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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Brust heben und seine Seele erquicken, mitten in tropischerZone, unter einem blauen
südlichen Himmel, wo die Sonne hoch steht im Zenith; die Fesseln irdischer Klein¬
lichkeit entfallen ihm, er empfindet groß und tief. In gehobener Stimmung schaut
er noch einmal zurück: unter ihm breitet sich das weite Antillenmeer , das Meer
des Columbus aus. Große geschichtliche Erinnerungen tauchen im Grunde seiner
Seele auf -- und im Gesammtgefühl dessen, was seine mehrstündige Wan¬
derung ihm erschlossen, mehr noch dessen, was sie ihm von diesem reichen
Lande hat vorahnen lassen, wendet er seinen Blick nach vorn -- und welch
ein Anblick öffnet sich ihm da: zu seinen Füßen tief unten quervor ein lachen¬
des Thal, am westlichen Ende von großen Häusermassen besetzt, es ist die
Hauptstadt Venezuelas, Caracas und jenseits hintereinander sich aufthürmende
Bergketten, theils kahl, theils mit Vegetation, in massenhaften Formen, mit
wellenförmigen Fronten und rundlichen Granitkuppeln. Der erstaunte Blick
schweift nach allen Seiten weithin über einen beträchtlichen Theil des Binnen¬
landes, ein Lichtmeer ergießt sich über die Landschaft, die erhobenen Stellen
glühen im Schein der sich neigenden Sonne, kühle blaue Schatten unterbre¬
chen sie in den Vertiefungen, und unsagbar schön umfängt die majestätischen
Berggipfel ringsumher die feuchte Klarheit des blauen Horizontes, in dessen
Tiefen das trunkene Auge sich nimmer satt zu sehen vermag.

Dies ist der Gruß, mit dem die Natur den europäischen Ankömmling
bewillkommt. Glücklich der Sohn des Nordens, der, nach den Paradiesen
des Südens einen empfänglichen Sinn, ein offenes Herz mitbringt. Unge-
kannte Reize weihen ihn zum Genuß einer höhern, schönern, jungfräulichen
Natur, die in ewig neuem Gewand lebenathmend in tausend Sprachen zu
ihm redet und ihn im Geiste das Jugendalter der Menschheit nachfühlen läßt,
zu dessen Ahnung die blos traditionelle Idee ihn nie aufzuschwingen ver¬
mocht hat.




Der französisch-portugiesische Streit.

Das Benehmen der französischen Regierung in dem Streit mit Portugal über
die Aufbringung des Charles Georges hat die allgemeinste Entrüstung hervorgerufen;
man sieht in dem Zwang, den die Großmacht einem kleinen Staat anthut, einen
Act brutaler Gewalt, wo das stat xro rMouo voluntas seine volle Anwendung
findet. Wir sind nicht geneigt, das Verfahren der kaiserlichen Regierung in Schutz
zu nehmen. Wie auch die Streitsrage liegen mag, die Behandlung derselben ist un-


Grenzboten IV. 1663. 40

Brust heben und seine Seele erquicken, mitten in tropischerZone, unter einem blauen
südlichen Himmel, wo die Sonne hoch steht im Zenith; die Fesseln irdischer Klein¬
lichkeit entfallen ihm, er empfindet groß und tief. In gehobener Stimmung schaut
er noch einmal zurück: unter ihm breitet sich das weite Antillenmeer , das Meer
des Columbus aus. Große geschichtliche Erinnerungen tauchen im Grunde seiner
Seele auf — und im Gesammtgefühl dessen, was seine mehrstündige Wan¬
derung ihm erschlossen, mehr noch dessen, was sie ihm von diesem reichen
Lande hat vorahnen lassen, wendet er seinen Blick nach vorn — und welch
ein Anblick öffnet sich ihm da: zu seinen Füßen tief unten quervor ein lachen¬
des Thal, am westlichen Ende von großen Häusermassen besetzt, es ist die
Hauptstadt Venezuelas, Caracas und jenseits hintereinander sich aufthürmende
Bergketten, theils kahl, theils mit Vegetation, in massenhaften Formen, mit
wellenförmigen Fronten und rundlichen Granitkuppeln. Der erstaunte Blick
schweift nach allen Seiten weithin über einen beträchtlichen Theil des Binnen¬
landes, ein Lichtmeer ergießt sich über die Landschaft, die erhobenen Stellen
glühen im Schein der sich neigenden Sonne, kühle blaue Schatten unterbre¬
chen sie in den Vertiefungen, und unsagbar schön umfängt die majestätischen
Berggipfel ringsumher die feuchte Klarheit des blauen Horizontes, in dessen
Tiefen das trunkene Auge sich nimmer satt zu sehen vermag.

Dies ist der Gruß, mit dem die Natur den europäischen Ankömmling
bewillkommt. Glücklich der Sohn des Nordens, der, nach den Paradiesen
des Südens einen empfänglichen Sinn, ein offenes Herz mitbringt. Unge-
kannte Reize weihen ihn zum Genuß einer höhern, schönern, jungfräulichen
Natur, die in ewig neuem Gewand lebenathmend in tausend Sprachen zu
ihm redet und ihn im Geiste das Jugendalter der Menschheit nachfühlen läßt,
zu dessen Ahnung die blos traditionelle Idee ihn nie aufzuschwingen ver¬
mocht hat.




Der französisch-portugiesische Streit.

Das Benehmen der französischen Regierung in dem Streit mit Portugal über
die Aufbringung des Charles Georges hat die allgemeinste Entrüstung hervorgerufen;
man sieht in dem Zwang, den die Großmacht einem kleinen Staat anthut, einen
Act brutaler Gewalt, wo das stat xro rMouo voluntas seine volle Anwendung
findet. Wir sind nicht geneigt, das Verfahren der kaiserlichen Regierung in Schutz
zu nehmen. Wie auch die Streitsrage liegen mag, die Behandlung derselben ist un-


Grenzboten IV. 1663. 40
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[0321] Brust heben und seine Seele erquicken, mitten in tropischerZone, unter einem blauen südlichen Himmel, wo die Sonne hoch steht im Zenith; die Fesseln irdischer Klein¬ lichkeit entfallen ihm, er empfindet groß und tief. In gehobener Stimmung schaut er noch einmal zurück: unter ihm breitet sich das weite Antillenmeer , das Meer des Columbus aus. Große geschichtliche Erinnerungen tauchen im Grunde seiner Seele auf — und im Gesammtgefühl dessen, was seine mehrstündige Wan¬ derung ihm erschlossen, mehr noch dessen, was sie ihm von diesem reichen Lande hat vorahnen lassen, wendet er seinen Blick nach vorn — und welch ein Anblick öffnet sich ihm da: zu seinen Füßen tief unten quervor ein lachen¬ des Thal, am westlichen Ende von großen Häusermassen besetzt, es ist die Hauptstadt Venezuelas, Caracas und jenseits hintereinander sich aufthürmende Bergketten, theils kahl, theils mit Vegetation, in massenhaften Formen, mit wellenförmigen Fronten und rundlichen Granitkuppeln. Der erstaunte Blick schweift nach allen Seiten weithin über einen beträchtlichen Theil des Binnen¬ landes, ein Lichtmeer ergießt sich über die Landschaft, die erhobenen Stellen glühen im Schein der sich neigenden Sonne, kühle blaue Schatten unterbre¬ chen sie in den Vertiefungen, und unsagbar schön umfängt die majestätischen Berggipfel ringsumher die feuchte Klarheit des blauen Horizontes, in dessen Tiefen das trunkene Auge sich nimmer satt zu sehen vermag. Dies ist der Gruß, mit dem die Natur den europäischen Ankömmling bewillkommt. Glücklich der Sohn des Nordens, der, nach den Paradiesen des Südens einen empfänglichen Sinn, ein offenes Herz mitbringt. Unge- kannte Reize weihen ihn zum Genuß einer höhern, schönern, jungfräulichen Natur, die in ewig neuem Gewand lebenathmend in tausend Sprachen zu ihm redet und ihn im Geiste das Jugendalter der Menschheit nachfühlen läßt, zu dessen Ahnung die blos traditionelle Idee ihn nie aufzuschwingen ver¬ mocht hat. Der französisch-portugiesische Streit. Das Benehmen der französischen Regierung in dem Streit mit Portugal über die Aufbringung des Charles Georges hat die allgemeinste Entrüstung hervorgerufen; man sieht in dem Zwang, den die Großmacht einem kleinen Staat anthut, einen Act brutaler Gewalt, wo das stat xro rMouo voluntas seine volle Anwendung findet. Wir sind nicht geneigt, das Verfahren der kaiserlichen Regierung in Schutz zu nehmen. Wie auch die Streitsrage liegen mag, die Behandlung derselben ist un- Grenzboten IV. 1663. 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/321>, abgerufen am 05.07.2024.