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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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die Zeit der Wahlen drängte, aber nichts sagt uns, daß die Besetzung in allen Stel¬
len eine definitive sein soll; ja es scheint, als ob die Beibehaltung des alten Han-
delsministcrs neben dem neuen Finanzminister entschieden dagegen spricht; denn es
ist bekannt, daß beide in allen Cardinalfragcn ausgesprochene Gegner sind.

Was soll der Regent nun dazu denken, wenn das Land als Antwort auf sein
Vertrauen durch seine Wahlen Folgendes ausspricht: wir sind ministeriell gesinnt
d> h. wir wollen dasselbe, was Herr v. d. Heydt und Herr v. Patow wollen, ob¬
gleich beide das Entgegengesetzte wollen, und wir sind auch gern bereit, alles mög¬
liche.'Andere gut zu heißen, falls man uns nur mit den Leuten der Kreuzzeitung
verschont.

Der Regent würde denken: ein Land, welches diese Antwort gibt, ist weder
würdig noch sähig, frei zu sein; ich werde mich zwar an die Verfassung halten,
die ich beschworen habe, aber ich werde mir auf eine Unterstützung meiner Regie¬
rung von jener Seite keine Rechnung machen, weil die Kraft, die keinen Widerstand
leisten kann, auch nicht das Gewicht einer Feder in die Wagschale wirft.

Eine solche Stimmung würde für das Gedeihen unseres politischen Lebens sehr
gefährlich sein. Mit den Ermahnungen zur Mäßigkeit und Besonnenheit ist es noch
nicht gethan. Auch wir sind der festen Ueberzeugung, daß ein gedeihliches Zusam¬
menwirken der verschiedenen legislativen Gewalten nur denkbar ist, wenn das Haus
der Abgeordneten ebenso entschieden der Demokratie als der Aristokratie Widerstand
leistet, beide Worte in der ursprünglichen Bedeutung gebraucht: aber noch einmal,
es kann nur dann Widerstand leisten, wenn es selbst etwas will.

Die Wähler sollen also den Kandidaten ein bestimmtes politisches Glau-
bensbekenntniß abfordern, wobei das schlesische Programm zu Grunde gelegt
werden mag. Aber damit ist es noch nicht genug: sie müssen zugleich eine
ausführliche Erklärung über die zunächst vorliegenden wichtigeren Gcsetzvorschläge
verlangen, um zu sehn, ob sie auch eine wirkliche Einsicht in die Sache ha¬
ben. Die Abneigung gegen parlamentarisches Wesen rührt zum großen Theil da¬
von her, daß man häufig in den Kammern mehr declamirt, als erwägt und ur¬
theilt. Man glaube nicht etwa, daß durch das selbstständige Urtheil jedes einzelnen
Abgeordneten das schließliche EinVerständniß erschwert wird; im Gegentheil wird eine
'wahre Verständigung nur unter Einsichtsvollen möglich sein, während die bloße
gute Gesinnung alles dem Zufall in die Hand spielt. Das Haus der Abgeordneten
wird die wohlthätigen Absichten des Regenten und seiner Rathgeber gegen die Ten¬
denzen des Feudalismus und der Anarchie am besten dadurch unterstützen, wenn es
durch eigene Kraft ihm in geordneter und zugleich entschiedener Weise das durchführen
hilft/ was die rechtliche Ordnung des Staats kräftigt und den Egoismus der Clas¬
sen ebenso in ihre Schranken zurückweist als die Unruhe der Menge. Ein Haus
der Abgeordneten, welches sich selbst im Lande und bei dem Regenten Achtung zu
verschaffen weiß, ist die sicherste Schutzwehr nach beiden Seiten hin. Diese Achtung
wird es sich aber nur dann erwerben, wenn es den Schwerpunkt seines Willens in
si -j- f ch selbst findet.




die Zeit der Wahlen drängte, aber nichts sagt uns, daß die Besetzung in allen Stel¬
len eine definitive sein soll; ja es scheint, als ob die Beibehaltung des alten Han-
delsministcrs neben dem neuen Finanzminister entschieden dagegen spricht; denn es
ist bekannt, daß beide in allen Cardinalfragcn ausgesprochene Gegner sind.

Was soll der Regent nun dazu denken, wenn das Land als Antwort auf sein
Vertrauen durch seine Wahlen Folgendes ausspricht: wir sind ministeriell gesinnt
d> h. wir wollen dasselbe, was Herr v. d. Heydt und Herr v. Patow wollen, ob¬
gleich beide das Entgegengesetzte wollen, und wir sind auch gern bereit, alles mög¬
liche.'Andere gut zu heißen, falls man uns nur mit den Leuten der Kreuzzeitung
verschont.

Der Regent würde denken: ein Land, welches diese Antwort gibt, ist weder
würdig noch sähig, frei zu sein; ich werde mich zwar an die Verfassung halten,
die ich beschworen habe, aber ich werde mir auf eine Unterstützung meiner Regie¬
rung von jener Seite keine Rechnung machen, weil die Kraft, die keinen Widerstand
leisten kann, auch nicht das Gewicht einer Feder in die Wagschale wirft.

Eine solche Stimmung würde für das Gedeihen unseres politischen Lebens sehr
gefährlich sein. Mit den Ermahnungen zur Mäßigkeit und Besonnenheit ist es noch
nicht gethan. Auch wir sind der festen Ueberzeugung, daß ein gedeihliches Zusam¬
menwirken der verschiedenen legislativen Gewalten nur denkbar ist, wenn das Haus
der Abgeordneten ebenso entschieden der Demokratie als der Aristokratie Widerstand
leistet, beide Worte in der ursprünglichen Bedeutung gebraucht: aber noch einmal,
es kann nur dann Widerstand leisten, wenn es selbst etwas will.

Die Wähler sollen also den Kandidaten ein bestimmtes politisches Glau-
bensbekenntniß abfordern, wobei das schlesische Programm zu Grunde gelegt
werden mag. Aber damit ist es noch nicht genug: sie müssen zugleich eine
ausführliche Erklärung über die zunächst vorliegenden wichtigeren Gcsetzvorschläge
verlangen, um zu sehn, ob sie auch eine wirkliche Einsicht in die Sache ha¬
ben. Die Abneigung gegen parlamentarisches Wesen rührt zum großen Theil da¬
von her, daß man häufig in den Kammern mehr declamirt, als erwägt und ur¬
theilt. Man glaube nicht etwa, daß durch das selbstständige Urtheil jedes einzelnen
Abgeordneten das schließliche EinVerständniß erschwert wird; im Gegentheil wird eine
'wahre Verständigung nur unter Einsichtsvollen möglich sein, während die bloße
gute Gesinnung alles dem Zufall in die Hand spielt. Das Haus der Abgeordneten
wird die wohlthätigen Absichten des Regenten und seiner Rathgeber gegen die Ten¬
denzen des Feudalismus und der Anarchie am besten dadurch unterstützen, wenn es
durch eigene Kraft ihm in geordneter und zugleich entschiedener Weise das durchführen
hilft/ was die rechtliche Ordnung des Staats kräftigt und den Egoismus der Clas¬
sen ebenso in ihre Schranken zurückweist als die Unruhe der Menge. Ein Haus
der Abgeordneten, welches sich selbst im Lande und bei dem Regenten Achtung zu
verschaffen weiß, ist die sicherste Schutzwehr nach beiden Seiten hin. Diese Achtung
wird es sich aber nur dann erwerben, wenn es den Schwerpunkt seines Willens in
si -j- f ch selbst findet.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/327>, abgerufen am 26.07.2024.