Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.bringen wollen; jedes Wort ist auf das sorgfältigste erwogen, jede Scene Erfreulicher sind in den Briefen an Körner die kritischen Bemerkungen, ") "Die Geheimnisse sind mir zu quälend, und um so quälender, weil es in Goethes
Manier liegt, dem Mystischen einen simpeln, kinderleichten Austrick) zu geben. Aber die Verbindung eines unverständlichen Stoffs mit der verständlichsten Manier hat für meinen Kopf etwas besonders Schmerzliches." bringen wollen; jedes Wort ist auf das sorgfältigste erwogen, jede Scene Erfreulicher sind in den Briefen an Körner die kritischen Bemerkungen, ") „Die Geheimnisse sind mir zu quälend, und um so quälender, weil es in Goethes
Manier liegt, dem Mystischen einen simpeln, kinderleichten Austrick) zu geben. Aber die Verbindung eines unverständlichen Stoffs mit der verständlichsten Manier hat für meinen Kopf etwas besonders Schmerzliches." <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0222" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107269"/> <p xml:id="ID_644" prev="#ID_643"> bringen wollen; jedes Wort ist auf das sorgfältigste erwogen, jede Scene<lb/> hat eine tiefere Bedeutung. In einer Beziehung wenigstens ist diese Lectüre<lb/> nicht unfruchtbar. Durch die unproductive Kritikerschule der Romantik ist der<lb/> bekannte Ausspruch Lessings, er verdanke in seinen Trauerspielen der Kritik,<lb/> d. h. dem Nachdenken das Meiste, dahin mißdeutet worden, daß Lessing eigent¬<lb/> lich kein Dichter gewesen sei, und seine Stücke mit dem Verstand ausgeklügelt<lb/> habe. Dieses unsinnige Gerede ist so häusig wiederholt worden, daß man es<lb/> auch heute noch zuweilen vernimmt; was aber dabei herauskommt, wenn man<lb/> eine Stück ohne schöpferische Kraft blos mit dem Verstand machen will, davon<lb/> gibt „das heimliche Gericht" ein abschreckendes Zeugniß. Und Huber war<lb/> doch wirklich ein seiner Kenner und hatte auch über die dramatische Technik<lb/> mit Erfolg nachgedacht. — Ein zweiter Versuch, Juliane 1790—92, sollte<lb/> einen edlen weiblichen Charakter analysiren, der durch die Kraft der Resignation<lb/> über seine Umgebungen hinaustritt. In dieses fast ganz unlcsbare, raffinirt<lb/> trockne Stück war Huber noch mehr verliebt als in das heimliche Gericht,<lb/> weil er nur 'seiner Absichten sich bewußt war, und er hat diese Absichten in<lb/> einem wirklich geistvollen und sehr lesbaren Brief an Körner als Zeugniß<lb/> seines Wollens hinterlassen. Er hat später noch mehrfach dramatische Anwand¬<lb/> lungen gehabt, aber es ist nichts weiter fertig geworden.</p><lb/> <p xml:id="ID_645" next="#ID_646"> Erfreulicher sind in den Briefen an Körner die kritischen Bemerkungen,<lb/> hauptsächlich über Goethe. 22. April 1789: „Dieser Mensch wird mir mit<lb/> jedem Augenblick unbegreiflicher."*) 15. Oct. 1790 : „Daß du in Goethes Philo¬<lb/> sophie den Grund zu seiner Unerreichbarkeit als Dichter findest, mag wol<lb/> eine kleine Vermengung sein. Bildung und Ruhe fehlten im Werther«, s. w.,<lb/> aber diese glückliche Dichterorganisation, die jeden so verschiedenen Stoff ergriff<lb/> und sich mit ihm amalgamirte, ist schon in jenen Werken. Und in dieser lag<lb/> wol eher der Grund, daß er jetzt dies System erwählt hat, als umge¬<lb/> kehrt. . . Die Beziehungen, die er seiner Theorie gibt, kommen mir mehr wie<lb/> eine Marotte vor, die mir ihn menschlicher, begreiflicher und also lieber<lb/> macht, mit welcher ich aber nicht übereinstimmen könnte. Oder gibt es ein<lb/> System, dem man diese rein sinnliche Anschauung und Empfängniß verdanken<lb/> könnte, die ihn in meinen Augen vor jedem Dichter der Welt auszeichnet?<lb/> Die Ideen, von denen du mir schreibst, können in der Anwendung nur auf<lb/> den Mechanismus des Dichters Einfluß haben, sonst käme mir Goethe vor<lb/> wie der Vater von gesundem, kräftigern Kindern, als unser Zeitalter sonst<lb/> bringt, der den Grund dieses Vorzuges darein setzte, daß er die wahrschein-</p><lb/> <note xml:id="FID_16" place="foot"> ") „Die Geheimnisse sind mir zu quälend, und um so quälender, weil es in Goethes<lb/> Manier liegt, dem Mystischen einen simpeln, kinderleichten Austrick) zu geben. Aber die<lb/> Verbindung eines unverständlichen Stoffs mit der verständlichsten Manier hat für meinen<lb/> Kopf etwas besonders Schmerzliches."</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0222]
bringen wollen; jedes Wort ist auf das sorgfältigste erwogen, jede Scene
hat eine tiefere Bedeutung. In einer Beziehung wenigstens ist diese Lectüre
nicht unfruchtbar. Durch die unproductive Kritikerschule der Romantik ist der
bekannte Ausspruch Lessings, er verdanke in seinen Trauerspielen der Kritik,
d. h. dem Nachdenken das Meiste, dahin mißdeutet worden, daß Lessing eigent¬
lich kein Dichter gewesen sei, und seine Stücke mit dem Verstand ausgeklügelt
habe. Dieses unsinnige Gerede ist so häusig wiederholt worden, daß man es
auch heute noch zuweilen vernimmt; was aber dabei herauskommt, wenn man
eine Stück ohne schöpferische Kraft blos mit dem Verstand machen will, davon
gibt „das heimliche Gericht" ein abschreckendes Zeugniß. Und Huber war
doch wirklich ein seiner Kenner und hatte auch über die dramatische Technik
mit Erfolg nachgedacht. — Ein zweiter Versuch, Juliane 1790—92, sollte
einen edlen weiblichen Charakter analysiren, der durch die Kraft der Resignation
über seine Umgebungen hinaustritt. In dieses fast ganz unlcsbare, raffinirt
trockne Stück war Huber noch mehr verliebt als in das heimliche Gericht,
weil er nur 'seiner Absichten sich bewußt war, und er hat diese Absichten in
einem wirklich geistvollen und sehr lesbaren Brief an Körner als Zeugniß
seines Wollens hinterlassen. Er hat später noch mehrfach dramatische Anwand¬
lungen gehabt, aber es ist nichts weiter fertig geworden.
Erfreulicher sind in den Briefen an Körner die kritischen Bemerkungen,
hauptsächlich über Goethe. 22. April 1789: „Dieser Mensch wird mir mit
jedem Augenblick unbegreiflicher."*) 15. Oct. 1790 : „Daß du in Goethes Philo¬
sophie den Grund zu seiner Unerreichbarkeit als Dichter findest, mag wol
eine kleine Vermengung sein. Bildung und Ruhe fehlten im Werther«, s. w.,
aber diese glückliche Dichterorganisation, die jeden so verschiedenen Stoff ergriff
und sich mit ihm amalgamirte, ist schon in jenen Werken. Und in dieser lag
wol eher der Grund, daß er jetzt dies System erwählt hat, als umge¬
kehrt. . . Die Beziehungen, die er seiner Theorie gibt, kommen mir mehr wie
eine Marotte vor, die mir ihn menschlicher, begreiflicher und also lieber
macht, mit welcher ich aber nicht übereinstimmen könnte. Oder gibt es ein
System, dem man diese rein sinnliche Anschauung und Empfängniß verdanken
könnte, die ihn in meinen Augen vor jedem Dichter der Welt auszeichnet?
Die Ideen, von denen du mir schreibst, können in der Anwendung nur auf
den Mechanismus des Dichters Einfluß haben, sonst käme mir Goethe vor
wie der Vater von gesundem, kräftigern Kindern, als unser Zeitalter sonst
bringt, der den Grund dieses Vorzuges darein setzte, daß er die wahrschein-
") „Die Geheimnisse sind mir zu quälend, und um so quälender, weil es in Goethes
Manier liegt, dem Mystischen einen simpeln, kinderleichten Austrick) zu geben. Aber die
Verbindung eines unverständlichen Stoffs mit der verständlichsten Manier hat für meinen
Kopf etwas besonders Schmerzliches."
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