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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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begeistert. Der Beweis, daß die sogenannte Profangeschichte der poetischen
und malerischen Stoffe eine große Fülle in sich berge, bedarf wol nicht an¬
getreten zu werden, dagegen muß die Forderung Wut werden, daß in der
Schilderung unserer Vergangenheit nicht blos äußere Treue, sondern auch
innere Wahrheit herrsche, die Charakteristik vor sicherer Individualisirung nicht
zurückschrecke, vor allem aber den Ausdrucksmitteln der Malerei, die allein
das Innere der dargestellten Helden bloßlegen und unsere Empfindung packen,
die höchste Aufmerksamkeit zuwenden werde.^ Die weisen Männer der Kritik,
die sich blöd darüber wundern, daß sür die Beurtheilung von Gemälden so
viel vom Maler gesprochen wird, müssen wissen, daß es sich hier nicht etwa
blos um ein größeres oder geringeres Maß technischer Geschicklichkeit handle,
sondern daß jene Farbenpoesie gemeint ist. welche in die Schilderung erst die
rechte Stimmung bringt und die Charaktere über die gewöhnliche Alltäglich¬
keit erheöt.

Für viele uuserer Künstler besitzt aber die Vergangenheit leider keinen
andern Reiz, als daß sie die Flucht aus der Gegenwart erleichtert. Von
Kindesbeinen an werden wir gelehrt, die ästhetische Seite unseres Lebens ge-
nng zu achten, die absolute Unfähigkeit der Gegenwart zur künstlerischen
Verklärung .wird feierlich zum Dogma erhoben, Verspottung derselben als
das richtigste Merkmal feinerer artistischer Bildung angesehen. Daß die Wahr¬
heit eines solchen Glaubens uns überhaupt das künstlerische Vermögen rau¬
ben würde, und alle diese üblen Eigenschaften der Gegenwart dem Künstler,
auch wenn er sich in die fernsten Zeiten zurückslüchtct, auf dem Fuße nach¬
folgen möchten, hat man noch niemals bedacht. Besäßen unsere Historienmaler
nur die Hälfte des Muthes, der unsere Landschaftsmaler auszeichnet, hätten
sie die Energie, unbefangen zu beobachten und abgegriffene ästhetische Begriffe
zu vergessen, es würde sich die Meinung über den künstlerischen Werth des
gegenwärtigen Lebens bald anders stellen und die Ueberzeugung, nur in Plu¬
derhosen oder Brustharnisch sei eine männliche Gestalt malerisch brauchbar,
zum Wanken gebracht werden. Zeigt denn diesen "Gewandhubern". die die
Malerei zur Costümdarstcllung herabsetzen, nicht der einfache Volksinstinct die
falsche Fährte, die sie eingeschlagen? Wie kommt es. daß alle diese Conra-
dins und Tillys, diese Fürsten, die sich das Todesurtheil verkündigen lassen
oder aus der Haft entlassen werden, nicht zünden, nicht nur keine Theilnahme,
sondern nicht einmal die äußerlichste Aufmerksamkeit auf sich ziehen, daß auf
aydern Seite z. B. des trivialen Feuermüllers oder des doch wahrlich
künstlerisch nicht hochstehenden Flüggen Schilderungen weite Kreise fesseln.
d>e Sympathie anregen/ die Phantasie der Beschauer mit sich reißen? Das
Volk, dankbar, daß es selbst, seine lebendigen Glieder zum Gegenstand der
künstlerischen Darstellung gewühlt wurde, vergißt auch die Trivialität und den


begeistert. Der Beweis, daß die sogenannte Profangeschichte der poetischen
und malerischen Stoffe eine große Fülle in sich berge, bedarf wol nicht an¬
getreten zu werden, dagegen muß die Forderung Wut werden, daß in der
Schilderung unserer Vergangenheit nicht blos äußere Treue, sondern auch
innere Wahrheit herrsche, die Charakteristik vor sicherer Individualisirung nicht
zurückschrecke, vor allem aber den Ausdrucksmitteln der Malerei, die allein
das Innere der dargestellten Helden bloßlegen und unsere Empfindung packen,
die höchste Aufmerksamkeit zuwenden werde.^ Die weisen Männer der Kritik,
die sich blöd darüber wundern, daß sür die Beurtheilung von Gemälden so
viel vom Maler gesprochen wird, müssen wissen, daß es sich hier nicht etwa
blos um ein größeres oder geringeres Maß technischer Geschicklichkeit handle,
sondern daß jene Farbenpoesie gemeint ist. welche in die Schilderung erst die
rechte Stimmung bringt und die Charaktere über die gewöhnliche Alltäglich¬
keit erheöt.

Für viele uuserer Künstler besitzt aber die Vergangenheit leider keinen
andern Reiz, als daß sie die Flucht aus der Gegenwart erleichtert. Von
Kindesbeinen an werden wir gelehrt, die ästhetische Seite unseres Lebens ge-
nng zu achten, die absolute Unfähigkeit der Gegenwart zur künstlerischen
Verklärung .wird feierlich zum Dogma erhoben, Verspottung derselben als
das richtigste Merkmal feinerer artistischer Bildung angesehen. Daß die Wahr¬
heit eines solchen Glaubens uns überhaupt das künstlerische Vermögen rau¬
ben würde, und alle diese üblen Eigenschaften der Gegenwart dem Künstler,
auch wenn er sich in die fernsten Zeiten zurückslüchtct, auf dem Fuße nach¬
folgen möchten, hat man noch niemals bedacht. Besäßen unsere Historienmaler
nur die Hälfte des Muthes, der unsere Landschaftsmaler auszeichnet, hätten
sie die Energie, unbefangen zu beobachten und abgegriffene ästhetische Begriffe
zu vergessen, es würde sich die Meinung über den künstlerischen Werth des
gegenwärtigen Lebens bald anders stellen und die Ueberzeugung, nur in Plu¬
derhosen oder Brustharnisch sei eine männliche Gestalt malerisch brauchbar,
zum Wanken gebracht werden. Zeigt denn diesen „Gewandhubern". die die
Malerei zur Costümdarstcllung herabsetzen, nicht der einfache Volksinstinct die
falsche Fährte, die sie eingeschlagen? Wie kommt es. daß alle diese Conra-
dins und Tillys, diese Fürsten, die sich das Todesurtheil verkündigen lassen
oder aus der Haft entlassen werden, nicht zünden, nicht nur keine Theilnahme,
sondern nicht einmal die äußerlichste Aufmerksamkeit auf sich ziehen, daß auf
aydern Seite z. B. des trivialen Feuermüllers oder des doch wahrlich
künstlerisch nicht hochstehenden Flüggen Schilderungen weite Kreise fesseln.
d>e Sympathie anregen/ die Phantasie der Beschauer mit sich reißen? Das
Volk, dankbar, daß es selbst, seine lebendigen Glieder zum Gegenstand der
künstlerischen Darstellung gewühlt wurde, vergißt auch die Trivialität und den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/71>, abgerufen am 26.09.2024.