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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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gehn läßt,.wie es geht, ungezügelt die Regenstrome Hausen. Rechts reiht sich
Häuschen an Häuschen, links zieht sich eine Mauer hin, die einen Garten
umschließt. Dattelpalmen, dunkelbclaubte Mangos mit großen gelben Früch¬
ten, Bananen ragen darüber hervor und treten wir durck das Gitter, so
empfangen uns die Wohlgerüche der Orangenblüte. Citronen und süße Simonen
prangen zwischen saftigen Blättern, aus hellgrünem Laube schaut am Spa¬
lier die wunderbare Passionsblume hernieder, und der Cambure entrollt über
den gurkenühnlichen langen Früchten, deren Gewicht und Fülle den schwachen
krautartigen Stamm zur Seite neigt, seine riesenhaften Blätter. Aber wir
suchen vergebens die ordnende Hand des Menschen, die rührig und einsichts¬
voll mit der allzu freigebigen Natur im Bunde ginge. Die halbverwilder¬
ten Gemüsebeete und dichten Sträucher verrathen eben, daß sie einmahl da
gewesen. Das Haus im Hintergrund mit säulengetragenem Dach verkündet
die Wohnung des säumigen Besitzers.

Verarmte weiße, zumeist aber farbige Familien bewohnen diese Stadt¬
theile. In engem Raume zusammengedrängt empfinden sie das milde Klima als
doppelte Wohlthat. Bei offenen Fenstern und Thüren leben sie mehr draußen
als drinnen, bei geringen Bedürfnissen gibt ihnen gemächliche Arbeit das
Allernöthigste, und die Jugend bis zu sechs, acht Jahren führt Natur am
leichten Gängelband: fasernackt treiben sich die kleinen dunklen Weltbürger
auf der Straße umher, selten beschränkt ein Hemd die freie Bewegung der
Gliedmaßen. -- Ganz unten trennen üppige Maisfelder die Stadt von der
nahen Hügelkette, an deren Fuß der geschwätzig murmelnde Bach zwischen
haushohen Schilf und 'schlanken hellgrünen Weiden sich hinschlüngelt. Nach
Osten grenzt hart an die letzten Lehmhütten, nur durch den mit dem
Goaire sich verbindenden Arauco von Norden her getrennt, eine Kaffepflan-
zung. Das dichte dunkle Laubdach des hohen Bukare schützt die Schatten
suchende Kaffeestaude vor den glühenden Strahlen der Sonne und gibt der
Plantage ein ernstes, ruhevolles Gepräge. Dieselbe jenseits zur Rechten schlen¬
dern wir bald zwischen Häusern, bald zwischen Sträuchern und Hecken, bald
an grünem Wiesengrund hin.

Den Zaun dazu bilden unzählige Rindsh inner, aus der nahen Stadt¬
schlächterei nutzlos dort aufgehäuft; denn die rindernährenden Ebenen des
Orinoco senden ja Tausende von Rindern nach der Hauptstadt, ein Ochs kostet
in Benezuela nur so viel als seine Haut in Hamburg, wenige Thaler in sei¬
ner Heimath, im Gebirge wegen der beschwerlichen Führung etwas mehr;
da braucht man also nicht zu sparen und auch noch aus den Hörnern Nutzen
zu ziehn, denkt der sorglose, wenig haushälterische Sinn.

Wohin wir blicken, zeigt sich gemüthlicher Schlendrian, harmloses Sich-
gehenlassen; der gemessene Gang der Leute, die anmuthig und still, den


gehn läßt,.wie es geht, ungezügelt die Regenstrome Hausen. Rechts reiht sich
Häuschen an Häuschen, links zieht sich eine Mauer hin, die einen Garten
umschließt. Dattelpalmen, dunkelbclaubte Mangos mit großen gelben Früch¬
ten, Bananen ragen darüber hervor und treten wir durck das Gitter, so
empfangen uns die Wohlgerüche der Orangenblüte. Citronen und süße Simonen
prangen zwischen saftigen Blättern, aus hellgrünem Laube schaut am Spa¬
lier die wunderbare Passionsblume hernieder, und der Cambure entrollt über
den gurkenühnlichen langen Früchten, deren Gewicht und Fülle den schwachen
krautartigen Stamm zur Seite neigt, seine riesenhaften Blätter. Aber wir
suchen vergebens die ordnende Hand des Menschen, die rührig und einsichts¬
voll mit der allzu freigebigen Natur im Bunde ginge. Die halbverwilder¬
ten Gemüsebeete und dichten Sträucher verrathen eben, daß sie einmahl da
gewesen. Das Haus im Hintergrund mit säulengetragenem Dach verkündet
die Wohnung des säumigen Besitzers.

Verarmte weiße, zumeist aber farbige Familien bewohnen diese Stadt¬
theile. In engem Raume zusammengedrängt empfinden sie das milde Klima als
doppelte Wohlthat. Bei offenen Fenstern und Thüren leben sie mehr draußen
als drinnen, bei geringen Bedürfnissen gibt ihnen gemächliche Arbeit das
Allernöthigste, und die Jugend bis zu sechs, acht Jahren führt Natur am
leichten Gängelband: fasernackt treiben sich die kleinen dunklen Weltbürger
auf der Straße umher, selten beschränkt ein Hemd die freie Bewegung der
Gliedmaßen. — Ganz unten trennen üppige Maisfelder die Stadt von der
nahen Hügelkette, an deren Fuß der geschwätzig murmelnde Bach zwischen
haushohen Schilf und 'schlanken hellgrünen Weiden sich hinschlüngelt. Nach
Osten grenzt hart an die letzten Lehmhütten, nur durch den mit dem
Goaire sich verbindenden Arauco von Norden her getrennt, eine Kaffepflan-
zung. Das dichte dunkle Laubdach des hohen Bukare schützt die Schatten
suchende Kaffeestaude vor den glühenden Strahlen der Sonne und gibt der
Plantage ein ernstes, ruhevolles Gepräge. Dieselbe jenseits zur Rechten schlen¬
dern wir bald zwischen Häusern, bald zwischen Sträuchern und Hecken, bald
an grünem Wiesengrund hin.

Den Zaun dazu bilden unzählige Rindsh inner, aus der nahen Stadt¬
schlächterei nutzlos dort aufgehäuft; denn die rindernährenden Ebenen des
Orinoco senden ja Tausende von Rindern nach der Hauptstadt, ein Ochs kostet
in Benezuela nur so viel als seine Haut in Hamburg, wenige Thaler in sei¬
ner Heimath, im Gebirge wegen der beschwerlichen Führung etwas mehr;
da braucht man also nicht zu sparen und auch noch aus den Hörnern Nutzen
zu ziehn, denkt der sorglose, wenig haushälterische Sinn.

Wohin wir blicken, zeigt sich gemüthlicher Schlendrian, harmloses Sich-
gehenlassen; der gemessene Gang der Leute, die anmuthig und still, den


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[0359] gehn läßt,.wie es geht, ungezügelt die Regenstrome Hausen. Rechts reiht sich Häuschen an Häuschen, links zieht sich eine Mauer hin, die einen Garten umschließt. Dattelpalmen, dunkelbclaubte Mangos mit großen gelben Früch¬ ten, Bananen ragen darüber hervor und treten wir durck das Gitter, so empfangen uns die Wohlgerüche der Orangenblüte. Citronen und süße Simonen prangen zwischen saftigen Blättern, aus hellgrünem Laube schaut am Spa¬ lier die wunderbare Passionsblume hernieder, und der Cambure entrollt über den gurkenühnlichen langen Früchten, deren Gewicht und Fülle den schwachen krautartigen Stamm zur Seite neigt, seine riesenhaften Blätter. Aber wir suchen vergebens die ordnende Hand des Menschen, die rührig und einsichts¬ voll mit der allzu freigebigen Natur im Bunde ginge. Die halbverwilder¬ ten Gemüsebeete und dichten Sträucher verrathen eben, daß sie einmahl da gewesen. Das Haus im Hintergrund mit säulengetragenem Dach verkündet die Wohnung des säumigen Besitzers. Verarmte weiße, zumeist aber farbige Familien bewohnen diese Stadt¬ theile. In engem Raume zusammengedrängt empfinden sie das milde Klima als doppelte Wohlthat. Bei offenen Fenstern und Thüren leben sie mehr draußen als drinnen, bei geringen Bedürfnissen gibt ihnen gemächliche Arbeit das Allernöthigste, und die Jugend bis zu sechs, acht Jahren führt Natur am leichten Gängelband: fasernackt treiben sich die kleinen dunklen Weltbürger auf der Straße umher, selten beschränkt ein Hemd die freie Bewegung der Gliedmaßen. — Ganz unten trennen üppige Maisfelder die Stadt von der nahen Hügelkette, an deren Fuß der geschwätzig murmelnde Bach zwischen haushohen Schilf und 'schlanken hellgrünen Weiden sich hinschlüngelt. Nach Osten grenzt hart an die letzten Lehmhütten, nur durch den mit dem Goaire sich verbindenden Arauco von Norden her getrennt, eine Kaffepflan- zung. Das dichte dunkle Laubdach des hohen Bukare schützt die Schatten suchende Kaffeestaude vor den glühenden Strahlen der Sonne und gibt der Plantage ein ernstes, ruhevolles Gepräge. Dieselbe jenseits zur Rechten schlen¬ dern wir bald zwischen Häusern, bald zwischen Sträuchern und Hecken, bald an grünem Wiesengrund hin. Den Zaun dazu bilden unzählige Rindsh inner, aus der nahen Stadt¬ schlächterei nutzlos dort aufgehäuft; denn die rindernährenden Ebenen des Orinoco senden ja Tausende von Rindern nach der Hauptstadt, ein Ochs kostet in Benezuela nur so viel als seine Haut in Hamburg, wenige Thaler in sei¬ ner Heimath, im Gebirge wegen der beschwerlichen Führung etwas mehr; da braucht man also nicht zu sparen und auch noch aus den Hörnern Nutzen zu ziehn, denkt der sorglose, wenig haushälterische Sinn. Wohin wir blicken, zeigt sich gemüthlicher Schlendrian, harmloses Sich- gehenlassen; der gemessene Gang der Leute, die anmuthig und still, den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/359>, abgerufen am 26.07.2024.