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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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sich fast um um ihr eigenes Vergnügen, wenig um ihre Beziehung zu den
Zuschauenden, und wenn, wie in Deutschland, zu der Armuth an schönen For¬
men noch der Mangel an Grazie beim Tanz kommt, so muß man vom ge¬
wöhnlichen Tanz als besonderer Kunstform ganz absehn. Anders gestaltete
sich die Orchestik bei den Alten, in deren Anschauung geistige und körperliche
Schönheit untrennbar waren, bei denen alles Innere plastisch in die Gestalt
heraustrat. Sie tanzten eben mit dem ganzen Körper; besonders das selbst
von den Kunsttänzern jetzt arg vernachlässigte Spiel der Arme und Hände
richtete sich streng nach der Stimmung der Musik, gleichsam durch die Harmonie
der'Bewegungen die fehlenden musikalischen Ausdrucksmittel ersetzend. Frei¬
lich knüpft sich an den Umstand, daß damals die Tänze fast blos für den Zu¬
schauer berechnet waren, der weitere Unterschied, daß bald der gesellige Tanz
größtentheils im Kunsttanz unterging und dann bei Mahlzeiten und andern
Belustigungen Tänzer und Tänzerinnen von Profession auftraten. Die bei
Homer noch nicht vorhandenen Vorurtheile gegen die Kunst treten in der histo¬
rischen Zeit deutlich hervor und das Beispiel des Atheners Hippokleidcs,
der sich vor seinem ernsten Schwiegervater Kleisthenes in Sicyon die Braut
durch zu leidenschaftliche Liebe zum Tanz verscherzte, wird manchem griechi¬
schen Dandy warnend vorgeschwebt haben. Auch war bei der halborientali-
schen Abgeschlossenheit der Frauen an ein Zusammentanzen beider Geschlechter
unter Erwachsenen gnr nicht zu denken, und es wäre dasselbe für ein hoher
Grad unmännlicher Haltungslosigkeit angesehen worden. Noch strenger, als
die Griechen, urtheilten natürlich die Römer in dieser Beziehung, weil ihnen
mit der gravitätischen Würde des Mannes eine tänzelnde Beweglichkeit un¬
vereinbar erschien. Ciceros berühmt gewordenes Wort: "Niemand fast tanzt
in nüchternem Zustand, wenn er nicht vielleicht den Verstand verloren hat",
trifft deshalb zufällig mit der Ansicht vieler Sittenrichter unsrer Tage überein,
"die," wie Bischer sagt, "nur eine häßliche Sinnlichkeit kennen." So bliebe
denn eigentlich blos ein Vergleich zwischen den höheren Kunstformen alter und
neuer Zeit möglich, wie sie besonders in der theatralischen Orchestik austreten
und hier ist es besonders die römische Kaiserzeit. die bis jetzt unerreicht dasteht.

Die überaus große Beweglichkeit der Südländer, ihre lebhafte Gesticula-
tion und die Mannigfaltigkeit des Lebens erzeugte bei den Griechen früh eine
Reihe von Geberden, welche auch außerhalb des Theaters im täglichen Leben
ihre Anwendung fanden und allen sogleich verständlich waren. Einige Gesten
dieser Art. namentlich solche, die sich auf Liebesverhältnisse bezogen, kommen
noch in den Malereien antiker Thongefäße vor. Man wundert sich deshalb nicht
über die Neigung der Griechen, auch durch den Tanz wirkliche Handlungen
darzustellen. Bald überwog das mimische Element das rhythmische, und es gab
endlich keinen Charakter, kein Gewerbe, nichts Auffallendes im Getriebe des


sich fast um um ihr eigenes Vergnügen, wenig um ihre Beziehung zu den
Zuschauenden, und wenn, wie in Deutschland, zu der Armuth an schönen For¬
men noch der Mangel an Grazie beim Tanz kommt, so muß man vom ge¬
wöhnlichen Tanz als besonderer Kunstform ganz absehn. Anders gestaltete
sich die Orchestik bei den Alten, in deren Anschauung geistige und körperliche
Schönheit untrennbar waren, bei denen alles Innere plastisch in die Gestalt
heraustrat. Sie tanzten eben mit dem ganzen Körper; besonders das selbst
von den Kunsttänzern jetzt arg vernachlässigte Spiel der Arme und Hände
richtete sich streng nach der Stimmung der Musik, gleichsam durch die Harmonie
der'Bewegungen die fehlenden musikalischen Ausdrucksmittel ersetzend. Frei¬
lich knüpft sich an den Umstand, daß damals die Tänze fast blos für den Zu¬
schauer berechnet waren, der weitere Unterschied, daß bald der gesellige Tanz
größtentheils im Kunsttanz unterging und dann bei Mahlzeiten und andern
Belustigungen Tänzer und Tänzerinnen von Profession auftraten. Die bei
Homer noch nicht vorhandenen Vorurtheile gegen die Kunst treten in der histo¬
rischen Zeit deutlich hervor und das Beispiel des Atheners Hippokleidcs,
der sich vor seinem ernsten Schwiegervater Kleisthenes in Sicyon die Braut
durch zu leidenschaftliche Liebe zum Tanz verscherzte, wird manchem griechi¬
schen Dandy warnend vorgeschwebt haben. Auch war bei der halborientali-
schen Abgeschlossenheit der Frauen an ein Zusammentanzen beider Geschlechter
unter Erwachsenen gnr nicht zu denken, und es wäre dasselbe für ein hoher
Grad unmännlicher Haltungslosigkeit angesehen worden. Noch strenger, als
die Griechen, urtheilten natürlich die Römer in dieser Beziehung, weil ihnen
mit der gravitätischen Würde des Mannes eine tänzelnde Beweglichkeit un¬
vereinbar erschien. Ciceros berühmt gewordenes Wort: „Niemand fast tanzt
in nüchternem Zustand, wenn er nicht vielleicht den Verstand verloren hat",
trifft deshalb zufällig mit der Ansicht vieler Sittenrichter unsrer Tage überein,
„die," wie Bischer sagt, „nur eine häßliche Sinnlichkeit kennen." So bliebe
denn eigentlich blos ein Vergleich zwischen den höheren Kunstformen alter und
neuer Zeit möglich, wie sie besonders in der theatralischen Orchestik austreten
und hier ist es besonders die römische Kaiserzeit. die bis jetzt unerreicht dasteht.

Die überaus große Beweglichkeit der Südländer, ihre lebhafte Gesticula-
tion und die Mannigfaltigkeit des Lebens erzeugte bei den Griechen früh eine
Reihe von Geberden, welche auch außerhalb des Theaters im täglichen Leben
ihre Anwendung fanden und allen sogleich verständlich waren. Einige Gesten
dieser Art. namentlich solche, die sich auf Liebesverhältnisse bezogen, kommen
noch in den Malereien antiker Thongefäße vor. Man wundert sich deshalb nicht
über die Neigung der Griechen, auch durch den Tanz wirkliche Handlungen
darzustellen. Bald überwog das mimische Element das rhythmische, und es gab
endlich keinen Charakter, kein Gewerbe, nichts Auffallendes im Getriebe des


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[0517] sich fast um um ihr eigenes Vergnügen, wenig um ihre Beziehung zu den Zuschauenden, und wenn, wie in Deutschland, zu der Armuth an schönen For¬ men noch der Mangel an Grazie beim Tanz kommt, so muß man vom ge¬ wöhnlichen Tanz als besonderer Kunstform ganz absehn. Anders gestaltete sich die Orchestik bei den Alten, in deren Anschauung geistige und körperliche Schönheit untrennbar waren, bei denen alles Innere plastisch in die Gestalt heraustrat. Sie tanzten eben mit dem ganzen Körper; besonders das selbst von den Kunsttänzern jetzt arg vernachlässigte Spiel der Arme und Hände richtete sich streng nach der Stimmung der Musik, gleichsam durch die Harmonie der'Bewegungen die fehlenden musikalischen Ausdrucksmittel ersetzend. Frei¬ lich knüpft sich an den Umstand, daß damals die Tänze fast blos für den Zu¬ schauer berechnet waren, der weitere Unterschied, daß bald der gesellige Tanz größtentheils im Kunsttanz unterging und dann bei Mahlzeiten und andern Belustigungen Tänzer und Tänzerinnen von Profession auftraten. Die bei Homer noch nicht vorhandenen Vorurtheile gegen die Kunst treten in der histo¬ rischen Zeit deutlich hervor und das Beispiel des Atheners Hippokleidcs, der sich vor seinem ernsten Schwiegervater Kleisthenes in Sicyon die Braut durch zu leidenschaftliche Liebe zum Tanz verscherzte, wird manchem griechi¬ schen Dandy warnend vorgeschwebt haben. Auch war bei der halborientali- schen Abgeschlossenheit der Frauen an ein Zusammentanzen beider Geschlechter unter Erwachsenen gnr nicht zu denken, und es wäre dasselbe für ein hoher Grad unmännlicher Haltungslosigkeit angesehen worden. Noch strenger, als die Griechen, urtheilten natürlich die Römer in dieser Beziehung, weil ihnen mit der gravitätischen Würde des Mannes eine tänzelnde Beweglichkeit un¬ vereinbar erschien. Ciceros berühmt gewordenes Wort: „Niemand fast tanzt in nüchternem Zustand, wenn er nicht vielleicht den Verstand verloren hat", trifft deshalb zufällig mit der Ansicht vieler Sittenrichter unsrer Tage überein, „die," wie Bischer sagt, „nur eine häßliche Sinnlichkeit kennen." So bliebe denn eigentlich blos ein Vergleich zwischen den höheren Kunstformen alter und neuer Zeit möglich, wie sie besonders in der theatralischen Orchestik austreten und hier ist es besonders die römische Kaiserzeit. die bis jetzt unerreicht dasteht. Die überaus große Beweglichkeit der Südländer, ihre lebhafte Gesticula- tion und die Mannigfaltigkeit des Lebens erzeugte bei den Griechen früh eine Reihe von Geberden, welche auch außerhalb des Theaters im täglichen Leben ihre Anwendung fanden und allen sogleich verständlich waren. Einige Gesten dieser Art. namentlich solche, die sich auf Liebesverhältnisse bezogen, kommen noch in den Malereien antiker Thongefäße vor. Man wundert sich deshalb nicht über die Neigung der Griechen, auch durch den Tanz wirkliche Handlungen darzustellen. Bald überwog das mimische Element das rhythmische, und es gab endlich keinen Charakter, kein Gewerbe, nichts Auffallendes im Getriebe des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/517>, abgerufen am 26.07.2024.