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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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den der Geistlichen war und diese, sobald das kirchliche Bewußtsein wieder er¬
starkt war, sich weigerten, eine ihrem Gewissen d. h. den kirchlichen Satzungen
widersprechende Ehe einzusegnen. Wie ernst und bedeutungsvoll dieser Conflict
war, erfahren wir am deutlichsten aus der Rede des Cultusministers, der die
Fälle der Eheverwcigerung zu Tausenden zählt und auf die Unsittlichkeit auf¬
merksam macht, die aus einem so schreienden Widerspruch der verschiedenen
positiven Rechte hervorgehn mußte.

Für die Lösung dieses Conflicts boten sich drei Wege.

Entweder man modificirte das Staatsrecht nach dem Kirchenrecht.

Oder man zwang die Geistlichen, insofern sie die bürgerliche Function
der Trauung ausübten, mit Hintansetzung des Kirchenrechts dem Stcicttsrccht
zu folgen.

Oder man schied, um das Gewissen der Geistlichen zu schonen, die bür¬
gerliche, dem Staatsrecht folgende Trauung von der kirchlichen und legte beiden
gleiche Berechtigung bei.

Für den ersten Weg konnten sich consequent nur die strenggläubigen Ka¬
tholiken entscheiden, denen die Ehe ein Sacrcunent und darum unauflöslich
ist. Zwar gab es auf der äußersten Rechten, (oder wie man sich jetzt aus¬
drücken muß, äußersten Linken) Fanatiker, die mit Preisgebung des bisherigen
preußischen Staatsrechts die gesetzlichen Bestimmungen über die Ehe mit Be¬
zug auf einzelne Bibclworte dem kanonischen Recht der katholischen Kirche so
viel als möglich nähern wollten; aber keiner ging so weit, die Katholiken
wirklich zu befriedigen d. h. der Ehe einen gradezu sacramentalen Charakter
zu geben. Sämmtliche Protestanten erkennen den Ehebruch als einen recht¬
lichen Scheidungsgrund. Aber selbst wenn der Protestantismus diese Posi¬
tion aufgegeben hätte, würde er damit seinen Gegner noch keineswegs be¬
friedigt haben, denn dann kamen die verbotenen Grade der Verwandtschaft
und vieles andere, was den Conflict immer noch fortdauern ließ. Die ka¬
tholische Fraction des vorigen Landtags hat auch consequent jede Abschlags¬
zahlung verschmäht, und wenn nicht ihr eignes Kirchenrecht als Staatsrecht
prvclannrt würde, sich jeder Abänderung des bestehenden Rechts widersetzt.
Da nun Sitte und gesunder Menschenverstand, wie sie in unserer Periode sich
entwickelt haben, den katholischen Bestimmungen des Eherechts auf das här¬
teste widersprechen, da dieser Conflict in die innersten Lebensbeziehungen des
Volkes eingreift und da also eine jede straffere Handhabung des Zügels eine
Beförderung der Unsittlichkeit sein würde, so konnte von diesem ersteren Weg
nicht die Rede sein.

Der zweite Weg, die Geistlichen zu zwingen, eine dem Staatsgesetz nickt
widersprechende Ehe einzusegnen, wäre innerhalb der protestantischen Kirche
vielleicht möglich gewesen; wie denn diese Conflicte zwischen protestantischen


den der Geistlichen war und diese, sobald das kirchliche Bewußtsein wieder er¬
starkt war, sich weigerten, eine ihrem Gewissen d. h. den kirchlichen Satzungen
widersprechende Ehe einzusegnen. Wie ernst und bedeutungsvoll dieser Conflict
war, erfahren wir am deutlichsten aus der Rede des Cultusministers, der die
Fälle der Eheverwcigerung zu Tausenden zählt und auf die Unsittlichkeit auf¬
merksam macht, die aus einem so schreienden Widerspruch der verschiedenen
positiven Rechte hervorgehn mußte.

Für die Lösung dieses Conflicts boten sich drei Wege.

Entweder man modificirte das Staatsrecht nach dem Kirchenrecht.

Oder man zwang die Geistlichen, insofern sie die bürgerliche Function
der Trauung ausübten, mit Hintansetzung des Kirchenrechts dem Stcicttsrccht
zu folgen.

Oder man schied, um das Gewissen der Geistlichen zu schonen, die bür¬
gerliche, dem Staatsrecht folgende Trauung von der kirchlichen und legte beiden
gleiche Berechtigung bei.

Für den ersten Weg konnten sich consequent nur die strenggläubigen Ka¬
tholiken entscheiden, denen die Ehe ein Sacrcunent und darum unauflöslich
ist. Zwar gab es auf der äußersten Rechten, (oder wie man sich jetzt aus¬
drücken muß, äußersten Linken) Fanatiker, die mit Preisgebung des bisherigen
preußischen Staatsrechts die gesetzlichen Bestimmungen über die Ehe mit Be¬
zug auf einzelne Bibclworte dem kanonischen Recht der katholischen Kirche so
viel als möglich nähern wollten; aber keiner ging so weit, die Katholiken
wirklich zu befriedigen d. h. der Ehe einen gradezu sacramentalen Charakter
zu geben. Sämmtliche Protestanten erkennen den Ehebruch als einen recht¬
lichen Scheidungsgrund. Aber selbst wenn der Protestantismus diese Posi¬
tion aufgegeben hätte, würde er damit seinen Gegner noch keineswegs be¬
friedigt haben, denn dann kamen die verbotenen Grade der Verwandtschaft
und vieles andere, was den Conflict immer noch fortdauern ließ. Die ka¬
tholische Fraction des vorigen Landtags hat auch consequent jede Abschlags¬
zahlung verschmäht, und wenn nicht ihr eignes Kirchenrecht als Staatsrecht
prvclannrt würde, sich jeder Abänderung des bestehenden Rechts widersetzt.
Da nun Sitte und gesunder Menschenverstand, wie sie in unserer Periode sich
entwickelt haben, den katholischen Bestimmungen des Eherechts auf das här¬
teste widersprechen, da dieser Conflict in die innersten Lebensbeziehungen des
Volkes eingreift und da also eine jede straffere Handhabung des Zügels eine
Beförderung der Unsittlichkeit sein würde, so konnte von diesem ersteren Weg
nicht die Rede sein.

Der zweite Weg, die Geistlichen zu zwingen, eine dem Staatsgesetz nickt
widersprechende Ehe einzusegnen, wäre innerhalb der protestantischen Kirche
vielleicht möglich gewesen; wie denn diese Conflicte zwischen protestantischen


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[0110] den der Geistlichen war und diese, sobald das kirchliche Bewußtsein wieder er¬ starkt war, sich weigerten, eine ihrem Gewissen d. h. den kirchlichen Satzungen widersprechende Ehe einzusegnen. Wie ernst und bedeutungsvoll dieser Conflict war, erfahren wir am deutlichsten aus der Rede des Cultusministers, der die Fälle der Eheverwcigerung zu Tausenden zählt und auf die Unsittlichkeit auf¬ merksam macht, die aus einem so schreienden Widerspruch der verschiedenen positiven Rechte hervorgehn mußte. Für die Lösung dieses Conflicts boten sich drei Wege. Entweder man modificirte das Staatsrecht nach dem Kirchenrecht. Oder man zwang die Geistlichen, insofern sie die bürgerliche Function der Trauung ausübten, mit Hintansetzung des Kirchenrechts dem Stcicttsrccht zu folgen. Oder man schied, um das Gewissen der Geistlichen zu schonen, die bür¬ gerliche, dem Staatsrecht folgende Trauung von der kirchlichen und legte beiden gleiche Berechtigung bei. Für den ersten Weg konnten sich consequent nur die strenggläubigen Ka¬ tholiken entscheiden, denen die Ehe ein Sacrcunent und darum unauflöslich ist. Zwar gab es auf der äußersten Rechten, (oder wie man sich jetzt aus¬ drücken muß, äußersten Linken) Fanatiker, die mit Preisgebung des bisherigen preußischen Staatsrechts die gesetzlichen Bestimmungen über die Ehe mit Be¬ zug auf einzelne Bibclworte dem kanonischen Recht der katholischen Kirche so viel als möglich nähern wollten; aber keiner ging so weit, die Katholiken wirklich zu befriedigen d. h. der Ehe einen gradezu sacramentalen Charakter zu geben. Sämmtliche Protestanten erkennen den Ehebruch als einen recht¬ lichen Scheidungsgrund. Aber selbst wenn der Protestantismus diese Posi¬ tion aufgegeben hätte, würde er damit seinen Gegner noch keineswegs be¬ friedigt haben, denn dann kamen die verbotenen Grade der Verwandtschaft und vieles andere, was den Conflict immer noch fortdauern ließ. Die ka¬ tholische Fraction des vorigen Landtags hat auch consequent jede Abschlags¬ zahlung verschmäht, und wenn nicht ihr eignes Kirchenrecht als Staatsrecht prvclannrt würde, sich jeder Abänderung des bestehenden Rechts widersetzt. Da nun Sitte und gesunder Menschenverstand, wie sie in unserer Periode sich entwickelt haben, den katholischen Bestimmungen des Eherechts auf das här¬ teste widersprechen, da dieser Conflict in die innersten Lebensbeziehungen des Volkes eingreift und da also eine jede straffere Handhabung des Zügels eine Beförderung der Unsittlichkeit sein würde, so konnte von diesem ersteren Weg nicht die Rede sein. Der zweite Weg, die Geistlichen zu zwingen, eine dem Staatsgesetz nickt widersprechende Ehe einzusegnen, wäre innerhalb der protestantischen Kirche vielleicht möglich gewesen; wie denn diese Conflicte zwischen protestantischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/110>, abgerufen am 22.12.2024.