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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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wurde er durch eine Abtheilung des Musikchors der prager Scharfschützen unter
der Leitung des Kapellmeistes Pcrgler nach Wien gedacht, woselbst Musik und
Tanz sich einen außerordentlichen Beifall errangen. Im Jahre 1840 tanzte
zuerst Raub, ständischer Tanzlehrer in Prag, diese böhmische Polka auf dem
Odeontheater zu Paris mit ausgezeichnetem Erfolg, worauf derselben und stau¬
nenswerther Schnelligkeit der Eingang in die eleganten Salons und Ballsäle
von Paris gestattet wurde.

Wie alle Dinge der Mode verbreitete sich der lebhafte und aufregende
Tanz von hier aus, wenn auch mannigfach modificirt, beinahe über alle Län¬
der Europas, ja er pilgerte sogar über den atlantischen Ocean und fand selbst
in Neuyork ein sehr freundliches Willkommen. Alle Kreise der Gesellschaft be¬
sserten sich gleichmäßig, ihm mit freudiger Vorliebe zu huldigen, und dies
geschieht noch bis zu dieser Stunde; es gibt keinen einzigen Eleganzball, wo
nicht die Polka mindestens zweimal auf der Tanzordnung stände. In ihrer
gegenwärtigen Gestalt gleicht sie sehr dem bekannten Ecossaisewalzer
(Schottisch), nur daß die Pas schärfer markirt werden und der Tänzer den
Fuß in die Höhe zieht, und hörbar, beinahe stampfend, wieder niedersetzt. Die,
Musik ist in Zweivierteltakt gesetzt. Die erste Polka, die im Musikalienhandel
erschien, war von Franz Hilmar, Lehrer in Kopidtuo, componirt. Sie wurde
noch am 27. Februar 1859 in der Mailänder Lnü^ vom großen Orchester
ausgezeichnet gespielt, indessen die ?rima d-uterina, auf der Bühne den schö¬
nen, einfachen böhmischen Tanz aufführte. -- Gute, echt nationale Polkas lieferten
in der Folge vorzugsweise die Kapellmeister: I. Labitzky, I. Lichmnnn,
I- Prochaska, F. W. Swoboda, A. Emil Titi. -- Das Mädchen aber,
das diesen weltberühmten Tanz erfunden hatte, soll jetzt in dem Dorfe Kone-
topy, auf der ehemaligen Herrschaft Brandcis, verheirathet leben. Der Name
desselben ist aber unbekannt! --

Als eine Abart der Polka erscheint der Irirs-IK, welcher nichts Geringeres
^se, als die seit mehren Jahren in der Salonwelt so sehr beliebt gewordene
"l'olKa tromdlkiitv". Im Jahr 1844 wurde er durch deu berühmten Tanzlehrer
Eellarius in Paris, eingeführt, und wie groß die dadurch erregte Sensation
gewesen, darüber finden wir in dem Buche: "Paris und die Franzosen.
Skizzen von Jda Kohl" viele interessante Auskünfte. Unter anderm heißt es
über die ersten Glanztage des böhmischen Volkstanzes in der berühmten Welt¬
stadt: "Da erscheint Monsieur Cellarius, der Retter, und ihm zur Seite die
Polka, seine Adoptivtochter, denn fertig geharnischt war sie nicht aus seinem
Gehirn entsprungen, er hatte sie nur aufgegriffen, ein Kind fremden Landes
^ einfachen Gewände. Er gab ihr eine Tournüre, Grazie und einen schönen
Namen -- so wurde sie vom Stapel gelassen, und alles Volk jauchzt: "Vivat
Cellarius!" Und einen kräftigen Lebenskeim hat er herausgezogen. Das


Grenzboten II. 1Lo9. 20

wurde er durch eine Abtheilung des Musikchors der prager Scharfschützen unter
der Leitung des Kapellmeistes Pcrgler nach Wien gedacht, woselbst Musik und
Tanz sich einen außerordentlichen Beifall errangen. Im Jahre 1840 tanzte
zuerst Raub, ständischer Tanzlehrer in Prag, diese böhmische Polka auf dem
Odeontheater zu Paris mit ausgezeichnetem Erfolg, worauf derselben und stau¬
nenswerther Schnelligkeit der Eingang in die eleganten Salons und Ballsäle
von Paris gestattet wurde.

Wie alle Dinge der Mode verbreitete sich der lebhafte und aufregende
Tanz von hier aus, wenn auch mannigfach modificirt, beinahe über alle Län¬
der Europas, ja er pilgerte sogar über den atlantischen Ocean und fand selbst
in Neuyork ein sehr freundliches Willkommen. Alle Kreise der Gesellschaft be¬
sserten sich gleichmäßig, ihm mit freudiger Vorliebe zu huldigen, und dies
geschieht noch bis zu dieser Stunde; es gibt keinen einzigen Eleganzball, wo
nicht die Polka mindestens zweimal auf der Tanzordnung stände. In ihrer
gegenwärtigen Gestalt gleicht sie sehr dem bekannten Ecossaisewalzer
(Schottisch), nur daß die Pas schärfer markirt werden und der Tänzer den
Fuß in die Höhe zieht, und hörbar, beinahe stampfend, wieder niedersetzt. Die,
Musik ist in Zweivierteltakt gesetzt. Die erste Polka, die im Musikalienhandel
erschien, war von Franz Hilmar, Lehrer in Kopidtuo, componirt. Sie wurde
noch am 27. Februar 1859 in der Mailänder Lnü^ vom großen Orchester
ausgezeichnet gespielt, indessen die ?rima d-uterina, auf der Bühne den schö¬
nen, einfachen böhmischen Tanz aufführte. — Gute, echt nationale Polkas lieferten
in der Folge vorzugsweise die Kapellmeister: I. Labitzky, I. Lichmnnn,
I- Prochaska, F. W. Swoboda, A. Emil Titi. — Das Mädchen aber,
das diesen weltberühmten Tanz erfunden hatte, soll jetzt in dem Dorfe Kone-
topy, auf der ehemaligen Herrschaft Brandcis, verheirathet leben. Der Name
desselben ist aber unbekannt! —

Als eine Abart der Polka erscheint der Irirs-IK, welcher nichts Geringeres
^se, als die seit mehren Jahren in der Salonwelt so sehr beliebt gewordene
»l'olKa tromdlkiitv". Im Jahr 1844 wurde er durch deu berühmten Tanzlehrer
Eellarius in Paris, eingeführt, und wie groß die dadurch erregte Sensation
gewesen, darüber finden wir in dem Buche: „Paris und die Franzosen.
Skizzen von Jda Kohl" viele interessante Auskünfte. Unter anderm heißt es
über die ersten Glanztage des böhmischen Volkstanzes in der berühmten Welt¬
stadt: „Da erscheint Monsieur Cellarius, der Retter, und ihm zur Seite die
Polka, seine Adoptivtochter, denn fertig geharnischt war sie nicht aus seinem
Gehirn entsprungen, er hatte sie nur aufgegriffen, ein Kind fremden Landes
^ einfachen Gewände. Er gab ihr eine Tournüre, Grazie und einen schönen
Namen — so wurde sie vom Stapel gelassen, und alles Volk jauchzt: „Vivat
Cellarius!" Und einen kräftigen Lebenskeim hat er herausgezogen. Das


Grenzboten II. 1Lo9. 20
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/163>, abgerufen am 22.12.2024.