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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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wurden zurückgewiesen und durch kaiserliche Majestät der Richtspruch bestätigt.
Er aber blieb bei seinem Wort: Ich bin unschuldig am Blut des erschlagenen
Knaben. Dies wiederholte er öfter vor Pater Johannes Brandstetter von
der Societät Jesu, einem unermüdlichen apostolischen Arbeiter, der vier Tage
nach Kurtzhandl selig an dem heftigen Gifte starb, das er bei Liebesdiensten
am Krankenlager in sich gezogen. Als er den Verurtheilten frug, ob er den
Tod gutmüthig überstehen könne und ihn zur Annahme des seligmachende
Glaubens ermahnte, antwortete Levi mit fröhlichem Gesicht ohne Verwirrung:
"ich achte den Tod so wenig als diesen Strohhalm -- er hielt wirklich einen
in der Hand und warf ihn darauf weg -- was aber den Glauben anlangt,
so wollen wir jetzt aus heiliger Schrift verhandeln, wer von uns beiden den
wahren Glauben habe. Der Pater soll aber nicht denken, eine plumpe Ein¬
falt vor sich zu haben, denn ich habe elf Jahre die talmudischen Bücher
siudirt." So begann ein Glaubensstreit, der Priester griff den Talmudisten
mit theologischen Beweisthümern an, und Levi faßte alles wegen der tapfern
Fähigkeit seines Witzes, zuletzt warf er seine jüdische Bibel mit Ungeduld von
sich: dem sei wie ihm wolle, ich bleibe wie ich geboren worden. Da der
verstockte Jüngling am nächsten Tage sein gestriges Liedlein wiederholte, griff
der Priester die Sache wieder anders an, sprach ihm nicht mehr zu, sondern
wandte sich zu andern Mitgefangenen und las diesen aus der h. Schrift ver¬
schiedene Zeugnisse vor, wodurch er bewies, daß der Messias schon da gewesen
sei. Dies hörte Levi sint und bedächtig an und obwol er kein Zeichen gab,
daß er geneigter zum heiligen Glauben sei, so war doch aus seinem Angesicht
zu sehen, daß ihm des Priesters Gegenwart nicht so unangenehm sei, wie
gestern. Am dritten Tage begehrte Levi, so verhärtet er sonst war, doch, daß
der Pater am Nachmittag wiederkomme, da ihm seine Anwesenheit in diesem
elenden Zustand zum besondern Trost diene. Da dies der Priester muthig
versprach, schien das steinharte Herz erweicht, am Nachmittag verließ sich der
Pater in heiliger Einfalt so auf das Zutrauen des Juden, daß er alle an¬
dern entfernte, mit ihm allein blieb und ihn freundlich und inständig bat, er
möchte ihm selbst einen Trost geben und ihm, dem Pater, als höchstes Ge¬
heimniß bei Treu und Glauben, wenn es ihm gefällig sei, erzählen, was er
von dem Tode des Simon wisse. Ueber diese unerwartete Anrede erstaunte
Levi sehr, er schwieg lange still, endlich aber faßte er aus diesem seltenen
Vertrauen eines christlichen Priesters zu einem Juden Hochachtung vor der
Aufrichtigkeit desselben und bekannte, durch die versprochene Verschwiegenheit
des Paters verführt, vor ihm selbst und vor einem Mitgefangenen unter
großen Schmerzenszeichen, mit eingezogenen Achseln und auf die linke Seite
niedergelassenen Kopfe, daß er auf Anstiften des Vaters Lazarus Abeles an
den Simon ^ gewaltthätige Hand gelegt, und ihn aus Eifer für das Gesetz


wurden zurückgewiesen und durch kaiserliche Majestät der Richtspruch bestätigt.
Er aber blieb bei seinem Wort: Ich bin unschuldig am Blut des erschlagenen
Knaben. Dies wiederholte er öfter vor Pater Johannes Brandstetter von
der Societät Jesu, einem unermüdlichen apostolischen Arbeiter, der vier Tage
nach Kurtzhandl selig an dem heftigen Gifte starb, das er bei Liebesdiensten
am Krankenlager in sich gezogen. Als er den Verurtheilten frug, ob er den
Tod gutmüthig überstehen könne und ihn zur Annahme des seligmachende
Glaubens ermahnte, antwortete Levi mit fröhlichem Gesicht ohne Verwirrung:
„ich achte den Tod so wenig als diesen Strohhalm — er hielt wirklich einen
in der Hand und warf ihn darauf weg — was aber den Glauben anlangt,
so wollen wir jetzt aus heiliger Schrift verhandeln, wer von uns beiden den
wahren Glauben habe. Der Pater soll aber nicht denken, eine plumpe Ein¬
falt vor sich zu haben, denn ich habe elf Jahre die talmudischen Bücher
siudirt." So begann ein Glaubensstreit, der Priester griff den Talmudisten
mit theologischen Beweisthümern an, und Levi faßte alles wegen der tapfern
Fähigkeit seines Witzes, zuletzt warf er seine jüdische Bibel mit Ungeduld von
sich: dem sei wie ihm wolle, ich bleibe wie ich geboren worden. Da der
verstockte Jüngling am nächsten Tage sein gestriges Liedlein wiederholte, griff
der Priester die Sache wieder anders an, sprach ihm nicht mehr zu, sondern
wandte sich zu andern Mitgefangenen und las diesen aus der h. Schrift ver¬
schiedene Zeugnisse vor, wodurch er bewies, daß der Messias schon da gewesen
sei. Dies hörte Levi sint und bedächtig an und obwol er kein Zeichen gab,
daß er geneigter zum heiligen Glauben sei, so war doch aus seinem Angesicht
zu sehen, daß ihm des Priesters Gegenwart nicht so unangenehm sei, wie
gestern. Am dritten Tage begehrte Levi, so verhärtet er sonst war, doch, daß
der Pater am Nachmittag wiederkomme, da ihm seine Anwesenheit in diesem
elenden Zustand zum besondern Trost diene. Da dies der Priester muthig
versprach, schien das steinharte Herz erweicht, am Nachmittag verließ sich der
Pater in heiliger Einfalt so auf das Zutrauen des Juden, daß er alle an¬
dern entfernte, mit ihm allein blieb und ihn freundlich und inständig bat, er
möchte ihm selbst einen Trost geben und ihm, dem Pater, als höchstes Ge¬
heimniß bei Treu und Glauben, wenn es ihm gefällig sei, erzählen, was er
von dem Tode des Simon wisse. Ueber diese unerwartete Anrede erstaunte
Levi sehr, er schwieg lange still, endlich aber faßte er aus diesem seltenen
Vertrauen eines christlichen Priesters zu einem Juden Hochachtung vor der
Aufrichtigkeit desselben und bekannte, durch die versprochene Verschwiegenheit
des Paters verführt, vor ihm selbst und vor einem Mitgefangenen unter
großen Schmerzenszeichen, mit eingezogenen Achseln und auf die linke Seite
niedergelassenen Kopfe, daß er auf Anstiften des Vaters Lazarus Abeles an
den Simon ^ gewaltthätige Hand gelegt, und ihn aus Eifer für das Gesetz


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/466>, abgerufen am 05.07.2024.