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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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der GewissenSwurm hervor, des gottlosen Lazarus Herz zu nagen. Die Er¬
innerung folterte sein Gewissen unablässig und immer schwebte ihm die welt¬
liche Strafe vor Augen. Diese Furcht vergrößerte sehr der Handschuhmacher-
gcselle Rebbe Liebenau. Dieser hatte nach der That siraks des Abeles Haus
verlassen und sich aus dem Staube gemacht und erst nach der Beerdigung
wieder bei seiner Arbeit eingefunden. Als ihm Lazarus den Verlauf zu er¬
zählen begann, fiel ihm Nebbe in die Rede mit der Betheuerung, daß er kein
Wort über die Unthat zu hören verlange, da er die Judenkinder schon auf
öffentlicher Gasse das ganze gestrige Trauerspiel hätte erzählen hören. Dies
traf den bestürzten La'zarus wie ein Donnerschlag; ohne Zögern packte er alle
leichteren Sachen zusammen, verkaufte das in der Judenstadt erbaute Haus
und trat den in einem hochadeligen Hause gemietheten Kaufladen einem
andern Juden ab, um sich in Polen niederzusetzen. Er war auch schon fer¬
tig, am folgenden Tag. die Flucht vorzunehmen, aber durch göttliche Schickung
wurde der hochadelige Hausherr, welcher ihm den Kaufladen verpachtet hatte,
grade durch Gicht in der Hand verhindert, die Abtretungsschrift eigenhändig
zu unterzeichnen.

Unterdeß ging am 23. Febr. ein den Christen nicht übel geneigter Jude.
Jodel, in der Judenstadt durch das Sommerthor, wo er spielende Kinder an¬
traf, die einander erzählten, daß Simon Abeles, vor drei Tagen frisch und
gesund, gestern früh ohne alles Leichengepränge begraben worden sei. Jodel
machte sich unverweilt aus den Begräbnißplatz. sah ein frisch aufgeworfenes
Grab, erwog andere Umstände und Gerüchte, und kam zu der verständigen
Muthmaßung/.daß Lazarus Mörder.des Sohnes sei. Dies vertraute er so¬
fort einem Concipisten der königlichen Stadthalterei in größter Heimlichkeit.
Nachdem ich Nachricht davon erhalten, und der jüdische Angeber mehrmals
mit Ernst zu treuem Bericht ermahnt worden war, schrieb er am folgenden
Tag den ganzen kläglichen Verlauf nieder, um ihn der hochadeligen Stadt¬
halterei zu überreichen. Diese befahl den Körper des Simon ausgraben
und durch bestimmte Aerzte genau besichtigen zu lassen, endlich die der That
Verdächtigen, wie auch deren Mitwirker in sichern Verhaft zu nehmen. Dies
alles wurde behutsam ohne Verschub ins Werk gesetzt. " Der Körper wurde
unter dem Schutz bewaffneter Mannschaft ausgegraben, die zusammengelau¬
fenen Juden und der herbeigerufene Judenarzt sagten aus, daß ein bösartiger
Ausschlag am Haupte und zuletzt Tobsucht dem Knaben die Seele ausgetrieben
hätte. Die Herrn Aerzte aber-gaben das Gutachten, daß mehre Jndicien,
Bruch des Genickes und eine kleine runde Wunde im Schlaf anzeigten, daß
der Knabe durch einen gewaltthätigen Schlag umgekommen sei.

Darauf wurde Lazarus Abeles vor den Leib seines Sohnes geführt. Er
erblaßte und zitterte, wurde so verwirrt, daß er verstummte und eine gute


der GewissenSwurm hervor, des gottlosen Lazarus Herz zu nagen. Die Er¬
innerung folterte sein Gewissen unablässig und immer schwebte ihm die welt¬
liche Strafe vor Augen. Diese Furcht vergrößerte sehr der Handschuhmacher-
gcselle Rebbe Liebenau. Dieser hatte nach der That siraks des Abeles Haus
verlassen und sich aus dem Staube gemacht und erst nach der Beerdigung
wieder bei seiner Arbeit eingefunden. Als ihm Lazarus den Verlauf zu er¬
zählen begann, fiel ihm Nebbe in die Rede mit der Betheuerung, daß er kein
Wort über die Unthat zu hören verlange, da er die Judenkinder schon auf
öffentlicher Gasse das ganze gestrige Trauerspiel hätte erzählen hören. Dies
traf den bestürzten La'zarus wie ein Donnerschlag; ohne Zögern packte er alle
leichteren Sachen zusammen, verkaufte das in der Judenstadt erbaute Haus
und trat den in einem hochadeligen Hause gemietheten Kaufladen einem
andern Juden ab, um sich in Polen niederzusetzen. Er war auch schon fer¬
tig, am folgenden Tag. die Flucht vorzunehmen, aber durch göttliche Schickung
wurde der hochadelige Hausherr, welcher ihm den Kaufladen verpachtet hatte,
grade durch Gicht in der Hand verhindert, die Abtretungsschrift eigenhändig
zu unterzeichnen.

Unterdeß ging am 23. Febr. ein den Christen nicht übel geneigter Jude.
Jodel, in der Judenstadt durch das Sommerthor, wo er spielende Kinder an¬
traf, die einander erzählten, daß Simon Abeles, vor drei Tagen frisch und
gesund, gestern früh ohne alles Leichengepränge begraben worden sei. Jodel
machte sich unverweilt aus den Begräbnißplatz. sah ein frisch aufgeworfenes
Grab, erwog andere Umstände und Gerüchte, und kam zu der verständigen
Muthmaßung/.daß Lazarus Mörder.des Sohnes sei. Dies vertraute er so¬
fort einem Concipisten der königlichen Stadthalterei in größter Heimlichkeit.
Nachdem ich Nachricht davon erhalten, und der jüdische Angeber mehrmals
mit Ernst zu treuem Bericht ermahnt worden war, schrieb er am folgenden
Tag den ganzen kläglichen Verlauf nieder, um ihn der hochadeligen Stadt¬
halterei zu überreichen. Diese befahl den Körper des Simon ausgraben
und durch bestimmte Aerzte genau besichtigen zu lassen, endlich die der That
Verdächtigen, wie auch deren Mitwirker in sichern Verhaft zu nehmen. Dies
alles wurde behutsam ohne Verschub ins Werk gesetzt. « Der Körper wurde
unter dem Schutz bewaffneter Mannschaft ausgegraben, die zusammengelau¬
fenen Juden und der herbeigerufene Judenarzt sagten aus, daß ein bösartiger
Ausschlag am Haupte und zuletzt Tobsucht dem Knaben die Seele ausgetrieben
hätte. Die Herrn Aerzte aber-gaben das Gutachten, daß mehre Jndicien,
Bruch des Genickes und eine kleine runde Wunde im Schlaf anzeigten, daß
der Knabe durch einen gewaltthätigen Schlag umgekommen sei.

Darauf wurde Lazarus Abeles vor den Leib seines Sohnes geführt. Er
erblaßte und zitterte, wurde so verwirrt, daß er verstummte und eine gute


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[0461] der GewissenSwurm hervor, des gottlosen Lazarus Herz zu nagen. Die Er¬ innerung folterte sein Gewissen unablässig und immer schwebte ihm die welt¬ liche Strafe vor Augen. Diese Furcht vergrößerte sehr der Handschuhmacher- gcselle Rebbe Liebenau. Dieser hatte nach der That siraks des Abeles Haus verlassen und sich aus dem Staube gemacht und erst nach der Beerdigung wieder bei seiner Arbeit eingefunden. Als ihm Lazarus den Verlauf zu er¬ zählen begann, fiel ihm Nebbe in die Rede mit der Betheuerung, daß er kein Wort über die Unthat zu hören verlange, da er die Judenkinder schon auf öffentlicher Gasse das ganze gestrige Trauerspiel hätte erzählen hören. Dies traf den bestürzten La'zarus wie ein Donnerschlag; ohne Zögern packte er alle leichteren Sachen zusammen, verkaufte das in der Judenstadt erbaute Haus und trat den in einem hochadeligen Hause gemietheten Kaufladen einem andern Juden ab, um sich in Polen niederzusetzen. Er war auch schon fer¬ tig, am folgenden Tag. die Flucht vorzunehmen, aber durch göttliche Schickung wurde der hochadelige Hausherr, welcher ihm den Kaufladen verpachtet hatte, grade durch Gicht in der Hand verhindert, die Abtretungsschrift eigenhändig zu unterzeichnen. Unterdeß ging am 23. Febr. ein den Christen nicht übel geneigter Jude. Jodel, in der Judenstadt durch das Sommerthor, wo er spielende Kinder an¬ traf, die einander erzählten, daß Simon Abeles, vor drei Tagen frisch und gesund, gestern früh ohne alles Leichengepränge begraben worden sei. Jodel machte sich unverweilt aus den Begräbnißplatz. sah ein frisch aufgeworfenes Grab, erwog andere Umstände und Gerüchte, und kam zu der verständigen Muthmaßung/.daß Lazarus Mörder.des Sohnes sei. Dies vertraute er so¬ fort einem Concipisten der königlichen Stadthalterei in größter Heimlichkeit. Nachdem ich Nachricht davon erhalten, und der jüdische Angeber mehrmals mit Ernst zu treuem Bericht ermahnt worden war, schrieb er am folgenden Tag den ganzen kläglichen Verlauf nieder, um ihn der hochadeligen Stadt¬ halterei zu überreichen. Diese befahl den Körper des Simon ausgraben und durch bestimmte Aerzte genau besichtigen zu lassen, endlich die der That Verdächtigen, wie auch deren Mitwirker in sichern Verhaft zu nehmen. Dies alles wurde behutsam ohne Verschub ins Werk gesetzt. « Der Körper wurde unter dem Schutz bewaffneter Mannschaft ausgegraben, die zusammengelau¬ fenen Juden und der herbeigerufene Judenarzt sagten aus, daß ein bösartiger Ausschlag am Haupte und zuletzt Tobsucht dem Knaben die Seele ausgetrieben hätte. Die Herrn Aerzte aber-gaben das Gutachten, daß mehre Jndicien, Bruch des Genickes und eine kleine runde Wunde im Schlaf anzeigten, daß der Knabe durch einen gewaltthätigen Schlag umgekommen sei. Darauf wurde Lazarus Abeles vor den Leib seines Sohnes geführt. Er erblaßte und zitterte, wurde so verwirrt, daß er verstummte und eine gute

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/461>, abgerufen am 26.07.2024.