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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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entsprach dem wichtigsten Bedürfnisse. So stellte sich griechischer Architektur
dem Wesen nach die Aufgabe, die Last der Decke emporzuhalten. Dies lei¬
stete die Säule. In der Säule und Säulenordnung sieht man also mit
Recht den Kern und Charakter dieser Kunst. Wurde auch der innere Raum
zu weiteren Schutze noch umschlossen -- die Mauer blieb immer unwesent¬
lich, sie verdeckte und verschlang nicht, wie meist in unserer neuern Baukunst,
die Säulenreihe, diese war es, welche, frei rings um die Tempel laufend,
die Decke trug und dem ganzen Bau Charakter und Form gab. Ebenso wenig
hebt der Umstand, daß mitunter Tempel ohne Dach gebaut wurden, die all¬
gemeine Geltung des Gesagten auf.

Anfangs empfand die Architektur schwer das Drückende der Last. Dieser
schob man die stämmige, dorische Säule unter, welche dick und kurz, einem
einfachen, starken Baumstamm ähnlich, die Schwere dessen, was sie zu tra¬
gen hatte, dem Beschauer handgreiflich vor Augen stellte/ Indeß das Materiell-
Schwerfällige mußte dem geistigen Wesen des Griechen bald widerstreben, der
alles zu erklären verstand und, liebenswürdig-leichten Sinnes wie er war, den
Drang haben mußte, das Lästig-Plumpe zu überwinden und, wenigstens dem
Schein nach,'leicht zu machen. Auch hatte Erfahrung ihn belehrt; übertrieb
man anfangs die Mittel, um den Zweck so sicherer zu erreichen, nahm man
zu Decke und Giebel dickes Material, machte man die Stütze recht umfang¬
reich, um alles fest und dauerhaft sein zu lassen, so lernte man allmälig,
Druck und Gegendruck genauer gegeneinander abwägen. Man hob die Last
geschickter und leichter empor und ließ sie hoher im lustigen Raume schweben.
So folgte auf die dorische die jonische Säule und aus dieser ging die schlan¬
kere korinthische hervor, bei welcher schon das Laubwerk, in das der Stamm
auslief, zu genügen schien, um das Darübcrliegende vor dem Fall zu schützen.
Die griechische Säule wurde gewissermaßen lebendig in der Form der At¬
lanten und Karyatiden, von welcher indeß nur mitunter und mit Maß
Anwendung gemacht wurde. Da wo erstere die Wucht des Gebälkes, wie
nach der Mythe Atlas das Himmelsgewölbe, gebeugt, mit den Schultern und
emporgestreckten Händen tragen, entsprechen sie der festen, dorischen Säule.
Wo aber Frauengestalten als Träger ausreichen, um den Einsturz zu hindern,
da vermag ihre Kraft nur etwa die korinthische Säule zu ersetzen.

Die griechische Architektur, nebst dem aus ihr hervorgegangenen, oder
durch ihren Einfluß umgebildeten römischen Stil, hat sich vorherrschend in
Europa eingebürgert. Die Verzierungen, welche selbst in der bürgerlichen Bau¬
kunst an der Fronte der Häuser angebracht werden, Säulen und Pilaster,
pflegten jener entnommen zu sein. Zwar herrscht neben ihr auch der ganz
anders gestaltete gothische Bau, aber doch meist zu kirchlichen Zwecken. Er
tritt so gleichsam aus dem weltlichen Gesichtskreise zurück. Man hat sich dem-


entsprach dem wichtigsten Bedürfnisse. So stellte sich griechischer Architektur
dem Wesen nach die Aufgabe, die Last der Decke emporzuhalten. Dies lei¬
stete die Säule. In der Säule und Säulenordnung sieht man also mit
Recht den Kern und Charakter dieser Kunst. Wurde auch der innere Raum
zu weiteren Schutze noch umschlossen — die Mauer blieb immer unwesent¬
lich, sie verdeckte und verschlang nicht, wie meist in unserer neuern Baukunst,
die Säulenreihe, diese war es, welche, frei rings um die Tempel laufend,
die Decke trug und dem ganzen Bau Charakter und Form gab. Ebenso wenig
hebt der Umstand, daß mitunter Tempel ohne Dach gebaut wurden, die all¬
gemeine Geltung des Gesagten auf.

Anfangs empfand die Architektur schwer das Drückende der Last. Dieser
schob man die stämmige, dorische Säule unter, welche dick und kurz, einem
einfachen, starken Baumstamm ähnlich, die Schwere dessen, was sie zu tra¬
gen hatte, dem Beschauer handgreiflich vor Augen stellte/ Indeß das Materiell-
Schwerfällige mußte dem geistigen Wesen des Griechen bald widerstreben, der
alles zu erklären verstand und, liebenswürdig-leichten Sinnes wie er war, den
Drang haben mußte, das Lästig-Plumpe zu überwinden und, wenigstens dem
Schein nach,'leicht zu machen. Auch hatte Erfahrung ihn belehrt; übertrieb
man anfangs die Mittel, um den Zweck so sicherer zu erreichen, nahm man
zu Decke und Giebel dickes Material, machte man die Stütze recht umfang¬
reich, um alles fest und dauerhaft sein zu lassen, so lernte man allmälig,
Druck und Gegendruck genauer gegeneinander abwägen. Man hob die Last
geschickter und leichter empor und ließ sie hoher im lustigen Raume schweben.
So folgte auf die dorische die jonische Säule und aus dieser ging die schlan¬
kere korinthische hervor, bei welcher schon das Laubwerk, in das der Stamm
auslief, zu genügen schien, um das Darübcrliegende vor dem Fall zu schützen.
Die griechische Säule wurde gewissermaßen lebendig in der Form der At¬
lanten und Karyatiden, von welcher indeß nur mitunter und mit Maß
Anwendung gemacht wurde. Da wo erstere die Wucht des Gebälkes, wie
nach der Mythe Atlas das Himmelsgewölbe, gebeugt, mit den Schultern und
emporgestreckten Händen tragen, entsprechen sie der festen, dorischen Säule.
Wo aber Frauengestalten als Träger ausreichen, um den Einsturz zu hindern,
da vermag ihre Kraft nur etwa die korinthische Säule zu ersetzen.

Die griechische Architektur, nebst dem aus ihr hervorgegangenen, oder
durch ihren Einfluß umgebildeten römischen Stil, hat sich vorherrschend in
Europa eingebürgert. Die Verzierungen, welche selbst in der bürgerlichen Bau¬
kunst an der Fronte der Häuser angebracht werden, Säulen und Pilaster,
pflegten jener entnommen zu sein. Zwar herrscht neben ihr auch der ganz
anders gestaltete gothische Bau, aber doch meist zu kirchlichen Zwecken. Er
tritt so gleichsam aus dem weltlichen Gesichtskreise zurück. Man hat sich dem-


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[0222] entsprach dem wichtigsten Bedürfnisse. So stellte sich griechischer Architektur dem Wesen nach die Aufgabe, die Last der Decke emporzuhalten. Dies lei¬ stete die Säule. In der Säule und Säulenordnung sieht man also mit Recht den Kern und Charakter dieser Kunst. Wurde auch der innere Raum zu weiteren Schutze noch umschlossen — die Mauer blieb immer unwesent¬ lich, sie verdeckte und verschlang nicht, wie meist in unserer neuern Baukunst, die Säulenreihe, diese war es, welche, frei rings um die Tempel laufend, die Decke trug und dem ganzen Bau Charakter und Form gab. Ebenso wenig hebt der Umstand, daß mitunter Tempel ohne Dach gebaut wurden, die all¬ gemeine Geltung des Gesagten auf. Anfangs empfand die Architektur schwer das Drückende der Last. Dieser schob man die stämmige, dorische Säule unter, welche dick und kurz, einem einfachen, starken Baumstamm ähnlich, die Schwere dessen, was sie zu tra¬ gen hatte, dem Beschauer handgreiflich vor Augen stellte/ Indeß das Materiell- Schwerfällige mußte dem geistigen Wesen des Griechen bald widerstreben, der alles zu erklären verstand und, liebenswürdig-leichten Sinnes wie er war, den Drang haben mußte, das Lästig-Plumpe zu überwinden und, wenigstens dem Schein nach,'leicht zu machen. Auch hatte Erfahrung ihn belehrt; übertrieb man anfangs die Mittel, um den Zweck so sicherer zu erreichen, nahm man zu Decke und Giebel dickes Material, machte man die Stütze recht umfang¬ reich, um alles fest und dauerhaft sein zu lassen, so lernte man allmälig, Druck und Gegendruck genauer gegeneinander abwägen. Man hob die Last geschickter und leichter empor und ließ sie hoher im lustigen Raume schweben. So folgte auf die dorische die jonische Säule und aus dieser ging die schlan¬ kere korinthische hervor, bei welcher schon das Laubwerk, in das der Stamm auslief, zu genügen schien, um das Darübcrliegende vor dem Fall zu schützen. Die griechische Säule wurde gewissermaßen lebendig in der Form der At¬ lanten und Karyatiden, von welcher indeß nur mitunter und mit Maß Anwendung gemacht wurde. Da wo erstere die Wucht des Gebälkes, wie nach der Mythe Atlas das Himmelsgewölbe, gebeugt, mit den Schultern und emporgestreckten Händen tragen, entsprechen sie der festen, dorischen Säule. Wo aber Frauengestalten als Träger ausreichen, um den Einsturz zu hindern, da vermag ihre Kraft nur etwa die korinthische Säule zu ersetzen. Die griechische Architektur, nebst dem aus ihr hervorgegangenen, oder durch ihren Einfluß umgebildeten römischen Stil, hat sich vorherrschend in Europa eingebürgert. Die Verzierungen, welche selbst in der bürgerlichen Bau¬ kunst an der Fronte der Häuser angebracht werden, Säulen und Pilaster, pflegten jener entnommen zu sein. Zwar herrscht neben ihr auch der ganz anders gestaltete gothische Bau, aber doch meist zu kirchlichen Zwecken. Er tritt so gleichsam aus dem weltlichen Gesichtskreise zurück. Man hat sich dem-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/222>, abgerufen am 04.11.2024.