mehr Anerkennung, je dürftiger
von den übrigen Recensenten diese Ausgabe besprochen wurde. „Wo das
linste und umfassendste Gefühl, der reifste Geschmack und das kühnste Ge-



") Noch sagt er von Schillers Briefen über Don Carlos (25, Aug. 1788)- „Der Ton ist
öfters von einer gewissen Altklugheit-angesteckt, die ganz ans Wielands Schule kommt . , .
Dieser Schritt ist die Folge von der Empfindlichkeit, die uns ja in seinen ersten Briefen ans
Weimar so verdroß , . . Wem hat er nöthig, seine Ideale zu entwickeln? Denen, die sie
«icht außerdem gefühlt haben, thut er doch gewiß eine sehr unverdiente Ehre an. und für
b'l- ander» ist es Geträtsch." —
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/225>, abgerufen am 22.12.2024.