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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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und,es ist endlich von höchster Bedeutung für die sicherten des türkischen
Reiches, dessen westliche Provinzen durch die Hafen- und Festungsbauten Oest¬
reichs in Pola und an andern Punkten der adriatischen Küste ebenso schwer
bedroht sind, wie die östlichen durch Sebastopol bedroht waren. Wenn Eng¬
land Korfu in permanenten Besitz nimmt, so wird dies eine ebenso feste Schranke
gegen die etwaigen Absichten Oestreichs auf die Eroberung türkischer Provin¬
zen sein, wie der Besitz Gibraltars einst ein Hinderniß der Eroberung Spa¬
niens, der Besitz Maltas ein Hinderniß der Eroberung Siciliens durch die
Franzosen war. Napoleon I. hielt den Besitz Korfus für unerläßlich zur För¬
derung seines bekannten Strebens, die französische Herrschaft über die benach¬
barten Gegenden des Morgenlandes auszubreiten, und es ist klar, daß die Insel
ebenso gut gelegen ist, solche Anschläge zu begünstigen, als sie im Zaum zu
halten. Die übrigen Inseln können ohne Gefahr an das Königreich Grie¬
chenland abgetreten werden.

Dies ist im Wesentlichen der Inhalt von Sir I. Aoungs Denkschrift,
nach welcher also für England nur die Wahl zwischen drei Auskunftsmitteln
bliebe: entweder unter der bisherigen Form die Inseln der jonischen Repu¬
blik mit unbeschränkter Gewalt zu regieren, oder sie ganz aufzugeben, oder
aber die werthlosen Theile abzutrennen und die militärische Position Korfu
zu behalten.

Die englische Presse hat zu der Frage eine verschiedene Stellung einge¬
nommen. "Daily News", jetzt der Negierung günstig gesinnt, erklärt sich für
den Vorschlag des Lordobercommissärs. Der "Globe" scheint es für das
Klügste zu halten, daß man das Protectorat über die unbequemen jonischen
Schreier ganz aufgäbe. Die "Times" will zunächst Gladstones Bericht über
die Angelegenheit abwarten, indeß kann sie nicht umhin, Bedenken über den
Noungschen Plan auszusprechen. England habe das Protectorat über die
Siebeninselrepublik als Aequivalent für große Anstrengungen und Opfer er¬
halten und könne somit, ohne den Vorwurf der Unbilligkeit auf sich zu laden,
sein bisheriges Verhältniß zu derselben behaupten. Es sei indeß ein schlechter Kauf
gewesen und so könne es vielleicht klug sein, sich die Jonier mit ihren steten
Klagen und Widersprüchen ganz vom Halse zu schaffen. Aber unbillig und
ungerecht sei es, die Republik in der vorgeschlagenen Weise zu theilen. Wenn
es sich schicke, die Griechen von Cephalonia mit dem stammverwandten König¬
reich Hellas zu vereinigen, so zieme sichs nicht, die Griechen Korfus von der
Brüderschaft auszuschließen. Sodann aber nehme England in dieser Sache
jetzt einen festen Standpunkt ein; es sage: die Inseln stehen kraft des euro¬
päischen Staatsrechts unter unserm Schutz, und die Stammesgleichheit gibt
ihnen nicht mehr Anspruch aus den politischen Verband mit den Staaten König
Ottos, als den Griechen von Thessalien oder Kandia. Aber durch den Ver-


und,es ist endlich von höchster Bedeutung für die sicherten des türkischen
Reiches, dessen westliche Provinzen durch die Hafen- und Festungsbauten Oest¬
reichs in Pola und an andern Punkten der adriatischen Küste ebenso schwer
bedroht sind, wie die östlichen durch Sebastopol bedroht waren. Wenn Eng¬
land Korfu in permanenten Besitz nimmt, so wird dies eine ebenso feste Schranke
gegen die etwaigen Absichten Oestreichs auf die Eroberung türkischer Provin¬
zen sein, wie der Besitz Gibraltars einst ein Hinderniß der Eroberung Spa¬
niens, der Besitz Maltas ein Hinderniß der Eroberung Siciliens durch die
Franzosen war. Napoleon I. hielt den Besitz Korfus für unerläßlich zur För¬
derung seines bekannten Strebens, die französische Herrschaft über die benach¬
barten Gegenden des Morgenlandes auszubreiten, und es ist klar, daß die Insel
ebenso gut gelegen ist, solche Anschläge zu begünstigen, als sie im Zaum zu
halten. Die übrigen Inseln können ohne Gefahr an das Königreich Grie¬
chenland abgetreten werden.

Dies ist im Wesentlichen der Inhalt von Sir I. Aoungs Denkschrift,
nach welcher also für England nur die Wahl zwischen drei Auskunftsmitteln
bliebe: entweder unter der bisherigen Form die Inseln der jonischen Repu¬
blik mit unbeschränkter Gewalt zu regieren, oder sie ganz aufzugeben, oder
aber die werthlosen Theile abzutrennen und die militärische Position Korfu
zu behalten.

Die englische Presse hat zu der Frage eine verschiedene Stellung einge¬
nommen. „Daily News", jetzt der Negierung günstig gesinnt, erklärt sich für
den Vorschlag des Lordobercommissärs. Der „Globe" scheint es für das
Klügste zu halten, daß man das Protectorat über die unbequemen jonischen
Schreier ganz aufgäbe. Die „Times" will zunächst Gladstones Bericht über
die Angelegenheit abwarten, indeß kann sie nicht umhin, Bedenken über den
Noungschen Plan auszusprechen. England habe das Protectorat über die
Siebeninselrepublik als Aequivalent für große Anstrengungen und Opfer er¬
halten und könne somit, ohne den Vorwurf der Unbilligkeit auf sich zu laden,
sein bisheriges Verhältniß zu derselben behaupten. Es sei indeß ein schlechter Kauf
gewesen und so könne es vielleicht klug sein, sich die Jonier mit ihren steten
Klagen und Widersprüchen ganz vom Halse zu schaffen. Aber unbillig und
ungerecht sei es, die Republik in der vorgeschlagenen Weise zu theilen. Wenn
es sich schicke, die Griechen von Cephalonia mit dem stammverwandten König¬
reich Hellas zu vereinigen, so zieme sichs nicht, die Griechen Korfus von der
Brüderschaft auszuschließen. Sodann aber nehme England in dieser Sache
jetzt einen festen Standpunkt ein; es sage: die Inseln stehen kraft des euro¬
päischen Staatsrechts unter unserm Schutz, und die Stammesgleichheit gibt
ihnen nicht mehr Anspruch aus den politischen Verband mit den Staaten König
Ottos, als den Griechen von Thessalien oder Kandia. Aber durch den Ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/470>, abgerufen am 05.07.2024.