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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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wenn sie nicht gar Gefahren für Ruhe und Ordnung aus dem neuen preußi¬
schen Leben deducirte. Dazu kam ein Umstand, welcher, wenn auch nicht
grade wesentlich, so doch nicht ganz ohne Einfluß darauf blieb, daß vom
größern Publicum im Südwesten die innern Entwicklungen Preußens geringer
geglaubt wurden, als sie sind. Unter dem abgetretenen preußischen Regiment
war man es nämlich gewohnt worden, jede preußische Regicrungsmaßregel
in dem über den ganzen Südwesten ausgesponnenen System des frankfurter
Filiales des berliner Centralpreßbureaus als eine nationale That oder min¬
destens als nationales Ereigniß verherrlicht zu finden. Jetzt sah'wieg dieses
Orchester selbst bei den folgereichsten Vorgängen, während man doch seine Per¬
sönlichkeiten noch in Function sah. Daraus wurde gefolgert, daß die Vor¬
gänge in Preußen eben auch blos von specifisch preußischem Interesse sein
könnten oder gar sein sollten. So wirkte auch hier noch der Fluch jener
systematischen Fälschung der öffentlichen Meinung nach, welche seit Jahren,
anstatt die Verständigung zwischen dem Norden und Süden zu Pflegen, jenen
über sein moralisches Einflußgebiet getäuscht und diesen fortwährend in einer
gewissen Gereiztheit gegen den Norden erhalten hatte.

Trotz alledem und alledem fühlte sich im Moment der Gefahr die ma¬
terielle Sicherheit des Südwestens vom Einstehen des Nordens für die natio¬
nale Sache bedingt. Daß Oestreich unter den gewordenen Verhältnissen nicht
daran denken könne, der Vertheidigung des deutschen Südwestens einen ma¬
teriellen Nachdruck zu geben, sagte sich jeder. Die eignen kleinern und mitt¬
lern Regierungen erfand man dagegen nicht blos im ersten Moment der heran-
drohendcn Gefahr flau in der Vorbereitung der Vertheidigungsmittel, sondern
selbst noch später fast ängstlich bemüht, die von der öffentlichen Meinung ab¬
gedrungenen Vorbereitungen abzuleugnen. Von einem gegenseitigen Ineinander¬
greifen der in Bewegung gesetzten Maßregeln schien vollends keine Rede. Blos
Baiern rüstete fast ostentiös grade von dem Tage an. da H. v. d. Pfordten
dem Landtag erklärt hatte, an Preußens Widerspruch sei selbst die höchst in-
offcnsive Maßregel eines Pferdeaussuhrvcrbotes gescheitert. Was sollte das
heißen? Die nationale Politik dieses Staatsmannes besaß am allerwenigsten
das öffentliche Vertrauen des deutschen Südwestens. Im Gegentheil; diese
auffälligen Rüstungen, zusammengehalten' mit der damals ventilirten Idee,
den Streit um das römische Besatzungsrecht Oestreichs und Frankreichs gegen¬
standlos zu machen durch die Besetzung des römischen Gebiets mit Truppen
einer neutralen Macht, weckte den Argwohn, daß Baiern in den jetzigen Ver¬
hältnissen abermals eine der oft verfehlten Gelegenheiten sehen wolle, sich
gewissermaßen in die pentarchische Politik einzudrängen und dadurch seiner
natürlichen, coordinirten Stellung in der nationalen Gemeinsamkeit enthoben
zu sein. Dabei schienen aber seine Kundgebungen -- und es waren die ein-


wenn sie nicht gar Gefahren für Ruhe und Ordnung aus dem neuen preußi¬
schen Leben deducirte. Dazu kam ein Umstand, welcher, wenn auch nicht
grade wesentlich, so doch nicht ganz ohne Einfluß darauf blieb, daß vom
größern Publicum im Südwesten die innern Entwicklungen Preußens geringer
geglaubt wurden, als sie sind. Unter dem abgetretenen preußischen Regiment
war man es nämlich gewohnt worden, jede preußische Regicrungsmaßregel
in dem über den ganzen Südwesten ausgesponnenen System des frankfurter
Filiales des berliner Centralpreßbureaus als eine nationale That oder min¬
destens als nationales Ereigniß verherrlicht zu finden. Jetzt sah'wieg dieses
Orchester selbst bei den folgereichsten Vorgängen, während man doch seine Per¬
sönlichkeiten noch in Function sah. Daraus wurde gefolgert, daß die Vor¬
gänge in Preußen eben auch blos von specifisch preußischem Interesse sein
könnten oder gar sein sollten. So wirkte auch hier noch der Fluch jener
systematischen Fälschung der öffentlichen Meinung nach, welche seit Jahren,
anstatt die Verständigung zwischen dem Norden und Süden zu Pflegen, jenen
über sein moralisches Einflußgebiet getäuscht und diesen fortwährend in einer
gewissen Gereiztheit gegen den Norden erhalten hatte.

Trotz alledem und alledem fühlte sich im Moment der Gefahr die ma¬
terielle Sicherheit des Südwestens vom Einstehen des Nordens für die natio¬
nale Sache bedingt. Daß Oestreich unter den gewordenen Verhältnissen nicht
daran denken könne, der Vertheidigung des deutschen Südwestens einen ma¬
teriellen Nachdruck zu geben, sagte sich jeder. Die eignen kleinern und mitt¬
lern Regierungen erfand man dagegen nicht blos im ersten Moment der heran-
drohendcn Gefahr flau in der Vorbereitung der Vertheidigungsmittel, sondern
selbst noch später fast ängstlich bemüht, die von der öffentlichen Meinung ab¬
gedrungenen Vorbereitungen abzuleugnen. Von einem gegenseitigen Ineinander¬
greifen der in Bewegung gesetzten Maßregeln schien vollends keine Rede. Blos
Baiern rüstete fast ostentiös grade von dem Tage an. da H. v. d. Pfordten
dem Landtag erklärt hatte, an Preußens Widerspruch sei selbst die höchst in-
offcnsive Maßregel eines Pferdeaussuhrvcrbotes gescheitert. Was sollte das
heißen? Die nationale Politik dieses Staatsmannes besaß am allerwenigsten
das öffentliche Vertrauen des deutschen Südwestens. Im Gegentheil; diese
auffälligen Rüstungen, zusammengehalten' mit der damals ventilirten Idee,
den Streit um das römische Besatzungsrecht Oestreichs und Frankreichs gegen¬
standlos zu machen durch die Besetzung des römischen Gebiets mit Truppen
einer neutralen Macht, weckte den Argwohn, daß Baiern in den jetzigen Ver¬
hältnissen abermals eine der oft verfehlten Gelegenheiten sehen wolle, sich
gewissermaßen in die pentarchische Politik einzudrängen und dadurch seiner
natürlichen, coordinirten Stellung in der nationalen Gemeinsamkeit enthoben
zu sein. Dabei schienen aber seine Kundgebungen — und es waren die ein-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/158>, abgerufen am 22.12.2024.