Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.was sie wußte, vorhielt. Lazarus aber leugnete alles rund ab, und rief in Nach seinem Tode legten seine Frau Lia und die Dienstmagd Hennele, was sie wußte, vorhielt. Lazarus aber leugnete alles rund ab, und rief in Nach seinem Tode legten seine Frau Lia und die Dienstmagd Hennele, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0463" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266272"/> <p xml:id="ID_1326" prev="#ID_1325"> was sie wußte, vorhielt. Lazarus aber leugnete alles rund ab, und rief in<lb/> rasenden Verfluchungen alle Teufel auf seinen Kopf. Als er aber in seinen<lb/> Kerker zurückkehrte, ergriff Verwirrung und Verzweiflung sein Gemüth, er er¬<lb/> kannte, daß ihm sein Leugnen vor Gericht nicht mehr helfen werde, und be¬<lb/> schloß, sich dem Rechtsverfahren durch ein letztes Mittel zu entziehn. Obwol<lb/> ihm beide Schenkel und eine Hand durch Fesseln gehindert waren, so schlang<lb/> er doch, statt eines Stricks die Tephilim benannten Riemen, womit die Juden<lb/> beim Gebet den Kops und die Arme umwinden, ans eiserne Fenstergitter, und<lb/> erwürgte sich daran. So wurde er am folgenden Morgen erdrosselt gefunden.<lb/> Denn die Juden halten aus Irrthum für zulässig, sich selbst zu erwürgen, und<lb/> verüben dergleichen öfter. — Sein todter Leib wurde gerichtet.</p><lb/> <p xml:id="ID_1327" next="#ID_1328"> Nach seinem Tode legten seine Frau Lia und die Dienstmagd Hennele,<lb/> der Sara Vresin gegenübergestellt, ein offenes Bekenntniß ab; auch der flüch¬<lb/> tige Handschuhmachergesell Rebbe Liebenau wurde eingezogen und bekannte.<lb/> Sr. fürstliche erzbischöfliche Gnaden bestimmten, daß Simon in der Teynkirche<lb/> in der Kapelle des h. Täufers Johannes, zunächst dem Taufstein in ausgehöhltem<lb/> Mauergrab von polirtem Marmelstein begraben würde, in einem sauberen,<lb/> eichenen, mit rothem Sammet überzogenen und mit einem Schloß verwahrten<lb/> Sarge, mit drei Schlüsseln. Ferner, daß der Sarg von unschuldigen und<lb/> adligen, mit Purpur bekleideten Jünglingen zur Begräbnißstätte getragen wer¬<lb/> de. Die hochadlige Frau Sylvia Katharina, geb. Gräfin Kinsky, Sr. Ex¬<lb/> cellenz des Herren Reichsgrafen Schlick Gemahlin, ließ doppelte kostbare<lb/> Kleider zu diesem Tage verfertigen, ein Unterkleid von weißem Atlas und ein<lb/> rothes Oberkleid, beide mit Gold unterwirkt, mit goldenen Knöpfen besetzt<lb/> und mit goldener Poscnnentirarbeit geziert, schaffte auch Strümpfe von<lb/> gleichen Zeuge, um die Füße zu bedecken und einen überaus schönen Kranz<lb/> von goldenen und silbernen Lilien und Rosen, um das Haupt des jungfräu¬<lb/> lichen Blutzeugen zu krönen. Kaum war sein hochwerlher Leib geschmückt<lb/> und in den köstlichen Sarg versetzt, so fand sich der hohe Adel beiderlei Ge<lb/> schlechts ein und drang mit gottseligem Ungestüm in die Kapelle, wo alle<lb/> erstaunten und den wundersamen Gott priesen, als sie das heilige Pfand<lb/> (den Körper des Simon) fünf Wochen nach seiner Entleibung unversehrt sa¬<lb/> hen, kein Ausdümpfen eines Geruchs verspürten und wahrnahmen, daß aus<lb/> seinen tödtlichen Wunden fortwährend rosafarbnes frisches Blut abtröpfelte.<lb/> Weswegen auch hoch angesehene Personen mit ihren Handtüchlein diesen kost¬<lb/> baren Saft auffaßten. Andere aber, welche mit keinem saubern Tüchlein<lb/> versehn waren, oder wegen des großen Gedränges nicht zukommen konnten,<lb/> machten sich über die alte Todtentruhe und rissen die blutigen Hobelspäne darin<lb/> weg. Darauf wurde der ehrenwerthe Leib aus dem großen Rathhaussaal<lb/> drehen und den nächsten Tag ausgestellt. Es war aber auch allda überaus</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0463]
was sie wußte, vorhielt. Lazarus aber leugnete alles rund ab, und rief in
rasenden Verfluchungen alle Teufel auf seinen Kopf. Als er aber in seinen
Kerker zurückkehrte, ergriff Verwirrung und Verzweiflung sein Gemüth, er er¬
kannte, daß ihm sein Leugnen vor Gericht nicht mehr helfen werde, und be¬
schloß, sich dem Rechtsverfahren durch ein letztes Mittel zu entziehn. Obwol
ihm beide Schenkel und eine Hand durch Fesseln gehindert waren, so schlang
er doch, statt eines Stricks die Tephilim benannten Riemen, womit die Juden
beim Gebet den Kops und die Arme umwinden, ans eiserne Fenstergitter, und
erwürgte sich daran. So wurde er am folgenden Morgen erdrosselt gefunden.
Denn die Juden halten aus Irrthum für zulässig, sich selbst zu erwürgen, und
verüben dergleichen öfter. — Sein todter Leib wurde gerichtet.
Nach seinem Tode legten seine Frau Lia und die Dienstmagd Hennele,
der Sara Vresin gegenübergestellt, ein offenes Bekenntniß ab; auch der flüch¬
tige Handschuhmachergesell Rebbe Liebenau wurde eingezogen und bekannte.
Sr. fürstliche erzbischöfliche Gnaden bestimmten, daß Simon in der Teynkirche
in der Kapelle des h. Täufers Johannes, zunächst dem Taufstein in ausgehöhltem
Mauergrab von polirtem Marmelstein begraben würde, in einem sauberen,
eichenen, mit rothem Sammet überzogenen und mit einem Schloß verwahrten
Sarge, mit drei Schlüsseln. Ferner, daß der Sarg von unschuldigen und
adligen, mit Purpur bekleideten Jünglingen zur Begräbnißstätte getragen wer¬
de. Die hochadlige Frau Sylvia Katharina, geb. Gräfin Kinsky, Sr. Ex¬
cellenz des Herren Reichsgrafen Schlick Gemahlin, ließ doppelte kostbare
Kleider zu diesem Tage verfertigen, ein Unterkleid von weißem Atlas und ein
rothes Oberkleid, beide mit Gold unterwirkt, mit goldenen Knöpfen besetzt
und mit goldener Poscnnentirarbeit geziert, schaffte auch Strümpfe von
gleichen Zeuge, um die Füße zu bedecken und einen überaus schönen Kranz
von goldenen und silbernen Lilien und Rosen, um das Haupt des jungfräu¬
lichen Blutzeugen zu krönen. Kaum war sein hochwerlher Leib geschmückt
und in den köstlichen Sarg versetzt, so fand sich der hohe Adel beiderlei Ge
schlechts ein und drang mit gottseligem Ungestüm in die Kapelle, wo alle
erstaunten und den wundersamen Gott priesen, als sie das heilige Pfand
(den Körper des Simon) fünf Wochen nach seiner Entleibung unversehrt sa¬
hen, kein Ausdümpfen eines Geruchs verspürten und wahrnahmen, daß aus
seinen tödtlichen Wunden fortwährend rosafarbnes frisches Blut abtröpfelte.
Weswegen auch hoch angesehene Personen mit ihren Handtüchlein diesen kost¬
baren Saft auffaßten. Andere aber, welche mit keinem saubern Tüchlein
versehn waren, oder wegen des großen Gedränges nicht zukommen konnten,
machten sich über die alte Todtentruhe und rissen die blutigen Hobelspäne darin
weg. Darauf wurde der ehrenwerthe Leib aus dem großen Rathhaussaal
drehen und den nächsten Tag ausgestellt. Es war aber auch allda überaus
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