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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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war volle Religionsfreiheit für alle Bekenntnisse ausgesprochen, und obwol
diese Verfassung nie ins Leben trat, so glaubte doch niemand.- daß von dieser
Seite ein bedeutender Rückschritt zu fürchten wäre. Man denke sich nun die
Ueberraschung, ja den Schrecken, der die Akatholiken Ungarns befallen mußte,
als das Concordat mit seiner schweren Wucht! wie ein riesenhafter Meteor¬
stein aus heiterem Himmel auf ihre Häupter niederfiel. Wir glauben, daß
das Concordat selbst in Oestreich mit seiner überwiegend katholischen Bevöl¬
kerung sich nur weniger Verehrer erfreut; aber für Ungarn ist diese Maßregel
ein vielschneidiger, widerhakiger Pfeil, der dem Herzen des Volkes unheilbare
Wunden schlägt. Und schon machen sich die Folgen dieses in unserem Jahr¬
hundert beispiellosen Sieges der ultramontanen Partei in allen Schichten des
Staats- und gesellschaftlichen Lebens schmerzlich fühlbar. Spitäler, Gefäng¬
nisse, Waisenhäuser und alle andern der leidenden oder fehlenden Menschheit
gewidmete Anstalten sind theils der unbeschränkten Verwaltung, theils der
Ueberwachung der katholischen Geistlichkeit übergeben; gemischte Ehen zwischen
Katholiken und Nichtkatholiken werden nicht nur nicht zugelassen, sondern die
bereits bestehenden als Concubinate betrachtet; die durch ihr Machtwort ent¬
stehenden Normetage werden Gemeinden aufgedrungen, in welchen die Katho¬
liken einen kaum merkbaren Bruchtheil bilden; und das Schulwesen, diese
Pflanzung, von der die Zukunft ihre schönsten Früchte erwartet, und die der
Mensch so gern mit seiner herzinnigsten Fürsorge, nach seiner eigensten Ueber¬
zeugung hegt und pflegt, ist ihr in einer Weise in die Hand gegeben, die
alles fürchten läßt. Wir haben in Ungarn bis jetzt manche Mängel im Er-
ziehungswesen zu beklagen gehabt; aber durch die unbeschränkte konfessionelle
Freiheit und die daraus folgende geistige Concurrenz ist manches Gute und
Schöne gefördert worden, und stand Besseres und Schöneres von der Zu¬
kunft zu erwarten. Zudem fand jeder eine wohlthuende Beruhigung in dem
Bewußtsein, daß der freie Wille, der schon manches Fehlerhafte ausgeglichen,
das Unvollkommene seiner Vervollkommnung näher bringen wird. Mit dem
Concordat ist uns diese schöne Aussicht genommen, ist unser ganzes geistiges
Leben in eine fremde, feindliche Mhn geschleudert, wo es kläglich unter¬
gehen muß.

Daß das Concordat, und besonders das Aufgeben des seit Jahrhunderten
bestandenen ?Iaeewm reZium, sich mit den Principien einer conservativen Re¬
gierung, und noch mehr mit der Idee eines Gesammtöstreichs nicht verträgt,
ist selbst in unsern Regierungskreisen bereits zur Anerkennung gelangt, und
diese Maßregel ist in ihrem Ursprung und in ihren Folgen so verhängnißvoll,
daß mit ihr weder von einer geregelten Verwaltung noch von der Organisa¬
tion eines wirklichen Gesammtstaates die Rede sein kann.

Als Resum6 unserer Betrachtungen können wir Folgendes feststellen. Die


war volle Religionsfreiheit für alle Bekenntnisse ausgesprochen, und obwol
diese Verfassung nie ins Leben trat, so glaubte doch niemand.- daß von dieser
Seite ein bedeutender Rückschritt zu fürchten wäre. Man denke sich nun die
Ueberraschung, ja den Schrecken, der die Akatholiken Ungarns befallen mußte,
als das Concordat mit seiner schweren Wucht! wie ein riesenhafter Meteor¬
stein aus heiterem Himmel auf ihre Häupter niederfiel. Wir glauben, daß
das Concordat selbst in Oestreich mit seiner überwiegend katholischen Bevöl¬
kerung sich nur weniger Verehrer erfreut; aber für Ungarn ist diese Maßregel
ein vielschneidiger, widerhakiger Pfeil, der dem Herzen des Volkes unheilbare
Wunden schlägt. Und schon machen sich die Folgen dieses in unserem Jahr¬
hundert beispiellosen Sieges der ultramontanen Partei in allen Schichten des
Staats- und gesellschaftlichen Lebens schmerzlich fühlbar. Spitäler, Gefäng¬
nisse, Waisenhäuser und alle andern der leidenden oder fehlenden Menschheit
gewidmete Anstalten sind theils der unbeschränkten Verwaltung, theils der
Ueberwachung der katholischen Geistlichkeit übergeben; gemischte Ehen zwischen
Katholiken und Nichtkatholiken werden nicht nur nicht zugelassen, sondern die
bereits bestehenden als Concubinate betrachtet; die durch ihr Machtwort ent¬
stehenden Normetage werden Gemeinden aufgedrungen, in welchen die Katho¬
liken einen kaum merkbaren Bruchtheil bilden; und das Schulwesen, diese
Pflanzung, von der die Zukunft ihre schönsten Früchte erwartet, und die der
Mensch so gern mit seiner herzinnigsten Fürsorge, nach seiner eigensten Ueber¬
zeugung hegt und pflegt, ist ihr in einer Weise in die Hand gegeben, die
alles fürchten läßt. Wir haben in Ungarn bis jetzt manche Mängel im Er-
ziehungswesen zu beklagen gehabt; aber durch die unbeschränkte konfessionelle
Freiheit und die daraus folgende geistige Concurrenz ist manches Gute und
Schöne gefördert worden, und stand Besseres und Schöneres von der Zu¬
kunft zu erwarten. Zudem fand jeder eine wohlthuende Beruhigung in dem
Bewußtsein, daß der freie Wille, der schon manches Fehlerhafte ausgeglichen,
das Unvollkommene seiner Vervollkommnung näher bringen wird. Mit dem
Concordat ist uns diese schöne Aussicht genommen, ist unser ganzes geistiges
Leben in eine fremde, feindliche Mhn geschleudert, wo es kläglich unter¬
gehen muß.

Daß das Concordat, und besonders das Aufgeben des seit Jahrhunderten
bestandenen ?Iaeewm reZium, sich mit den Principien einer conservativen Re¬
gierung, und noch mehr mit der Idee eines Gesammtöstreichs nicht verträgt,
ist selbst in unsern Regierungskreisen bereits zur Anerkennung gelangt, und
diese Maßregel ist in ihrem Ursprung und in ihren Folgen so verhängnißvoll,
daß mit ihr weder von einer geregelten Verwaltung noch von der Organisa¬
tion eines wirklichen Gesammtstaates die Rede sein kann.

Als Resum6 unserer Betrachtungen können wir Folgendes feststellen. Die


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[0261] war volle Religionsfreiheit für alle Bekenntnisse ausgesprochen, und obwol diese Verfassung nie ins Leben trat, so glaubte doch niemand.- daß von dieser Seite ein bedeutender Rückschritt zu fürchten wäre. Man denke sich nun die Ueberraschung, ja den Schrecken, der die Akatholiken Ungarns befallen mußte, als das Concordat mit seiner schweren Wucht! wie ein riesenhafter Meteor¬ stein aus heiterem Himmel auf ihre Häupter niederfiel. Wir glauben, daß das Concordat selbst in Oestreich mit seiner überwiegend katholischen Bevöl¬ kerung sich nur weniger Verehrer erfreut; aber für Ungarn ist diese Maßregel ein vielschneidiger, widerhakiger Pfeil, der dem Herzen des Volkes unheilbare Wunden schlägt. Und schon machen sich die Folgen dieses in unserem Jahr¬ hundert beispiellosen Sieges der ultramontanen Partei in allen Schichten des Staats- und gesellschaftlichen Lebens schmerzlich fühlbar. Spitäler, Gefäng¬ nisse, Waisenhäuser und alle andern der leidenden oder fehlenden Menschheit gewidmete Anstalten sind theils der unbeschränkten Verwaltung, theils der Ueberwachung der katholischen Geistlichkeit übergeben; gemischte Ehen zwischen Katholiken und Nichtkatholiken werden nicht nur nicht zugelassen, sondern die bereits bestehenden als Concubinate betrachtet; die durch ihr Machtwort ent¬ stehenden Normetage werden Gemeinden aufgedrungen, in welchen die Katho¬ liken einen kaum merkbaren Bruchtheil bilden; und das Schulwesen, diese Pflanzung, von der die Zukunft ihre schönsten Früchte erwartet, und die der Mensch so gern mit seiner herzinnigsten Fürsorge, nach seiner eigensten Ueber¬ zeugung hegt und pflegt, ist ihr in einer Weise in die Hand gegeben, die alles fürchten läßt. Wir haben in Ungarn bis jetzt manche Mängel im Er- ziehungswesen zu beklagen gehabt; aber durch die unbeschränkte konfessionelle Freiheit und die daraus folgende geistige Concurrenz ist manches Gute und Schöne gefördert worden, und stand Besseres und Schöneres von der Zu¬ kunft zu erwarten. Zudem fand jeder eine wohlthuende Beruhigung in dem Bewußtsein, daß der freie Wille, der schon manches Fehlerhafte ausgeglichen, das Unvollkommene seiner Vervollkommnung näher bringen wird. Mit dem Concordat ist uns diese schöne Aussicht genommen, ist unser ganzes geistiges Leben in eine fremde, feindliche Mhn geschleudert, wo es kläglich unter¬ gehen muß. Daß das Concordat, und besonders das Aufgeben des seit Jahrhunderten bestandenen ?Iaeewm reZium, sich mit den Principien einer conservativen Re¬ gierung, und noch mehr mit der Idee eines Gesammtöstreichs nicht verträgt, ist selbst in unsern Regierungskreisen bereits zur Anerkennung gelangt, und diese Maßregel ist in ihrem Ursprung und in ihren Folgen so verhängnißvoll, daß mit ihr weder von einer geregelten Verwaltung noch von der Organisa¬ tion eines wirklichen Gesammtstaates die Rede sein kann. Als Resum6 unserer Betrachtungen können wir Folgendes feststellen. Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/261>, abgerufen am 30.06.2024.