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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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solcher Schmäuse gedacht, welche unter "dem Schein von Kindelbetten, item
Kindmahlen, Aderlaß :c." vor sich gingen. Sie werden belehrt, daß es
ihnen nicht erlaubt sei, bei "Kindcrtcmfen, Kirchtagcn. Begängnissen, Bruder¬
schaften und Kirchweihen" Wein nach dem Zapfenmaße auszuschenken, ohne
Taxe zu zahlen.

Diese weltliche Seite der Geistlichkeit hat erst durch Ablösung des Zehn¬
ten ihr lebendiges Colorit verloren, ohne Zweifel zum Vortheil ihres Standes,
so viel Widerspruch auch dagegen erhoben wurde. Noch vor wenigen Jahren
galt die alte Zehentordnung, wonach sogenannte Zahlschvber gemacht werden
mußten, damit der Zehentherr sogleich nach der Ernte seine Garben holen
könne. Vor drei Tagen durfte kein Getreide eingefahren werden und weitere
zwei Tage , mußten die dann zurückgelassenen Zehentgarbcn aus dem Felde
gehütet werden. Bei nicht geleisteten Zehent wurde die nächste Aussaat ge¬
pfändet oder Vieh weggenommen. Man begreift, welche Reibungen zwischen
Pfarrer und Bauer vorkommen mußten.

Dies und anderes hat der Strom der Zeit fortgerissen, so lange man
sich auch sperrte und mit der Behauptung zur Wehr setzte, der Klerus dürfe
nie und nimmer ein Jota nachlassen. Aber es ist doch nur Aeußerliches. Der
Kern ist derselbe geblieben.

Noch heute wird in öffentlichen Reden und katholischen Kirchcnzeitungen
von "Protestanten geredet, welche schon Christus in seinem Gespräche mit
der Samariterin verdammt habe". Noch heute wird über die Berechtigung
ein Iudenkind zu rauben, öffentlich gepredigt. -- z. B. vom Spiritual Ad.
Schmidt in Gratz. Noch heute preist ein kirchliches. Blatt aus Steiermark,
der Wahrheitsfreund, den Kronprinzen Rudolph wegen des Mürtyrcrthums
seines heiligen Namensvetters von Bern, den die Juden ums Jahr 1287 in
Stücke geschnitten haben sollen und dessen Tod Veranlassung war, daß eine
Menge Juden auf dem Rade starben, der Rest aber aus Bern verjagt wurde.
Ganz der nämliche blutdürstige Geist, welcher im Jahre 14W die Juden aus
den steirischen Bergen und Thälern hinaushetzte und ihnen noch jetzt das
Niederlassungsrecht dort verkümmert! Und wie weit liegt doch in nicht kirch¬
licher Beziehung jene ungeschlachte Zeit hinter dem mildem Geiste der
Gegenwart, jene nämliche Zeit, die so trefflich durch die Sportcltaxe des stei¬
rischen Freimanns von 1574 charakterisirt wird: vier Schilling für Martern,
zwei Schilling für Ohrabschnciden, ein Schilling für Vertheilen, sechs Schil¬
ling sür Ertränken, vier Schilling für Zwicken, und wie sie alle der Reihe
nach aufmarschiren, diese uns bis zur UnVerständlichkeit abhanden gekommenen
Denkzeichen einer verschollenen Zeit. Um aber den Geist, den wir hier im
Auge haben, mit seinen eignen Worten reden zu lassen und einen Beleg sür
die Stabilität selbst der Auslegungen gewisser Dinge zu liefern, an denen


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solcher Schmäuse gedacht, welche unter „dem Schein von Kindelbetten, item
Kindmahlen, Aderlaß :c." vor sich gingen. Sie werden belehrt, daß es
ihnen nicht erlaubt sei, bei „Kindcrtcmfen, Kirchtagcn. Begängnissen, Bruder¬
schaften und Kirchweihen" Wein nach dem Zapfenmaße auszuschenken, ohne
Taxe zu zahlen.

Diese weltliche Seite der Geistlichkeit hat erst durch Ablösung des Zehn¬
ten ihr lebendiges Colorit verloren, ohne Zweifel zum Vortheil ihres Standes,
so viel Widerspruch auch dagegen erhoben wurde. Noch vor wenigen Jahren
galt die alte Zehentordnung, wonach sogenannte Zahlschvber gemacht werden
mußten, damit der Zehentherr sogleich nach der Ernte seine Garben holen
könne. Vor drei Tagen durfte kein Getreide eingefahren werden und weitere
zwei Tage , mußten die dann zurückgelassenen Zehentgarbcn aus dem Felde
gehütet werden. Bei nicht geleisteten Zehent wurde die nächste Aussaat ge¬
pfändet oder Vieh weggenommen. Man begreift, welche Reibungen zwischen
Pfarrer und Bauer vorkommen mußten.

Dies und anderes hat der Strom der Zeit fortgerissen, so lange man
sich auch sperrte und mit der Behauptung zur Wehr setzte, der Klerus dürfe
nie und nimmer ein Jota nachlassen. Aber es ist doch nur Aeußerliches. Der
Kern ist derselbe geblieben.

Noch heute wird in öffentlichen Reden und katholischen Kirchcnzeitungen
von „Protestanten geredet, welche schon Christus in seinem Gespräche mit
der Samariterin verdammt habe". Noch heute wird über die Berechtigung
ein Iudenkind zu rauben, öffentlich gepredigt. — z. B. vom Spiritual Ad.
Schmidt in Gratz. Noch heute preist ein kirchliches. Blatt aus Steiermark,
der Wahrheitsfreund, den Kronprinzen Rudolph wegen des Mürtyrcrthums
seines heiligen Namensvetters von Bern, den die Juden ums Jahr 1287 in
Stücke geschnitten haben sollen und dessen Tod Veranlassung war, daß eine
Menge Juden auf dem Rade starben, der Rest aber aus Bern verjagt wurde.
Ganz der nämliche blutdürstige Geist, welcher im Jahre 14W die Juden aus
den steirischen Bergen und Thälern hinaushetzte und ihnen noch jetzt das
Niederlassungsrecht dort verkümmert! Und wie weit liegt doch in nicht kirch¬
licher Beziehung jene ungeschlachte Zeit hinter dem mildem Geiste der
Gegenwart, jene nämliche Zeit, die so trefflich durch die Sportcltaxe des stei¬
rischen Freimanns von 1574 charakterisirt wird: vier Schilling für Martern,
zwei Schilling für Ohrabschnciden, ein Schilling für Vertheilen, sechs Schil¬
ling sür Ertränken, vier Schilling für Zwicken, und wie sie alle der Reihe
nach aufmarschiren, diese uns bis zur UnVerständlichkeit abhanden gekommenen
Denkzeichen einer verschollenen Zeit. Um aber den Geist, den wir hier im
Auge haben, mit seinen eignen Worten reden zu lassen und einen Beleg sür
die Stabilität selbst der Auslegungen gewisser Dinge zu liefern, an denen


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[0515] solcher Schmäuse gedacht, welche unter „dem Schein von Kindelbetten, item Kindmahlen, Aderlaß :c." vor sich gingen. Sie werden belehrt, daß es ihnen nicht erlaubt sei, bei „Kindcrtcmfen, Kirchtagcn. Begängnissen, Bruder¬ schaften und Kirchweihen" Wein nach dem Zapfenmaße auszuschenken, ohne Taxe zu zahlen. Diese weltliche Seite der Geistlichkeit hat erst durch Ablösung des Zehn¬ ten ihr lebendiges Colorit verloren, ohne Zweifel zum Vortheil ihres Standes, so viel Widerspruch auch dagegen erhoben wurde. Noch vor wenigen Jahren galt die alte Zehentordnung, wonach sogenannte Zahlschvber gemacht werden mußten, damit der Zehentherr sogleich nach der Ernte seine Garben holen könne. Vor drei Tagen durfte kein Getreide eingefahren werden und weitere zwei Tage , mußten die dann zurückgelassenen Zehentgarbcn aus dem Felde gehütet werden. Bei nicht geleisteten Zehent wurde die nächste Aussaat ge¬ pfändet oder Vieh weggenommen. Man begreift, welche Reibungen zwischen Pfarrer und Bauer vorkommen mußten. Dies und anderes hat der Strom der Zeit fortgerissen, so lange man sich auch sperrte und mit der Behauptung zur Wehr setzte, der Klerus dürfe nie und nimmer ein Jota nachlassen. Aber es ist doch nur Aeußerliches. Der Kern ist derselbe geblieben. Noch heute wird in öffentlichen Reden und katholischen Kirchcnzeitungen von „Protestanten geredet, welche schon Christus in seinem Gespräche mit der Samariterin verdammt habe". Noch heute wird über die Berechtigung ein Iudenkind zu rauben, öffentlich gepredigt. — z. B. vom Spiritual Ad. Schmidt in Gratz. Noch heute preist ein kirchliches. Blatt aus Steiermark, der Wahrheitsfreund, den Kronprinzen Rudolph wegen des Mürtyrcrthums seines heiligen Namensvetters von Bern, den die Juden ums Jahr 1287 in Stücke geschnitten haben sollen und dessen Tod Veranlassung war, daß eine Menge Juden auf dem Rade starben, der Rest aber aus Bern verjagt wurde. Ganz der nämliche blutdürstige Geist, welcher im Jahre 14W die Juden aus den steirischen Bergen und Thälern hinaushetzte und ihnen noch jetzt das Niederlassungsrecht dort verkümmert! Und wie weit liegt doch in nicht kirch¬ licher Beziehung jene ungeschlachte Zeit hinter dem mildem Geiste der Gegenwart, jene nämliche Zeit, die so trefflich durch die Sportcltaxe des stei¬ rischen Freimanns von 1574 charakterisirt wird: vier Schilling für Martern, zwei Schilling für Ohrabschnciden, ein Schilling für Vertheilen, sechs Schil¬ ling sür Ertränken, vier Schilling für Zwicken, und wie sie alle der Reihe nach aufmarschiren, diese uns bis zur UnVerständlichkeit abhanden gekommenen Denkzeichen einer verschollenen Zeit. Um aber den Geist, den wir hier im Auge haben, mit seinen eignen Worten reden zu lassen und einen Beleg sür die Stabilität selbst der Auslegungen gewisser Dinge zu liefern, an denen 64*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/515>, abgerufen am 26.07.2024.