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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Prunk und ihren bureaukratischen und feudalen Mißständen zurückgewünscht
hätten. In diesem Falle wäre auch der militärische Aufwand und die kriegerische
Kraftentwicklung Oestreichs während der letzten Zeit als gerechtfertigt erschie¬
nen und mit einem solchen Staate, in dem deutsches Wesen, deutsche Wissen¬
schaft und deutsche Bildung die Hauptfactoren sind, hätte Oestreich sich mit
vollem Recht als die erste deutsche Großmacht geriren können, und das deutsche
Volk hätte ihm aus Dankbarkeit für solche Kräftigung und Weiterausbildung
seines Volksthums gern diese Stellung eingeräumt.

Andere meinten hingegen: Oestreich, welches sein Entstehen und sein
Wachsthum einer conservativen und ausharrenden Politik verdankt, und welches
soeben der revolutionären Hydra auf den Kopf getreten, kann unmöglich selbst
den schwankenden Boden der Revolution betreten wollen. Im Gegentheil:
Oestreich kann nur aus dem Boden des altbewährten historischen Rechts sich
gedeihlich entwickeln, und es muß alles als nichtig und unzulässig betrachten,
was die letzten zwei Jahre in den verschiedenen Theilen der Monarchie hervor¬
gebracht, weil es eben mit dem historischen Recht der Monarchie sowol als
der einzelnen Nationalitäten im Widerspruch steht. Demnach müssen die König¬
reiche ihre prunkhaften Krönungsfeste. Ungarn seine Scheinautonomie, seine
Grcnzzölle und seinen bevorzugten Adel, die. übrigen Provinzen ihre ceremo-
niellen Landtage u. s. w. zurückerhalten. Mit einem Wort: es muß Kehr¬
aus gemacht werden mit allem, was die Revolution erzeugt; denn die Mon¬
archie schöpft ihre Berechtigung aus der Geschichte und kann nur den
Fortschritt zulassen, der sich auf historisch normalem Wege in den vom histo¬
rischen Recht gesetzten Schranken entwickelt; und Oestreich zieht es vor, seine
Völker mit bedächtigem Schritt, im Geiste des streng monarchischen Princips
dem materiellen Wohlstand und der moralischen Veredelung entgegenzuführen,
als sie gewaltsam und vielleicht gegen ihren eignen Willen in neue, gefahr¬
volle Bahnen zu lenken.

Auch in diesem Fall hätte sich Oestreich des Beifalls sehr vieler Poli¬
tiker, und selbst derjenigen erfreuen müssen, die dem historischen Recht
gar keine Stelle in dem Entwicklungsproceß der Völker einräumen wollen;
denn das Princip des historischen Rechts ist ein altes, von manchem in der
Civilisation und bürgerlichen Freiheit weit vorgeschrittenen Volk hochgeachtetes,
und einer monarchischen Regierung, die sich streng an dieses Princip halten
will, kann selbst der eifrigste Demokrat seine Achtung nicht versagen. -- Nur
hätte sich Oestreich dann entschließen müssen, seinen Schwerpunkt außerhalb
Deutschlands zu setzen und sich blos auf jene Nationalitäten zu stützen, die
ihm den Vollgenuß ihrer freien Entwicklung und die Sicherheit ihrer histo¬
rischen Sonderstellungen verdanken/

Wir wissen, daß Oestreich bis jetzt keinen dieser beiden Wege eingeschlagen


Prunk und ihren bureaukratischen und feudalen Mißständen zurückgewünscht
hätten. In diesem Falle wäre auch der militärische Aufwand und die kriegerische
Kraftentwicklung Oestreichs während der letzten Zeit als gerechtfertigt erschie¬
nen und mit einem solchen Staate, in dem deutsches Wesen, deutsche Wissen¬
schaft und deutsche Bildung die Hauptfactoren sind, hätte Oestreich sich mit
vollem Recht als die erste deutsche Großmacht geriren können, und das deutsche
Volk hätte ihm aus Dankbarkeit für solche Kräftigung und Weiterausbildung
seines Volksthums gern diese Stellung eingeräumt.

Andere meinten hingegen: Oestreich, welches sein Entstehen und sein
Wachsthum einer conservativen und ausharrenden Politik verdankt, und welches
soeben der revolutionären Hydra auf den Kopf getreten, kann unmöglich selbst
den schwankenden Boden der Revolution betreten wollen. Im Gegentheil:
Oestreich kann nur aus dem Boden des altbewährten historischen Rechts sich
gedeihlich entwickeln, und es muß alles als nichtig und unzulässig betrachten,
was die letzten zwei Jahre in den verschiedenen Theilen der Monarchie hervor¬
gebracht, weil es eben mit dem historischen Recht der Monarchie sowol als
der einzelnen Nationalitäten im Widerspruch steht. Demnach müssen die König¬
reiche ihre prunkhaften Krönungsfeste. Ungarn seine Scheinautonomie, seine
Grcnzzölle und seinen bevorzugten Adel, die. übrigen Provinzen ihre ceremo-
niellen Landtage u. s. w. zurückerhalten. Mit einem Wort: es muß Kehr¬
aus gemacht werden mit allem, was die Revolution erzeugt; denn die Mon¬
archie schöpft ihre Berechtigung aus der Geschichte und kann nur den
Fortschritt zulassen, der sich auf historisch normalem Wege in den vom histo¬
rischen Recht gesetzten Schranken entwickelt; und Oestreich zieht es vor, seine
Völker mit bedächtigem Schritt, im Geiste des streng monarchischen Princips
dem materiellen Wohlstand und der moralischen Veredelung entgegenzuführen,
als sie gewaltsam und vielleicht gegen ihren eignen Willen in neue, gefahr¬
volle Bahnen zu lenken.

Auch in diesem Fall hätte sich Oestreich des Beifalls sehr vieler Poli¬
tiker, und selbst derjenigen erfreuen müssen, die dem historischen Recht
gar keine Stelle in dem Entwicklungsproceß der Völker einräumen wollen;
denn das Princip des historischen Rechts ist ein altes, von manchem in der
Civilisation und bürgerlichen Freiheit weit vorgeschrittenen Volk hochgeachtetes,
und einer monarchischen Regierung, die sich streng an dieses Princip halten
will, kann selbst der eifrigste Demokrat seine Achtung nicht versagen. — Nur
hätte sich Oestreich dann entschließen müssen, seinen Schwerpunkt außerhalb
Deutschlands zu setzen und sich blos auf jene Nationalitäten zu stützen, die
ihm den Vollgenuß ihrer freien Entwicklung und die Sicherheit ihrer histo¬
rischen Sonderstellungen verdanken/

Wir wissen, daß Oestreich bis jetzt keinen dieser beiden Wege eingeschlagen


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[0253] Prunk und ihren bureaukratischen und feudalen Mißständen zurückgewünscht hätten. In diesem Falle wäre auch der militärische Aufwand und die kriegerische Kraftentwicklung Oestreichs während der letzten Zeit als gerechtfertigt erschie¬ nen und mit einem solchen Staate, in dem deutsches Wesen, deutsche Wissen¬ schaft und deutsche Bildung die Hauptfactoren sind, hätte Oestreich sich mit vollem Recht als die erste deutsche Großmacht geriren können, und das deutsche Volk hätte ihm aus Dankbarkeit für solche Kräftigung und Weiterausbildung seines Volksthums gern diese Stellung eingeräumt. Andere meinten hingegen: Oestreich, welches sein Entstehen und sein Wachsthum einer conservativen und ausharrenden Politik verdankt, und welches soeben der revolutionären Hydra auf den Kopf getreten, kann unmöglich selbst den schwankenden Boden der Revolution betreten wollen. Im Gegentheil: Oestreich kann nur aus dem Boden des altbewährten historischen Rechts sich gedeihlich entwickeln, und es muß alles als nichtig und unzulässig betrachten, was die letzten zwei Jahre in den verschiedenen Theilen der Monarchie hervor¬ gebracht, weil es eben mit dem historischen Recht der Monarchie sowol als der einzelnen Nationalitäten im Widerspruch steht. Demnach müssen die König¬ reiche ihre prunkhaften Krönungsfeste. Ungarn seine Scheinautonomie, seine Grcnzzölle und seinen bevorzugten Adel, die. übrigen Provinzen ihre ceremo- niellen Landtage u. s. w. zurückerhalten. Mit einem Wort: es muß Kehr¬ aus gemacht werden mit allem, was die Revolution erzeugt; denn die Mon¬ archie schöpft ihre Berechtigung aus der Geschichte und kann nur den Fortschritt zulassen, der sich auf historisch normalem Wege in den vom histo¬ rischen Recht gesetzten Schranken entwickelt; und Oestreich zieht es vor, seine Völker mit bedächtigem Schritt, im Geiste des streng monarchischen Princips dem materiellen Wohlstand und der moralischen Veredelung entgegenzuführen, als sie gewaltsam und vielleicht gegen ihren eignen Willen in neue, gefahr¬ volle Bahnen zu lenken. Auch in diesem Fall hätte sich Oestreich des Beifalls sehr vieler Poli¬ tiker, und selbst derjenigen erfreuen müssen, die dem historischen Recht gar keine Stelle in dem Entwicklungsproceß der Völker einräumen wollen; denn das Princip des historischen Rechts ist ein altes, von manchem in der Civilisation und bürgerlichen Freiheit weit vorgeschrittenen Volk hochgeachtetes, und einer monarchischen Regierung, die sich streng an dieses Princip halten will, kann selbst der eifrigste Demokrat seine Achtung nicht versagen. — Nur hätte sich Oestreich dann entschließen müssen, seinen Schwerpunkt außerhalb Deutschlands zu setzen und sich blos auf jene Nationalitäten zu stützen, die ihm den Vollgenuß ihrer freien Entwicklung und die Sicherheit ihrer histo¬ rischen Sonderstellungen verdanken/ Wir wissen, daß Oestreich bis jetzt keinen dieser beiden Wege eingeschlagen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/253>, abgerufen am 22.07.2024.