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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Gruppe macht sich oft ein allgemeiner Lebensüberdruß, der Aerger über die
ganze Welt bemerkbar. Flete mit dieser Kunstrichtung nicht auch die Wieder¬
belebung altdeutscher Weise zusammen, wir wüßten ihr wenig Dank sür tue
Opposition gegen das akademische Unwesen. Gewiß haben wir uus über den
Untergang des letzteren nur zu freuen; am wenigsten beklagen wir den Tausch
der ausgelebten Phraseologie, wie sie unter den Akademikern galt, mit primi¬
tiven Formen. Grobheit ist immer besser als Heuchelei. Wäre nur diese
, Heuchelei nicht durch eine andere Thür wieder in die deutsche Kunst hinein¬
gekommen, sähen wir nicht, wie ehedem die Herrschaft scheinheiliger Formen, jetzt
die Macht scheinheiliger Gesinnung, die. statt Gott in seinen Werken zu ver¬
ehren, diese ansieht, als hätte sie der Gottseibeiuns eigenhändig bezeichnet,
wäre endlich nicht das Schwächliche präkonisirt worden und ein System der
künstlerischen Anschauung gepredigt, das in Wahrheit lungcnsüchtige Schnerdcr-
gesellen zu Idealen der Männlichkeit erhebt. Es ist kein Unglück, daß die
Münchner Ausstellung nur geringe Proben dieser Richtung ausweist. Dagegen
bleibt es zu beklagen, daß die Entwicklungsgeschichte des Mannes, der wieder
Kraft und Muth in die deutsche Kunst brachte, nicht vollständig durch Proben
belegt ist. Man braucht allerdings nur einige Straßen weiter zu wandeln,
um eine vollständige Uebersicht von der Münchner Wirksamkeit des Meiste^Cornelius zu gewinnen. Aber die Werke aus der älteren Periode. die ohnehin
im Gedächtniß jüngerer Zeitgenossen nur schwach leben, hätten wir gern
reicher vertreten geschaut.

Die Männer, an die man gewöhnlich denkt, wenn von der Blüte unserer
Kunst gesprochen wird: Overbeck. Cornelius. Schmorr. Schadow. Kaulbach
fehlen natürlich in der Ausstellung nicht, doch bietet, was sich von denselben
hier vorfindet, keinen neuen Stoff zur Würdigung dieser oft und viel besprochenen
Meister. Die alte Freundschaft wird man sür Overbecks biblische Zeich¬
nungen fühlen, gern wieder sich anregen lassen von den frischen naiven Zügen,
die in zahlreiche Scenen eingewebt sind, und den unverwischbaren Schönheits-
sinn, der aus einzelnen Bildern und Gruppen spricht, bewundern. Wer für
Wilhelm Schadow anhängliches Wohlwollen aus alter Zeit empfindet und
das Greisenalter schonen will, wird rasch den Blick von einzelnen schwachen
Erzeugnissen seiner späteren Jahre wenden. Verweilen darf man vor diesen
Bildern nicht, sonst ist ein herbes Urtheil schwer zu verwinden, zumal diesen
Werken die Anspruchslosigkeit fehlt und sie etwas Großes bedeuten wollen,
^vns vitÄö steht mit Lapidarschrift auf dem einen Bilde geschrieben. Man
erwartet natürlich eine Schilderung, von demselben Geiste inspinrt. der aus
den Eyckschen Darstellungen leuchtet, und findet schwach erfundene, matt
charakterisn-te und geistlos gefärbte Gruppen. Von Murillo existirt eine
Studie zu seinem großen Mosesbilde, ein einfaches Weib mit Kindern, die


Gruppe macht sich oft ein allgemeiner Lebensüberdruß, der Aerger über die
ganze Welt bemerkbar. Flete mit dieser Kunstrichtung nicht auch die Wieder¬
belebung altdeutscher Weise zusammen, wir wüßten ihr wenig Dank sür tue
Opposition gegen das akademische Unwesen. Gewiß haben wir uus über den
Untergang des letzteren nur zu freuen; am wenigsten beklagen wir den Tausch
der ausgelebten Phraseologie, wie sie unter den Akademikern galt, mit primi¬
tiven Formen. Grobheit ist immer besser als Heuchelei. Wäre nur diese
, Heuchelei nicht durch eine andere Thür wieder in die deutsche Kunst hinein¬
gekommen, sähen wir nicht, wie ehedem die Herrschaft scheinheiliger Formen, jetzt
die Macht scheinheiliger Gesinnung, die. statt Gott in seinen Werken zu ver¬
ehren, diese ansieht, als hätte sie der Gottseibeiuns eigenhändig bezeichnet,
wäre endlich nicht das Schwächliche präkonisirt worden und ein System der
künstlerischen Anschauung gepredigt, das in Wahrheit lungcnsüchtige Schnerdcr-
gesellen zu Idealen der Männlichkeit erhebt. Es ist kein Unglück, daß die
Münchner Ausstellung nur geringe Proben dieser Richtung ausweist. Dagegen
bleibt es zu beklagen, daß die Entwicklungsgeschichte des Mannes, der wieder
Kraft und Muth in die deutsche Kunst brachte, nicht vollständig durch Proben
belegt ist. Man braucht allerdings nur einige Straßen weiter zu wandeln,
um eine vollständige Uebersicht von der Münchner Wirksamkeit des Meiste^Cornelius zu gewinnen. Aber die Werke aus der älteren Periode. die ohnehin
im Gedächtniß jüngerer Zeitgenossen nur schwach leben, hätten wir gern
reicher vertreten geschaut.

Die Männer, an die man gewöhnlich denkt, wenn von der Blüte unserer
Kunst gesprochen wird: Overbeck. Cornelius. Schmorr. Schadow. Kaulbach
fehlen natürlich in der Ausstellung nicht, doch bietet, was sich von denselben
hier vorfindet, keinen neuen Stoff zur Würdigung dieser oft und viel besprochenen
Meister. Die alte Freundschaft wird man sür Overbecks biblische Zeich¬
nungen fühlen, gern wieder sich anregen lassen von den frischen naiven Zügen,
die in zahlreiche Scenen eingewebt sind, und den unverwischbaren Schönheits-
sinn, der aus einzelnen Bildern und Gruppen spricht, bewundern. Wer für
Wilhelm Schadow anhängliches Wohlwollen aus alter Zeit empfindet und
das Greisenalter schonen will, wird rasch den Blick von einzelnen schwachen
Erzeugnissen seiner späteren Jahre wenden. Verweilen darf man vor diesen
Bildern nicht, sonst ist ein herbes Urtheil schwer zu verwinden, zumal diesen
Werken die Anspruchslosigkeit fehlt und sie etwas Großes bedeuten wollen,
^vns vitÄö steht mit Lapidarschrift auf dem einen Bilde geschrieben. Man
erwartet natürlich eine Schilderung, von demselben Geiste inspinrt. der aus
den Eyckschen Darstellungen leuchtet, und findet schwach erfundene, matt
charakterisn-te und geistlos gefärbte Gruppen. Von Murillo existirt eine
Studie zu seinem großen Mosesbilde, ein einfaches Weib mit Kindern, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/61>, abgerufen am 26.07.2024.