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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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schattenlos erscheinen. In dem milden Griechenland, in seinen anmuthigen
Thälern, auf seinen leuchtenden, weit in ein belebtes Meer Hinansschauenden
Vorgebirgen, welche die Strahlen des segenspendenden Helios gern und dank¬
bar aufnahmen, da waren die dortigen Tempel an ihrem Platz. Von glän¬
zendem Marmor, in dem vollsten Ebenmaß aller Theile, luftig und leicht wie
hingezaubert, krönten sie gleichsam die glückliche Landschaft und freudige Men¬
schen zogen bekränzt zu ihren Festen. Aber unter dem wolkenlosen Himmel
Aegyptens und der sengenden, blendenden Glut jener Sonne, wo die Natur
selbst den Nil entlang in der drei bis vierhundert Fuß hohen libyschen Mauer
einen Maßstab gegeben, hier stellten sich dem Baukünstler ganz andere Forde¬
rungen. In dieser Umgebung, Glut und Beleuchtung konnte nur das massen¬
haft Großartige, das Schattenreiche, als genügend erscheinen und eines Effects
sähig sein.

Machten also die Griechen an ihre Architektur, wie an alles, was sie
dachten und leisteten, die Anforderung der Schönheit, erlaubte hier die voll¬
kommene Harmonie der Theile keine Ausschreitungen, welche die gegebene, ein¬
fache Schönheitslinie störten, so war dagegen das Kolossale und ein gigan¬
tisch geordneter Wechsel der nothwendige Charakter der ägyptischen Baukunst.
Dort waltete die Freude, hier die Ehrfurcht. Auch in den ägyptischen
Monumenten herrscht und siegt in gar wunderbarer Weise das Gesetz der Har¬
monie und Schönheit, aber nach viel weitern Maßen, so daß manches, wiez. B.
die Verschiedenheit der die Decke tragenden Säulencapitäle, aufgenommen
werden konnte, was in einem griechischen Werke störend wäre, hier sich aber
der unermeßlichen Größe des Ganzen gefälUg unterordnet.

Die gewaltige Arbeit, vor welcher der ägyptische Architekt nicht zurück¬
schrecken durste, war eine dreifache: das Losarbeiten und Herbeischaffen des
kolossalen Materials, das Ueberwältigen desselben, um das geforderte Werk
herzustellen, wobei wir keine Einsicht mehr in die mechanischen Mittel haben,
die sich damals zu Gebote stellten, um die ungeheure Last dieser Steinmassen
aufzurichten und emporzuheben, da schon die Aufrichtung eines ägyptischen
Obelisken in Europa die complicirteste Mechanik erfordert. Endlich blieb,
wenn schon das ganze Werk sertig war, die Sculpturarbeit übrig, die im
Innern und Aeußern dieser unermeßlichen Höhen und Weiten fast keinen leeren
Raum duldete. Alles war so eingerichtet, um Jahrtausende zu überdauern
und wie ein Wunder vor den wechselnden Geschlechtern der Erde dazustehen.
Manche dieser Bauten sind noch so wohlerhalten, als wären sie gestern erst
entstanden. Das Material, aus welchem sie bestehen, und welches aus den
Bergen zu beiden Seiten des Nil gehauen wurde, ist theils ein schöner, dauer¬
hafter Sandstein, theils ein vorzüglicher, rosenrother Granit (Syenit), der sich
zu beiden Seiten der Nilkataratte bei Syene (Assuan) findet. Aus diesem letztern,


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schattenlos erscheinen. In dem milden Griechenland, in seinen anmuthigen
Thälern, auf seinen leuchtenden, weit in ein belebtes Meer Hinansschauenden
Vorgebirgen, welche die Strahlen des segenspendenden Helios gern und dank¬
bar aufnahmen, da waren die dortigen Tempel an ihrem Platz. Von glän¬
zendem Marmor, in dem vollsten Ebenmaß aller Theile, luftig und leicht wie
hingezaubert, krönten sie gleichsam die glückliche Landschaft und freudige Men¬
schen zogen bekränzt zu ihren Festen. Aber unter dem wolkenlosen Himmel
Aegyptens und der sengenden, blendenden Glut jener Sonne, wo die Natur
selbst den Nil entlang in der drei bis vierhundert Fuß hohen libyschen Mauer
einen Maßstab gegeben, hier stellten sich dem Baukünstler ganz andere Forde¬
rungen. In dieser Umgebung, Glut und Beleuchtung konnte nur das massen¬
haft Großartige, das Schattenreiche, als genügend erscheinen und eines Effects
sähig sein.

Machten also die Griechen an ihre Architektur, wie an alles, was sie
dachten und leisteten, die Anforderung der Schönheit, erlaubte hier die voll¬
kommene Harmonie der Theile keine Ausschreitungen, welche die gegebene, ein¬
fache Schönheitslinie störten, so war dagegen das Kolossale und ein gigan¬
tisch geordneter Wechsel der nothwendige Charakter der ägyptischen Baukunst.
Dort waltete die Freude, hier die Ehrfurcht. Auch in den ägyptischen
Monumenten herrscht und siegt in gar wunderbarer Weise das Gesetz der Har¬
monie und Schönheit, aber nach viel weitern Maßen, so daß manches, wiez. B.
die Verschiedenheit der die Decke tragenden Säulencapitäle, aufgenommen
werden konnte, was in einem griechischen Werke störend wäre, hier sich aber
der unermeßlichen Größe des Ganzen gefälUg unterordnet.

Die gewaltige Arbeit, vor welcher der ägyptische Architekt nicht zurück¬
schrecken durste, war eine dreifache: das Losarbeiten und Herbeischaffen des
kolossalen Materials, das Ueberwältigen desselben, um das geforderte Werk
herzustellen, wobei wir keine Einsicht mehr in die mechanischen Mittel haben,
die sich damals zu Gebote stellten, um die ungeheure Last dieser Steinmassen
aufzurichten und emporzuheben, da schon die Aufrichtung eines ägyptischen
Obelisken in Europa die complicirteste Mechanik erfordert. Endlich blieb,
wenn schon das ganze Werk sertig war, die Sculpturarbeit übrig, die im
Innern und Aeußern dieser unermeßlichen Höhen und Weiten fast keinen leeren
Raum duldete. Alles war so eingerichtet, um Jahrtausende zu überdauern
und wie ein Wunder vor den wechselnden Geschlechtern der Erde dazustehen.
Manche dieser Bauten sind noch so wohlerhalten, als wären sie gestern erst
entstanden. Das Material, aus welchem sie bestehen, und welches aus den
Bergen zu beiden Seiten des Nil gehauen wurde, ist theils ein schöner, dauer¬
hafter Sandstein, theils ein vorzüglicher, rosenrother Granit (Syenit), der sich
zu beiden Seiten der Nilkataratte bei Syene (Assuan) findet. Aus diesem letztern,


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[0227] schattenlos erscheinen. In dem milden Griechenland, in seinen anmuthigen Thälern, auf seinen leuchtenden, weit in ein belebtes Meer Hinansschauenden Vorgebirgen, welche die Strahlen des segenspendenden Helios gern und dank¬ bar aufnahmen, da waren die dortigen Tempel an ihrem Platz. Von glän¬ zendem Marmor, in dem vollsten Ebenmaß aller Theile, luftig und leicht wie hingezaubert, krönten sie gleichsam die glückliche Landschaft und freudige Men¬ schen zogen bekränzt zu ihren Festen. Aber unter dem wolkenlosen Himmel Aegyptens und der sengenden, blendenden Glut jener Sonne, wo die Natur selbst den Nil entlang in der drei bis vierhundert Fuß hohen libyschen Mauer einen Maßstab gegeben, hier stellten sich dem Baukünstler ganz andere Forde¬ rungen. In dieser Umgebung, Glut und Beleuchtung konnte nur das massen¬ haft Großartige, das Schattenreiche, als genügend erscheinen und eines Effects sähig sein. Machten also die Griechen an ihre Architektur, wie an alles, was sie dachten und leisteten, die Anforderung der Schönheit, erlaubte hier die voll¬ kommene Harmonie der Theile keine Ausschreitungen, welche die gegebene, ein¬ fache Schönheitslinie störten, so war dagegen das Kolossale und ein gigan¬ tisch geordneter Wechsel der nothwendige Charakter der ägyptischen Baukunst. Dort waltete die Freude, hier die Ehrfurcht. Auch in den ägyptischen Monumenten herrscht und siegt in gar wunderbarer Weise das Gesetz der Har¬ monie und Schönheit, aber nach viel weitern Maßen, so daß manches, wiez. B. die Verschiedenheit der die Decke tragenden Säulencapitäle, aufgenommen werden konnte, was in einem griechischen Werke störend wäre, hier sich aber der unermeßlichen Größe des Ganzen gefälUg unterordnet. Die gewaltige Arbeit, vor welcher der ägyptische Architekt nicht zurück¬ schrecken durste, war eine dreifache: das Losarbeiten und Herbeischaffen des kolossalen Materials, das Ueberwältigen desselben, um das geforderte Werk herzustellen, wobei wir keine Einsicht mehr in die mechanischen Mittel haben, die sich damals zu Gebote stellten, um die ungeheure Last dieser Steinmassen aufzurichten und emporzuheben, da schon die Aufrichtung eines ägyptischen Obelisken in Europa die complicirteste Mechanik erfordert. Endlich blieb, wenn schon das ganze Werk sertig war, die Sculpturarbeit übrig, die im Innern und Aeußern dieser unermeßlichen Höhen und Weiten fast keinen leeren Raum duldete. Alles war so eingerichtet, um Jahrtausende zu überdauern und wie ein Wunder vor den wechselnden Geschlechtern der Erde dazustehen. Manche dieser Bauten sind noch so wohlerhalten, als wären sie gestern erst entstanden. Das Material, aus welchem sie bestehen, und welches aus den Bergen zu beiden Seiten des Nil gehauen wurde, ist theils ein schöner, dauer¬ hafter Sandstein, theils ein vorzüglicher, rosenrother Granit (Syenit), der sich zu beiden Seiten der Nilkataratte bei Syene (Assuan) findet. Aus diesem letztern, 28*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/227>, abgerufen am 22.07.2024.