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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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die absolutesten Regierungen sahen sich allmälig zu Zugeständnissen genöthigt,
nur die Curie blieb unbeweglich. Auf kirchlichem Gebiet wußte sie sich wie
immer den Umständen anzupassen'und suchte mit Löffeln wiederzunehmen, was
man ihr mit Scheffeln genommen; zwar erlitt sie in Frankreich durch die
Julirevolution eine Niederlage, aber sie errang doch größere Erfolge, wie z. B.
durch die Emancipation -der Katholiken in England, durch die belgische Re¬
volution, zu der sie sich mit dem Liberalismus verbündete, durch die Wieder¬
herstellung des Jesuitenordens in vielen Staaten und die Neubelebung des
Ultramontanismus. Im Kirchenstaat aber blieb alles wie es war, die Unfehl¬
barkeit des geistlichen Oberhauptes litt keinen Wechsel in seiner irdischen Ne¬
gierung, während doch rund um ihn her und in seiner eignen ewigen Stadt
sich alles veränderte. Metternich schrieb an Leo den Zwölften: jede Revolu¬
tion ist für das Pontificat ein niedergerissener Damm, welcher leicht dem
zerstörenden Strom, welcher aus bösen Leidenschaften entspringt, den Weg
öffnet.

Indeß der Zeitpunkt kam, wo die Gewalt der Thatsachen die Fiction
zerstörte, daß solche Unbewegliche aufrecht zu erhalten sei. Infolge der
revolutionären Zuckungen, welche der Sturz Karls des Zehnten in Europa
herbeiführte, brachen im Anfang des Jahres 1831, Aufstände in Modena und
Ferrara aus, welche Umwälzungen auf der ganzen Halbinsel fürchten ließen;
am Tage der Krönung des neuerwühlten Papstes Gregor des Zwölften in-
surgirte sich Bologna, dem bald alle Legationen folgten. Außer den Einheits¬
ideen, welche hier wie in ganz Italien wirkten, war noch besonders der Haß
gegen die weltliche Herrschaft des Papstes und eine tiefe Verachtung des ge¬
summten Pricsterrcgiments Triebfeder. Gregor war zu Reformen geneigt,
aber er ließ sich überreden, Oestreich werde sie nicht dulden, und erbat die
Hilfe des letzteren. Frankreich protestirte dagegen, die andern Mächte fürch¬
teten einen Conflict der beiden katholischen Staaten und suchten zu vermitteln,
indem sie gemeinsam über die Verbesserungen beriethen, welche sür die Ruhe
der päpstlichen Staaten nothwendig seien. Dies ward die erste Einmischung
der Großmächte in die weltlichen Angelegenheiten des heiligen Vaters.

Metternich leitete diese Conferenz durch eine an den östreichischen Gesand¬
ten Grafen Lützow gerichtete Depesche ein, die ihn aufforderte, sich mit seinem
französischen Kollegen, Grasen Se. Aulaire in Verbindung zu setzen und die
guten Dienste des russischen und preußischen Gesandten in Anspruch zu nehmen;
von England wohnte der Geschäftsträger in Florenz, -- Mr. Brook Taylor, den
Berathungen bei. Man hatte eben damit angefangen, ein vom Papst zu
erlassendes Amnestiedecret zu besprechen, als Metternich erklären ließ, eine der
wichtigsten Aufgaben sei, die Unabhängigkeit des Papstes als weltlichen Mon¬
archen zu sichern und sein Vertreter schlug als Mittel dazu eine feierliche Er-


die absolutesten Regierungen sahen sich allmälig zu Zugeständnissen genöthigt,
nur die Curie blieb unbeweglich. Auf kirchlichem Gebiet wußte sie sich wie
immer den Umständen anzupassen'und suchte mit Löffeln wiederzunehmen, was
man ihr mit Scheffeln genommen; zwar erlitt sie in Frankreich durch die
Julirevolution eine Niederlage, aber sie errang doch größere Erfolge, wie z. B.
durch die Emancipation -der Katholiken in England, durch die belgische Re¬
volution, zu der sie sich mit dem Liberalismus verbündete, durch die Wieder¬
herstellung des Jesuitenordens in vielen Staaten und die Neubelebung des
Ultramontanismus. Im Kirchenstaat aber blieb alles wie es war, die Unfehl¬
barkeit des geistlichen Oberhauptes litt keinen Wechsel in seiner irdischen Ne¬
gierung, während doch rund um ihn her und in seiner eignen ewigen Stadt
sich alles veränderte. Metternich schrieb an Leo den Zwölften: jede Revolu¬
tion ist für das Pontificat ein niedergerissener Damm, welcher leicht dem
zerstörenden Strom, welcher aus bösen Leidenschaften entspringt, den Weg
öffnet.

Indeß der Zeitpunkt kam, wo die Gewalt der Thatsachen die Fiction
zerstörte, daß solche Unbewegliche aufrecht zu erhalten sei. Infolge der
revolutionären Zuckungen, welche der Sturz Karls des Zehnten in Europa
herbeiführte, brachen im Anfang des Jahres 1831, Aufstände in Modena und
Ferrara aus, welche Umwälzungen auf der ganzen Halbinsel fürchten ließen;
am Tage der Krönung des neuerwühlten Papstes Gregor des Zwölften in-
surgirte sich Bologna, dem bald alle Legationen folgten. Außer den Einheits¬
ideen, welche hier wie in ganz Italien wirkten, war noch besonders der Haß
gegen die weltliche Herrschaft des Papstes und eine tiefe Verachtung des ge¬
summten Pricsterrcgiments Triebfeder. Gregor war zu Reformen geneigt,
aber er ließ sich überreden, Oestreich werde sie nicht dulden, und erbat die
Hilfe des letzteren. Frankreich protestirte dagegen, die andern Mächte fürch¬
teten einen Conflict der beiden katholischen Staaten und suchten zu vermitteln,
indem sie gemeinsam über die Verbesserungen beriethen, welche sür die Ruhe
der päpstlichen Staaten nothwendig seien. Dies ward die erste Einmischung
der Großmächte in die weltlichen Angelegenheiten des heiligen Vaters.

Metternich leitete diese Conferenz durch eine an den östreichischen Gesand¬
ten Grafen Lützow gerichtete Depesche ein, die ihn aufforderte, sich mit seinem
französischen Kollegen, Grasen Se. Aulaire in Verbindung zu setzen und die
guten Dienste des russischen und preußischen Gesandten in Anspruch zu nehmen;
von England wohnte der Geschäftsträger in Florenz, — Mr. Brook Taylor, den
Berathungen bei. Man hatte eben damit angefangen, ein vom Papst zu
erlassendes Amnestiedecret zu besprechen, als Metternich erklären ließ, eine der
wichtigsten Aufgaben sei, die Unabhängigkeit des Papstes als weltlichen Mon¬
archen zu sichern und sein Vertreter schlug als Mittel dazu eine feierliche Er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/188>, abgerufen am 22.12.2024.