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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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welche griechisch-römische Cultur erhielten. In allen Theilen des römischen Reichs
stiegen Opfer und Gebete zum höchsten gütigsten Jupiter auf, dem Himmels¬
gott, dem Herrn der Wetter, dem Blitzschleudrcr, dem Rcgensender, dem
Schützer, Erhalter, Sieger, Rächer, Friedenbringcr, dem höchsten allmächtigen
Lenker göttlicher und menschlicher Dinge, dem Entscheider der Geschicke. Ueberall
richtete der Kaufmann seine Gelübde an Mercur, den Geber und Erhalter des
Gewinnes, der Feldbauer an Ceres, die höchste gütige Nährerin, der Kranke,
der an einer Heilquelle Genesung suchte, an Apoll und die Nymphen, überall
dankte der Hergestellte dem Aesculap und der Hygiea. Der Reiter empfahl sein
gutes Pferd dem Schulz der Pferdegöttin Epona, die Bewohner eines Orts,
der von bösen Ausdünstungen heimgesucht war, bauten der Göttin Mephitis
einen Altar. Jede Provinz, jede Stadt, jede Körperschaft glaubte sich unter
der Obhut eines Genius, aber auch jeder Ort und jedes Gebäude hatte nach
dem Volksglauben seinen Schutzgeist, Häuser, Straßen, Märkte, Bäder, Spei¬
cher. Theater, Archive u. s. w., und der Gläubige, der dort aus und einging,
verfehlte nicht, dem Genius seine Ehrfurcht zu beweisen.

Die Veränderungen, Trübungen und Erweiterungen, die der römisch-grie¬
chische Götterglaube erfuhr, erfolgten durch seine Berührung und Vermischung
mit fremden Quellen. Jeder Polytheismus ist seiner Natur nach zur Tole¬
ranz und Anerkennung fremder Religionsformen geneigt: entweder findet er
in den fremden Göttern seine eignen wieder, oder er trägt mindestens kein
Bedenken, sie auch als fremde zu verehren. Die Religionen der alten Cultur¬
länder in Asien und Afrika haben zum Theil bereits seit früher Zeit auf die
römische Götterverehrun.g influirt. Dieser Einfluß steigerte sich seit dem An¬
fang der christlichen Zeitrechnung ungeheuer, so daß die orientalischen Ele¬
mente in der Göttermischung der spätern Jahrhunderte immer mehr die vor¬
wiegenden wurden. Dagegen hat sich der Einfluß der Cultur in den nor¬
dischen und westlichen Ländern, die eine Cultur entweder erst von den Römern
erhielten oder doch die ihrige gegen die römische eintauschten, nicht über die
Grenzen dieser Länder hinaus erstreckt. Die dort angesiedelten Römer verehr¬
ten die Landesgötter allerdings, aber wenn auch hin und wieder ein aus
diesen Provinzen heimkehrender Kolonist. Soldat oder Handelsmann den Cul¬
tus der Gottheiten fortsetzen mochte, denen er in der Fremde guten Erfolg
oder Errettung vor Gefahr zu verdanken geglaubt hatte, so blieben solche
Fälle vereinzelt und die Götter Galliens, Germaniens, Spaniens und Bri¬
tanniens auf ihre Länder beschränkt. Zahlreiche Monumente in all diesen
Ländern zeigen, daß die römischen Provinziellen sich an dem einheimischen
Gottesdienst eifrigst betheiligten. Sie beteten aller Orten zu den Localgöttern,
erbauten ihnen Tempel und Altäre und brachten ihnen Opfer. Es sind haupt¬
sächlich die römischen Inschriften, aus denen wir die Namen dieser Götter


welche griechisch-römische Cultur erhielten. In allen Theilen des römischen Reichs
stiegen Opfer und Gebete zum höchsten gütigsten Jupiter auf, dem Himmels¬
gott, dem Herrn der Wetter, dem Blitzschleudrcr, dem Rcgensender, dem
Schützer, Erhalter, Sieger, Rächer, Friedenbringcr, dem höchsten allmächtigen
Lenker göttlicher und menschlicher Dinge, dem Entscheider der Geschicke. Ueberall
richtete der Kaufmann seine Gelübde an Mercur, den Geber und Erhalter des
Gewinnes, der Feldbauer an Ceres, die höchste gütige Nährerin, der Kranke,
der an einer Heilquelle Genesung suchte, an Apoll und die Nymphen, überall
dankte der Hergestellte dem Aesculap und der Hygiea. Der Reiter empfahl sein
gutes Pferd dem Schulz der Pferdegöttin Epona, die Bewohner eines Orts,
der von bösen Ausdünstungen heimgesucht war, bauten der Göttin Mephitis
einen Altar. Jede Provinz, jede Stadt, jede Körperschaft glaubte sich unter
der Obhut eines Genius, aber auch jeder Ort und jedes Gebäude hatte nach
dem Volksglauben seinen Schutzgeist, Häuser, Straßen, Märkte, Bäder, Spei¬
cher. Theater, Archive u. s. w., und der Gläubige, der dort aus und einging,
verfehlte nicht, dem Genius seine Ehrfurcht zu beweisen.

Die Veränderungen, Trübungen und Erweiterungen, die der römisch-grie¬
chische Götterglaube erfuhr, erfolgten durch seine Berührung und Vermischung
mit fremden Quellen. Jeder Polytheismus ist seiner Natur nach zur Tole¬
ranz und Anerkennung fremder Religionsformen geneigt: entweder findet er
in den fremden Göttern seine eignen wieder, oder er trägt mindestens kein
Bedenken, sie auch als fremde zu verehren. Die Religionen der alten Cultur¬
länder in Asien und Afrika haben zum Theil bereits seit früher Zeit auf die
römische Götterverehrun.g influirt. Dieser Einfluß steigerte sich seit dem An¬
fang der christlichen Zeitrechnung ungeheuer, so daß die orientalischen Ele¬
mente in der Göttermischung der spätern Jahrhunderte immer mehr die vor¬
wiegenden wurden. Dagegen hat sich der Einfluß der Cultur in den nor¬
dischen und westlichen Ländern, die eine Cultur entweder erst von den Römern
erhielten oder doch die ihrige gegen die römische eintauschten, nicht über die
Grenzen dieser Länder hinaus erstreckt. Die dort angesiedelten Römer verehr¬
ten die Landesgötter allerdings, aber wenn auch hin und wieder ein aus
diesen Provinzen heimkehrender Kolonist. Soldat oder Handelsmann den Cul¬
tus der Gottheiten fortsetzen mochte, denen er in der Fremde guten Erfolg
oder Errettung vor Gefahr zu verdanken geglaubt hatte, so blieben solche
Fälle vereinzelt und die Götter Galliens, Germaniens, Spaniens und Bri¬
tanniens auf ihre Länder beschränkt. Zahlreiche Monumente in all diesen
Ländern zeigen, daß die römischen Provinziellen sich an dem einheimischen
Gottesdienst eifrigst betheiligten. Sie beteten aller Orten zu den Localgöttern,
erbauten ihnen Tempel und Altäre und brachten ihnen Opfer. Es sind haupt¬
sächlich die römischen Inschriften, aus denen wir die Namen dieser Götter


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[0174] welche griechisch-römische Cultur erhielten. In allen Theilen des römischen Reichs stiegen Opfer und Gebete zum höchsten gütigsten Jupiter auf, dem Himmels¬ gott, dem Herrn der Wetter, dem Blitzschleudrcr, dem Rcgensender, dem Schützer, Erhalter, Sieger, Rächer, Friedenbringcr, dem höchsten allmächtigen Lenker göttlicher und menschlicher Dinge, dem Entscheider der Geschicke. Ueberall richtete der Kaufmann seine Gelübde an Mercur, den Geber und Erhalter des Gewinnes, der Feldbauer an Ceres, die höchste gütige Nährerin, der Kranke, der an einer Heilquelle Genesung suchte, an Apoll und die Nymphen, überall dankte der Hergestellte dem Aesculap und der Hygiea. Der Reiter empfahl sein gutes Pferd dem Schulz der Pferdegöttin Epona, die Bewohner eines Orts, der von bösen Ausdünstungen heimgesucht war, bauten der Göttin Mephitis einen Altar. Jede Provinz, jede Stadt, jede Körperschaft glaubte sich unter der Obhut eines Genius, aber auch jeder Ort und jedes Gebäude hatte nach dem Volksglauben seinen Schutzgeist, Häuser, Straßen, Märkte, Bäder, Spei¬ cher. Theater, Archive u. s. w., und der Gläubige, der dort aus und einging, verfehlte nicht, dem Genius seine Ehrfurcht zu beweisen. Die Veränderungen, Trübungen und Erweiterungen, die der römisch-grie¬ chische Götterglaube erfuhr, erfolgten durch seine Berührung und Vermischung mit fremden Quellen. Jeder Polytheismus ist seiner Natur nach zur Tole¬ ranz und Anerkennung fremder Religionsformen geneigt: entweder findet er in den fremden Göttern seine eignen wieder, oder er trägt mindestens kein Bedenken, sie auch als fremde zu verehren. Die Religionen der alten Cultur¬ länder in Asien und Afrika haben zum Theil bereits seit früher Zeit auf die römische Götterverehrun.g influirt. Dieser Einfluß steigerte sich seit dem An¬ fang der christlichen Zeitrechnung ungeheuer, so daß die orientalischen Ele¬ mente in der Göttermischung der spätern Jahrhunderte immer mehr die vor¬ wiegenden wurden. Dagegen hat sich der Einfluß der Cultur in den nor¬ dischen und westlichen Ländern, die eine Cultur entweder erst von den Römern erhielten oder doch die ihrige gegen die römische eintauschten, nicht über die Grenzen dieser Länder hinaus erstreckt. Die dort angesiedelten Römer verehr¬ ten die Landesgötter allerdings, aber wenn auch hin und wieder ein aus diesen Provinzen heimkehrender Kolonist. Soldat oder Handelsmann den Cul¬ tus der Gottheiten fortsetzen mochte, denen er in der Fremde guten Erfolg oder Errettung vor Gefahr zu verdanken geglaubt hatte, so blieben solche Fälle vereinzelt und die Götter Galliens, Germaniens, Spaniens und Bri¬ tanniens auf ihre Länder beschränkt. Zahlreiche Monumente in all diesen Ländern zeigen, daß die römischen Provinziellen sich an dem einheimischen Gottesdienst eifrigst betheiligten. Sie beteten aller Orten zu den Localgöttern, erbauten ihnen Tempel und Altäre und brachten ihnen Opfer. Es sind haupt¬ sächlich die römischen Inschriften, aus denen wir die Namen dieser Götter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/174>, abgerufen am 26.07.2024.