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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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Verkehr sich auf dreihundert Schiffe in der gleichen Zeit beläuft, so wäre
seiner Industrie schon längst geholfen, und man würde nicht alljährlich mehr¬
mals das Schauspiel'eines in der Ula gestrandeten Fahrzeuges haben.

Das ärgste von allen Hindernissen für das Emporkommen einer einhei¬
mischen Industrie in Spanien ist und bleibt aber immer der schwankende poli¬
tische Zustand des Landes. Jeder Ministerwechsel, und alle Welt weiß, wie
viele es in den letzten zehn Jahren erlebt bat, bringt veränderte voll'swirth-
schaftliche Ansichten, oder was vielleicht richtiger wäre, veränderte Gunst und
Ungunst zur Geltung, so daß der industrielle Unternehmer nie mit Sicherheit
darauf bauen kann, auf wie lange seine Berechnungen zu den wirklichen Ver¬
hältnissen passen werden. Selbst die Gerecht!gkeitspflege folgt diesen Schwan¬
kungen der Politik. Daraus ergibt sich bereits, daß es vor der Hand nur dem
großen Capital möglich ist, in Spanien Erfolge zu erzielen. Beispiele erläu¬
tern diese Lage weit eindringlicher als Beweisführungen. Die eben genannte
Gesellschaft hat bei Cumilias eine Galmeigrube, für deren Besitz sie bereits
sechs Processe mit ein und demselben Gegner hat führen müssen; diese hat
sie abwechselnd gewonnen und verloren, und es sind in dieser Sache ebenso
viele königliche Decrete erlassen worden, die derselben den Besitz das eine Mal
zu-, das andere Mal absprechen. Das letzte Mal hat sie den Proceß ge¬
wonnen, und ist demzufolge zum dritten Mal durch königliches Decret für
die rechtmäßige Besitzerin der Grube erklärt, aber niemand steht ihr dafür,
daß beim nächsten Ministerwechsel dieses Urtheil durch königliches Decret cas-
sirt und die Sache zum siebenten Mal von vorn angefangen werden muß.

So muß es denn ebenfalls eine Folge der politischen Zerrüttung genannt
werden, daß nirgend in der Verwaltung ein geregelter, stetiger Gang herrscht.
Die redlichste, wohlmeinendste Regierung wird sich in den wohlthätigsten Ma߬
regeln gehemmt, in dem ehrlichsten Streben aufgehalten sehen, weil sie sich
auf ihre Organe nicht verlassen kann. Die Deprcwation des Beamtenstandes
ist die Quelle der schlimmsten Uebel in Spanien, sie schadet gegenwärtig dem
Lande nicht weniger als seit Jahrhunderten der blinde Fanatismus der Kirche.
Welches Land, dieses Spanien, das mit seinen Reichthümern und seiner herr¬
lichen Lage eines der ersten Europas sein könnte, wenn nicht seiner Bevöl¬
kerung alle Tüchtigkeit abhanden gekommen wäre! Auch hier möge ein Beispiel
aus vielen das Gesagte erläutern. Kürzlich war aus der Rhede eines der
nördlichen Häfen ein holländisches Schiff gescheitert. Durch Sachverständige
wurde es für verloren erklärt und der Capitän verzichtete darauf, indem er
es der Versicherungsgesellschaft überließ. Nach spanischem Gesetz hatte die
Hafenbehorde das Wrack ans Land zu schaffen, es öffentlich zu versteigern und
den Ertrag nach Abzug der Kosten der Versicherungsgesellschaft, als der nun¬
mehrigen Besitzerin des Schiffes, zuzustellen. So geschah denn auch. Die


Grenzboten II. 1SS9. 13

Verkehr sich auf dreihundert Schiffe in der gleichen Zeit beläuft, so wäre
seiner Industrie schon längst geholfen, und man würde nicht alljährlich mehr¬
mals das Schauspiel'eines in der Ula gestrandeten Fahrzeuges haben.

Das ärgste von allen Hindernissen für das Emporkommen einer einhei¬
mischen Industrie in Spanien ist und bleibt aber immer der schwankende poli¬
tische Zustand des Landes. Jeder Ministerwechsel, und alle Welt weiß, wie
viele es in den letzten zehn Jahren erlebt bat, bringt veränderte voll'swirth-
schaftliche Ansichten, oder was vielleicht richtiger wäre, veränderte Gunst und
Ungunst zur Geltung, so daß der industrielle Unternehmer nie mit Sicherheit
darauf bauen kann, auf wie lange seine Berechnungen zu den wirklichen Ver¬
hältnissen passen werden. Selbst die Gerecht!gkeitspflege folgt diesen Schwan¬
kungen der Politik. Daraus ergibt sich bereits, daß es vor der Hand nur dem
großen Capital möglich ist, in Spanien Erfolge zu erzielen. Beispiele erläu¬
tern diese Lage weit eindringlicher als Beweisführungen. Die eben genannte
Gesellschaft hat bei Cumilias eine Galmeigrube, für deren Besitz sie bereits
sechs Processe mit ein und demselben Gegner hat führen müssen; diese hat
sie abwechselnd gewonnen und verloren, und es sind in dieser Sache ebenso
viele königliche Decrete erlassen worden, die derselben den Besitz das eine Mal
zu-, das andere Mal absprechen. Das letzte Mal hat sie den Proceß ge¬
wonnen, und ist demzufolge zum dritten Mal durch königliches Decret für
die rechtmäßige Besitzerin der Grube erklärt, aber niemand steht ihr dafür,
daß beim nächsten Ministerwechsel dieses Urtheil durch königliches Decret cas-
sirt und die Sache zum siebenten Mal von vorn angefangen werden muß.

So muß es denn ebenfalls eine Folge der politischen Zerrüttung genannt
werden, daß nirgend in der Verwaltung ein geregelter, stetiger Gang herrscht.
Die redlichste, wohlmeinendste Regierung wird sich in den wohlthätigsten Ma߬
regeln gehemmt, in dem ehrlichsten Streben aufgehalten sehen, weil sie sich
auf ihre Organe nicht verlassen kann. Die Deprcwation des Beamtenstandes
ist die Quelle der schlimmsten Uebel in Spanien, sie schadet gegenwärtig dem
Lande nicht weniger als seit Jahrhunderten der blinde Fanatismus der Kirche.
Welches Land, dieses Spanien, das mit seinen Reichthümern und seiner herr¬
lichen Lage eines der ersten Europas sein könnte, wenn nicht seiner Bevöl¬
kerung alle Tüchtigkeit abhanden gekommen wäre! Auch hier möge ein Beispiel
aus vielen das Gesagte erläutern. Kürzlich war aus der Rhede eines der
nördlichen Häfen ein holländisches Schiff gescheitert. Durch Sachverständige
wurde es für verloren erklärt und der Capitän verzichtete darauf, indem er
es der Versicherungsgesellschaft überließ. Nach spanischem Gesetz hatte die
Hafenbehorde das Wrack ans Land zu schaffen, es öffentlich zu versteigern und
den Ertrag nach Abzug der Kosten der Versicherungsgesellschaft, als der nun¬
mehrigen Besitzerin des Schiffes, zuzustellen. So geschah denn auch. Die


Grenzboten II. 1SS9. 13
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[0107] Verkehr sich auf dreihundert Schiffe in der gleichen Zeit beläuft, so wäre seiner Industrie schon längst geholfen, und man würde nicht alljährlich mehr¬ mals das Schauspiel'eines in der Ula gestrandeten Fahrzeuges haben. Das ärgste von allen Hindernissen für das Emporkommen einer einhei¬ mischen Industrie in Spanien ist und bleibt aber immer der schwankende poli¬ tische Zustand des Landes. Jeder Ministerwechsel, und alle Welt weiß, wie viele es in den letzten zehn Jahren erlebt bat, bringt veränderte voll'swirth- schaftliche Ansichten, oder was vielleicht richtiger wäre, veränderte Gunst und Ungunst zur Geltung, so daß der industrielle Unternehmer nie mit Sicherheit darauf bauen kann, auf wie lange seine Berechnungen zu den wirklichen Ver¬ hältnissen passen werden. Selbst die Gerecht!gkeitspflege folgt diesen Schwan¬ kungen der Politik. Daraus ergibt sich bereits, daß es vor der Hand nur dem großen Capital möglich ist, in Spanien Erfolge zu erzielen. Beispiele erläu¬ tern diese Lage weit eindringlicher als Beweisführungen. Die eben genannte Gesellschaft hat bei Cumilias eine Galmeigrube, für deren Besitz sie bereits sechs Processe mit ein und demselben Gegner hat führen müssen; diese hat sie abwechselnd gewonnen und verloren, und es sind in dieser Sache ebenso viele königliche Decrete erlassen worden, die derselben den Besitz das eine Mal zu-, das andere Mal absprechen. Das letzte Mal hat sie den Proceß ge¬ wonnen, und ist demzufolge zum dritten Mal durch königliches Decret für die rechtmäßige Besitzerin der Grube erklärt, aber niemand steht ihr dafür, daß beim nächsten Ministerwechsel dieses Urtheil durch königliches Decret cas- sirt und die Sache zum siebenten Mal von vorn angefangen werden muß. So muß es denn ebenfalls eine Folge der politischen Zerrüttung genannt werden, daß nirgend in der Verwaltung ein geregelter, stetiger Gang herrscht. Die redlichste, wohlmeinendste Regierung wird sich in den wohlthätigsten Ma߬ regeln gehemmt, in dem ehrlichsten Streben aufgehalten sehen, weil sie sich auf ihre Organe nicht verlassen kann. Die Deprcwation des Beamtenstandes ist die Quelle der schlimmsten Uebel in Spanien, sie schadet gegenwärtig dem Lande nicht weniger als seit Jahrhunderten der blinde Fanatismus der Kirche. Welches Land, dieses Spanien, das mit seinen Reichthümern und seiner herr¬ lichen Lage eines der ersten Europas sein könnte, wenn nicht seiner Bevöl¬ kerung alle Tüchtigkeit abhanden gekommen wäre! Auch hier möge ein Beispiel aus vielen das Gesagte erläutern. Kürzlich war aus der Rhede eines der nördlichen Häfen ein holländisches Schiff gescheitert. Durch Sachverständige wurde es für verloren erklärt und der Capitän verzichtete darauf, indem er es der Versicherungsgesellschaft überließ. Nach spanischem Gesetz hatte die Hafenbehorde das Wrack ans Land zu schaffen, es öffentlich zu versteigern und den Ertrag nach Abzug der Kosten der Versicherungsgesellschaft, als der nun¬ mehrigen Besitzerin des Schiffes, zuzustellen. So geschah denn auch. Die Grenzboten II. 1SS9. 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/107>, abgerufen am 22.12.2024.