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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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nusses und der Selbstbildung kam er zu jenen romantischen Reflexionen. Um
uns moralisch mit diesen auszusöhnen, werden wir auf alles dasjenige ange¬
wiesen, was Humboldt später, sei es trotz sei es durch seine ästhetische Cultur
der Welt und dem Vaterland genutzt hat. Er schwelgte für jetzt blos um
seiner selbst und seiner eigenen Phantasie willen in den Bildern und Wünschen
der Phantasie. Grade die subjective und idealistische Beziehung seiner Auf¬
fassung Roms, grade dies, daß er die ganze Erscheinung Roms lediglich auf
sein eignes Innere als auf den alleinigen Mittelpunkt bezog, gab seinen ästhe¬
tischen wie seinen geschichtsphilosophischen Betrachtungen eine so durchaus eigen¬
thümliche Farbe. Obgleich er daher so vielfach mit Winckelmann und Goethe
sympathisirte. sah er dennoch Rom ganz anders als sowol Winckelmann wie
Goethe. Er sah es, wie mit Recht gesagt worden ist, noch am meisten wie
es Gibbon gesehen hatte. Nicht im Mittagslichte, sondern wie in melancho¬
lischer Abendbeleuchtung betrachtete er "die Stadt der Trümmer". Die langen
Linien der römischen Stadt und Gegend, auf denen Goethe den Blick verwei¬
len ließ, um seinen Gesichtskreis auszuweiden und zu vereinfachen, werden für
Humboldt zum Anhalt jener elegisch-lyrischen Stimmung. Immer wieder fällt
sein Gedicht "Rom" in dieselbe Tonart und in das eine Thema zurück.
"Wie durch zarten Trauerflor" blicken ihn Roms Gefilde an, und "einsam
klagend strebet Trümmer dicht an Trümmer nur empor." Und zugleich fühlt
man sich doch unwiderstehlich gefesselt, fühlt sich durch den Zaubergruß dieser
Fluren in "sehnsuchtsvoll Erstarren" eingewiegt. -- Der ästhetische Genuß,
offenbar, so subjectiv bezogen, so ernst und so innerlich gewendet, ist mehr
als blos ästhetischer Genuß. Rom ist sür den Dichter dieser Elegie eine
Andachts- und Cultusstättc. Gegenüber der frivolen Aeußerlichkeit des Katho¬
licismus (Humboldt fand mit Recht die Ceremonien der heiligen Woche we¬
der rührend noch feierlich, sondern einfach langweilig) erwachte in ihm, was
von echter Religion in ihm schlummerte. Von der Betrachtung Roms erhebt
er sich zu seinen höchsten philosophischen Gesichtspunkten. Er erblickt die Gott¬
heit in dem großen Gang der Weltgeschichte. Er erblickt sie in der eignen
Brust. Er erblickt sie in der Harmonie des Menschlichen und des Natürlichen.
Rom ist der Tempel dieser ästhetisch-philosophischen Religion; denn "durch der
Gottheit Segen" erwuchsen diese Hügel; was je die Brust Großes bewegen
kann, "hängt an ihrer Gipfel heiterm Glanz" (S. 222--227).

Kaum ist ein größerer Gegensatz denkbar als zwischen Humboldts und
Niebuhrs Auffassung von Italien. Jener war einer der genußsähigsten Men¬
schen, diesem, den die Natur so verschwenderisch mit einer Fülle der seltensten
Gaben ausgestattet, hatte sie nicht nur die Fähigkeit des Genießens, nament¬
lich des rein ästhetischen, sondern auch die Lust am Dasein nur in sehr ge¬
ringem Maße verliehn. Seine Hypochondrie und der unglückliche Hang, auf


nusses und der Selbstbildung kam er zu jenen romantischen Reflexionen. Um
uns moralisch mit diesen auszusöhnen, werden wir auf alles dasjenige ange¬
wiesen, was Humboldt später, sei es trotz sei es durch seine ästhetische Cultur
der Welt und dem Vaterland genutzt hat. Er schwelgte für jetzt blos um
seiner selbst und seiner eigenen Phantasie willen in den Bildern und Wünschen
der Phantasie. Grade die subjective und idealistische Beziehung seiner Auf¬
fassung Roms, grade dies, daß er die ganze Erscheinung Roms lediglich auf
sein eignes Innere als auf den alleinigen Mittelpunkt bezog, gab seinen ästhe¬
tischen wie seinen geschichtsphilosophischen Betrachtungen eine so durchaus eigen¬
thümliche Farbe. Obgleich er daher so vielfach mit Winckelmann und Goethe
sympathisirte. sah er dennoch Rom ganz anders als sowol Winckelmann wie
Goethe. Er sah es, wie mit Recht gesagt worden ist, noch am meisten wie
es Gibbon gesehen hatte. Nicht im Mittagslichte, sondern wie in melancho¬
lischer Abendbeleuchtung betrachtete er „die Stadt der Trümmer". Die langen
Linien der römischen Stadt und Gegend, auf denen Goethe den Blick verwei¬
len ließ, um seinen Gesichtskreis auszuweiden und zu vereinfachen, werden für
Humboldt zum Anhalt jener elegisch-lyrischen Stimmung. Immer wieder fällt
sein Gedicht „Rom" in dieselbe Tonart und in das eine Thema zurück.
„Wie durch zarten Trauerflor" blicken ihn Roms Gefilde an, und „einsam
klagend strebet Trümmer dicht an Trümmer nur empor." Und zugleich fühlt
man sich doch unwiderstehlich gefesselt, fühlt sich durch den Zaubergruß dieser
Fluren in „sehnsuchtsvoll Erstarren" eingewiegt. — Der ästhetische Genuß,
offenbar, so subjectiv bezogen, so ernst und so innerlich gewendet, ist mehr
als blos ästhetischer Genuß. Rom ist sür den Dichter dieser Elegie eine
Andachts- und Cultusstättc. Gegenüber der frivolen Aeußerlichkeit des Katho¬
licismus (Humboldt fand mit Recht die Ceremonien der heiligen Woche we¬
der rührend noch feierlich, sondern einfach langweilig) erwachte in ihm, was
von echter Religion in ihm schlummerte. Von der Betrachtung Roms erhebt
er sich zu seinen höchsten philosophischen Gesichtspunkten. Er erblickt die Gott¬
heit in dem großen Gang der Weltgeschichte. Er erblickt sie in der eignen
Brust. Er erblickt sie in der Harmonie des Menschlichen und des Natürlichen.
Rom ist der Tempel dieser ästhetisch-philosophischen Religion; denn „durch der
Gottheit Segen" erwuchsen diese Hügel; was je die Brust Großes bewegen
kann, „hängt an ihrer Gipfel heiterm Glanz" (S. 222—227).

Kaum ist ein größerer Gegensatz denkbar als zwischen Humboldts und
Niebuhrs Auffassung von Italien. Jener war einer der genußsähigsten Men¬
schen, diesem, den die Natur so verschwenderisch mit einer Fülle der seltensten
Gaben ausgestattet, hatte sie nicht nur die Fähigkeit des Genießens, nament¬
lich des rein ästhetischen, sondern auch die Lust am Dasein nur in sehr ge¬
ringem Maße verliehn. Seine Hypochondrie und der unglückliche Hang, auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/501>, abgerufen am 26.07.2024.