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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Annahme aller einzelnen Artikel, wie sie der Ausschuß modificirt, wurde fort¬
gesetzt und schließlich der ganze Entwurf in dieser Form mit der ungeheuern
Mehrheit von 123 gegen blos 6 Stimmen zum Beschluß erhoben.

Konnte sich nun das Ministerium seine abermalige Niederlage in einer.
so überaus wichtigen und praktischen Frage in der zweiten Kammer nicht ver¬
hehlen, so blieb jetzt alle Hoffnung auf die Reichsrathe gestellt. Weniger,
weil man sie in so außerordentlicher Uebereinstimmung mit dem Ministerium
glaubte, als deshalb, weil eine wirkliche selbst unvollständige Gerichtsorga-
nisation verschiedene aristokratische Gewohnheiten und Machteinflüsse un¬
sanft berühren mußte. Einzelne Stimmen erhoben sich in der "obern Kam¬
mer" allerdings gegen die Beschlüsse und Grundsätze des Hauses der Ge¬
meinen (17. Juni). Aber sie waren zu schwach, um die Anerkennung der
wohlmodificirten jenseitigen Entschließungen zu verhindern und so erfolgte auch
h.ier die Annahme des Gesetzentwurfs, wie er aus jenen Berathungen hervor¬
gegangen war, mit so unwesentlichen Modificationen, daß bald nachher ein
parlamentarischer Gesammtbeschluß ohne alle weitere Debatte zu Stande kam.
Da nun unmittelbar darauf auch die königliche Sanction erfolgte, so erschienen
die lebhaften Zweifel, welche sich dagegen erhoben hatten, ob wirklich der vom
Ministcrtisch stets vorgeschobne königliche Wille die lange Hemmung dieser
Erledigung bewirkt habe, in der That mehr als gerechtfertigt. Factisch waren
damit wenigstens die ministeriellen Versicherungen vollkommen dementirt.

Wirklich schien auch die Uebereinstimmung beider Kammern bei der Frage
der München-salzburger Eisenbahn und der Gerichtsorganisation ihren ab¬
kühlenden Einfluß aus den Widerstand des Ministertisches gegen die parla¬
mentarischen Wünsche und Ueberzeugungen geäußert zu haben. Die Schlu߬
wochen der Session, welche die specielle Vorberathung der eingebrachten und
einzubringenden Gesetzbücher um besondere von den Kammern gewählte Gcsetz-
gebungsausschüsse übertrug, zeigten eine ruhigere Stimmung, obgleich in diese
Ausschüsse grade die unliebsamsten Vertreter strengconstitutivneller Grundsätze
(u. a. die Herrn v. Lerchenfeld, Dr. Weiß 0te.,) berufen worden waren. Man
konnte selbst an eine ziemlich vollständige Aussöhnung glauben, als der Land¬
tagsabschied (3. Juli), abgesehn vom oben erwähnten Vorbehalt beim Mili-
lärbudget, alle legislatorische Gesammtbcschlüsse sanctionirte. Nur die "gut-
unterrichtetcn" bairischen Publicisten grollten in der nichtbairischcn Presse mit
gelegentlichen Bemerkungen hinter dem Landtage her.

Im Anfang des Novembers 1856 wurden nun die Gesetzgebungs¬
ausschüsse berufen, konnten jedoch ihre Arbeiten erst am 1. Dec. beginnen.
Man kam von neuem mißgestimmt zusammen. Denn indem die Vorbereitungen
zur Einführung der Gerichtsorganisation getroffen wurden, zeigten die Aus¬
führungsverordnungen der Regierung, daß die beabsichtigte Minderung der


Annahme aller einzelnen Artikel, wie sie der Ausschuß modificirt, wurde fort¬
gesetzt und schließlich der ganze Entwurf in dieser Form mit der ungeheuern
Mehrheit von 123 gegen blos 6 Stimmen zum Beschluß erhoben.

Konnte sich nun das Ministerium seine abermalige Niederlage in einer.
so überaus wichtigen und praktischen Frage in der zweiten Kammer nicht ver¬
hehlen, so blieb jetzt alle Hoffnung auf die Reichsrathe gestellt. Weniger,
weil man sie in so außerordentlicher Uebereinstimmung mit dem Ministerium
glaubte, als deshalb, weil eine wirkliche selbst unvollständige Gerichtsorga-
nisation verschiedene aristokratische Gewohnheiten und Machteinflüsse un¬
sanft berühren mußte. Einzelne Stimmen erhoben sich in der „obern Kam¬
mer" allerdings gegen die Beschlüsse und Grundsätze des Hauses der Ge¬
meinen (17. Juni). Aber sie waren zu schwach, um die Anerkennung der
wohlmodificirten jenseitigen Entschließungen zu verhindern und so erfolgte auch
h.ier die Annahme des Gesetzentwurfs, wie er aus jenen Berathungen hervor¬
gegangen war, mit so unwesentlichen Modificationen, daß bald nachher ein
parlamentarischer Gesammtbeschluß ohne alle weitere Debatte zu Stande kam.
Da nun unmittelbar darauf auch die königliche Sanction erfolgte, so erschienen
die lebhaften Zweifel, welche sich dagegen erhoben hatten, ob wirklich der vom
Ministcrtisch stets vorgeschobne königliche Wille die lange Hemmung dieser
Erledigung bewirkt habe, in der That mehr als gerechtfertigt. Factisch waren
damit wenigstens die ministeriellen Versicherungen vollkommen dementirt.

Wirklich schien auch die Uebereinstimmung beider Kammern bei der Frage
der München-salzburger Eisenbahn und der Gerichtsorganisation ihren ab¬
kühlenden Einfluß aus den Widerstand des Ministertisches gegen die parla¬
mentarischen Wünsche und Ueberzeugungen geäußert zu haben. Die Schlu߬
wochen der Session, welche die specielle Vorberathung der eingebrachten und
einzubringenden Gesetzbücher um besondere von den Kammern gewählte Gcsetz-
gebungsausschüsse übertrug, zeigten eine ruhigere Stimmung, obgleich in diese
Ausschüsse grade die unliebsamsten Vertreter strengconstitutivneller Grundsätze
(u. a. die Herrn v. Lerchenfeld, Dr. Weiß 0te.,) berufen worden waren. Man
konnte selbst an eine ziemlich vollständige Aussöhnung glauben, als der Land¬
tagsabschied (3. Juli), abgesehn vom oben erwähnten Vorbehalt beim Mili-
lärbudget, alle legislatorische Gesammtbcschlüsse sanctionirte. Nur die „gut-
unterrichtetcn" bairischen Publicisten grollten in der nichtbairischcn Presse mit
gelegentlichen Bemerkungen hinter dem Landtage her.

Im Anfang des Novembers 1856 wurden nun die Gesetzgebungs¬
ausschüsse berufen, konnten jedoch ihre Arbeiten erst am 1. Dec. beginnen.
Man kam von neuem mißgestimmt zusammen. Denn indem die Vorbereitungen
zur Einführung der Gerichtsorganisation getroffen wurden, zeigten die Aus¬
führungsverordnungen der Regierung, daß die beabsichtigte Minderung der


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[0192] Annahme aller einzelnen Artikel, wie sie der Ausschuß modificirt, wurde fort¬ gesetzt und schließlich der ganze Entwurf in dieser Form mit der ungeheuern Mehrheit von 123 gegen blos 6 Stimmen zum Beschluß erhoben. Konnte sich nun das Ministerium seine abermalige Niederlage in einer. so überaus wichtigen und praktischen Frage in der zweiten Kammer nicht ver¬ hehlen, so blieb jetzt alle Hoffnung auf die Reichsrathe gestellt. Weniger, weil man sie in so außerordentlicher Uebereinstimmung mit dem Ministerium glaubte, als deshalb, weil eine wirkliche selbst unvollständige Gerichtsorga- nisation verschiedene aristokratische Gewohnheiten und Machteinflüsse un¬ sanft berühren mußte. Einzelne Stimmen erhoben sich in der „obern Kam¬ mer" allerdings gegen die Beschlüsse und Grundsätze des Hauses der Ge¬ meinen (17. Juni). Aber sie waren zu schwach, um die Anerkennung der wohlmodificirten jenseitigen Entschließungen zu verhindern und so erfolgte auch h.ier die Annahme des Gesetzentwurfs, wie er aus jenen Berathungen hervor¬ gegangen war, mit so unwesentlichen Modificationen, daß bald nachher ein parlamentarischer Gesammtbeschluß ohne alle weitere Debatte zu Stande kam. Da nun unmittelbar darauf auch die königliche Sanction erfolgte, so erschienen die lebhaften Zweifel, welche sich dagegen erhoben hatten, ob wirklich der vom Ministcrtisch stets vorgeschobne königliche Wille die lange Hemmung dieser Erledigung bewirkt habe, in der That mehr als gerechtfertigt. Factisch waren damit wenigstens die ministeriellen Versicherungen vollkommen dementirt. Wirklich schien auch die Uebereinstimmung beider Kammern bei der Frage der München-salzburger Eisenbahn und der Gerichtsorganisation ihren ab¬ kühlenden Einfluß aus den Widerstand des Ministertisches gegen die parla¬ mentarischen Wünsche und Ueberzeugungen geäußert zu haben. Die Schlu߬ wochen der Session, welche die specielle Vorberathung der eingebrachten und einzubringenden Gesetzbücher um besondere von den Kammern gewählte Gcsetz- gebungsausschüsse übertrug, zeigten eine ruhigere Stimmung, obgleich in diese Ausschüsse grade die unliebsamsten Vertreter strengconstitutivneller Grundsätze (u. a. die Herrn v. Lerchenfeld, Dr. Weiß 0te.,) berufen worden waren. Man konnte selbst an eine ziemlich vollständige Aussöhnung glauben, als der Land¬ tagsabschied (3. Juli), abgesehn vom oben erwähnten Vorbehalt beim Mili- lärbudget, alle legislatorische Gesammtbcschlüsse sanctionirte. Nur die „gut- unterrichtetcn" bairischen Publicisten grollten in der nichtbairischcn Presse mit gelegentlichen Bemerkungen hinter dem Landtage her. Im Anfang des Novembers 1856 wurden nun die Gesetzgebungs¬ ausschüsse berufen, konnten jedoch ihre Arbeiten erst am 1. Dec. beginnen. Man kam von neuem mißgestimmt zusammen. Denn indem die Vorbereitungen zur Einführung der Gerichtsorganisation getroffen wurden, zeigten die Aus¬ führungsverordnungen der Regierung, daß die beabsichtigte Minderung der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/192>, abgerufen am 27.09.2024.