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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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zu erscheinen und zu sprechen; dasselbe gilt auch für die übrigen Convente
und selbst bei den Synoden; bei der Abstimmung haben nur die delegirten
gesetzlichen Vertreter eine Stimme, wahrend die berathende Stimme im Sinn
der Kirchenverfassung jedem Protestanten zusteht. Ein Ausschuß des Seniorat-
convents, das Senioratconsistorium, übt die geistliche Gerichtsbarkeit in erster
Instanz. -- Aus mehren Senioraten ist der District oder die Superintcndenz
zusammengesetzt, und es gibt deren in Ungarn vier reformirte und vier prote¬
stantische, und zwar diesseit und jenseit der Theiß, diesseit und jenseit der
Donau. Die nächste und zugleich die höchste geistliche Behörde der Kirche ist
der Superintendent, ihm zur Seite steht der Districtualinspector, beide aus
der Wahl der Gemeinden hervorgegangen; ihre Befugnisse sind die oberste
Aufsicht über Kirchen und Schulen im District, die Ueverwachung der Kirchen-
zucht, die Prüfung der für den geistlichen Stand ausgebildeten Männer
(Candidaten) und deren Einführung in das Amt. Der Districtualconvent, den
die Seniorate mit stimmfähigen Deputaten beschicken, leitet die geistlichen und
Schulangclegenheiten des Districts; die zweite Instanz der geistlichen Gerichts¬
barkeit bildet das Superintendcntialconsistorium. -- Für die protestantische
Kirche des ganzen Landes wird ein Generalinspcctor gewählt, der Hüter und
Vertheidiger der Kirche sein soll. Interessen, welche die Landeskirche betreffen,
dann Angelegenheiten der inneren Organisation der Kirche werden auf den
Generalconventen abgehandelt, während auf der Synode endlich, die von den
Districten mit Deputirten beschickt wird, und in der die Superintendenten nebst
den Districtualinspectoren Sitz haben, im Sinn des Gesetzes von 1791 der
Zeit angemessene neue Kirchengesetze gebracht werden können, die Kirchen-
verfassung geändert werden darf, und über Glaubensartikel, die Lithurgie
u. s. f. entschieden wird.

Die Revolution des Jahres 1848 berührte den Zustand der protestanti¬
schen Kirche nicht. stach Unterdrückung des Aufstandes erschien es der östrei¬
chischen Regierung nothwendig, bis zur vollständigen Pacisicirung des Landes
die Kirchenverfassung der Protestanten in Mehrem zu restringiren; die Ver¬
ordnung des damaligen Armeecommandanten F. Z. M. Haynau vom
10. Februar 1850 suspendirte für die Dauer des Belagerungszustandes das Recht
der freien Berathung gänzlich, setzte die Functionen der weltlichen Jnspectoren
außer Wirksamkeit, und ersetzte die aus freier Wahl hervorgegangenen Super¬
intendenten der Evangelischen A. C. durch von der Regierung zu Ad¬
ministratoren ernannte Geistliche, während die Superintendenten der Refor-
mirten sonderbarerweise belassen wurden. Der Grund hiervon mochte gewesen
sein, daß die Reformirten in den unteren magyarischen Comitaten sehr zahl¬
reich vertreten sind, und die Regierung diese unter den damaligen Umständen
noch mehr aufzuregen vermeiden wollte. Nach vier Jahren hörte der Bela-


Grenzbvten IV. 1S56. 53

zu erscheinen und zu sprechen; dasselbe gilt auch für die übrigen Convente
und selbst bei den Synoden; bei der Abstimmung haben nur die delegirten
gesetzlichen Vertreter eine Stimme, wahrend die berathende Stimme im Sinn
der Kirchenverfassung jedem Protestanten zusteht. Ein Ausschuß des Seniorat-
convents, das Senioratconsistorium, übt die geistliche Gerichtsbarkeit in erster
Instanz. — Aus mehren Senioraten ist der District oder die Superintcndenz
zusammengesetzt, und es gibt deren in Ungarn vier reformirte und vier prote¬
stantische, und zwar diesseit und jenseit der Theiß, diesseit und jenseit der
Donau. Die nächste und zugleich die höchste geistliche Behörde der Kirche ist
der Superintendent, ihm zur Seite steht der Districtualinspector, beide aus
der Wahl der Gemeinden hervorgegangen; ihre Befugnisse sind die oberste
Aufsicht über Kirchen und Schulen im District, die Ueverwachung der Kirchen-
zucht, die Prüfung der für den geistlichen Stand ausgebildeten Männer
(Candidaten) und deren Einführung in das Amt. Der Districtualconvent, den
die Seniorate mit stimmfähigen Deputaten beschicken, leitet die geistlichen und
Schulangclegenheiten des Districts; die zweite Instanz der geistlichen Gerichts¬
barkeit bildet das Superintendcntialconsistorium. — Für die protestantische
Kirche des ganzen Landes wird ein Generalinspcctor gewählt, der Hüter und
Vertheidiger der Kirche sein soll. Interessen, welche die Landeskirche betreffen,
dann Angelegenheiten der inneren Organisation der Kirche werden auf den
Generalconventen abgehandelt, während auf der Synode endlich, die von den
Districten mit Deputirten beschickt wird, und in der die Superintendenten nebst
den Districtualinspectoren Sitz haben, im Sinn des Gesetzes von 1791 der
Zeit angemessene neue Kirchengesetze gebracht werden können, die Kirchen-
verfassung geändert werden darf, und über Glaubensartikel, die Lithurgie
u. s. f. entschieden wird.

Die Revolution des Jahres 1848 berührte den Zustand der protestanti¬
schen Kirche nicht. stach Unterdrückung des Aufstandes erschien es der östrei¬
chischen Regierung nothwendig, bis zur vollständigen Pacisicirung des Landes
die Kirchenverfassung der Protestanten in Mehrem zu restringiren; die Ver¬
ordnung des damaligen Armeecommandanten F. Z. M. Haynau vom
10. Februar 1850 suspendirte für die Dauer des Belagerungszustandes das Recht
der freien Berathung gänzlich, setzte die Functionen der weltlichen Jnspectoren
außer Wirksamkeit, und ersetzte die aus freier Wahl hervorgegangenen Super¬
intendenten der Evangelischen A. C. durch von der Regierung zu Ad¬
ministratoren ernannte Geistliche, während die Superintendenten der Refor-
mirten sonderbarerweise belassen wurden. Der Grund hiervon mochte gewesen
sein, daß die Reformirten in den unteren magyarischen Comitaten sehr zahl¬
reich vertreten sind, und die Regierung diese unter den damaligen Umständen
noch mehr aufzuregen vermeiden wollte. Nach vier Jahren hörte der Bela-


Grenzbvten IV. 1S56. 53
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[0425] zu erscheinen und zu sprechen; dasselbe gilt auch für die übrigen Convente und selbst bei den Synoden; bei der Abstimmung haben nur die delegirten gesetzlichen Vertreter eine Stimme, wahrend die berathende Stimme im Sinn der Kirchenverfassung jedem Protestanten zusteht. Ein Ausschuß des Seniorat- convents, das Senioratconsistorium, übt die geistliche Gerichtsbarkeit in erster Instanz. — Aus mehren Senioraten ist der District oder die Superintcndenz zusammengesetzt, und es gibt deren in Ungarn vier reformirte und vier prote¬ stantische, und zwar diesseit und jenseit der Theiß, diesseit und jenseit der Donau. Die nächste und zugleich die höchste geistliche Behörde der Kirche ist der Superintendent, ihm zur Seite steht der Districtualinspector, beide aus der Wahl der Gemeinden hervorgegangen; ihre Befugnisse sind die oberste Aufsicht über Kirchen und Schulen im District, die Ueverwachung der Kirchen- zucht, die Prüfung der für den geistlichen Stand ausgebildeten Männer (Candidaten) und deren Einführung in das Amt. Der Districtualconvent, den die Seniorate mit stimmfähigen Deputaten beschicken, leitet die geistlichen und Schulangclegenheiten des Districts; die zweite Instanz der geistlichen Gerichts¬ barkeit bildet das Superintendcntialconsistorium. — Für die protestantische Kirche des ganzen Landes wird ein Generalinspcctor gewählt, der Hüter und Vertheidiger der Kirche sein soll. Interessen, welche die Landeskirche betreffen, dann Angelegenheiten der inneren Organisation der Kirche werden auf den Generalconventen abgehandelt, während auf der Synode endlich, die von den Districten mit Deputirten beschickt wird, und in der die Superintendenten nebst den Districtualinspectoren Sitz haben, im Sinn des Gesetzes von 1791 der Zeit angemessene neue Kirchengesetze gebracht werden können, die Kirchen- verfassung geändert werden darf, und über Glaubensartikel, die Lithurgie u. s. f. entschieden wird. Die Revolution des Jahres 1848 berührte den Zustand der protestanti¬ schen Kirche nicht. stach Unterdrückung des Aufstandes erschien es der östrei¬ chischen Regierung nothwendig, bis zur vollständigen Pacisicirung des Landes die Kirchenverfassung der Protestanten in Mehrem zu restringiren; die Ver¬ ordnung des damaligen Armeecommandanten F. Z. M. Haynau vom 10. Februar 1850 suspendirte für die Dauer des Belagerungszustandes das Recht der freien Berathung gänzlich, setzte die Functionen der weltlichen Jnspectoren außer Wirksamkeit, und ersetzte die aus freier Wahl hervorgegangenen Super¬ intendenten der Evangelischen A. C. durch von der Regierung zu Ad¬ ministratoren ernannte Geistliche, während die Superintendenten der Refor- mirten sonderbarerweise belassen wurden. Der Grund hiervon mochte gewesen sein, daß die Reformirten in den unteren magyarischen Comitaten sehr zahl¬ reich vertreten sind, und die Regierung diese unter den damaligen Umständen noch mehr aufzuregen vermeiden wollte. Nach vier Jahren hörte der Bela- Grenzbvten IV. 1S56. 53

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/425>, abgerufen am 26.07.2024.