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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Tragendes Glaubens selbst unklar und gleichgiltig" (a. a. O. S. 730.).
Von den Auspicien war in Ciceros Zeit nur noch ein Scheinbild übrig und
die Lehre derselben selbst den Augurn unbekannt geworden. In den letzten
Zeiten der Republik blieben hohe Priesterthümer aus Mangel an Bewerbern
kürzere oder längere Zeit unbesetzt.

Dieser Verfall der Religion gab sich zu Ende der Republik auch äußerlich
in Nichtachtung und Vernachlässigung der Heiligthümer kund. Tempel, Ka¬
pellen, heiliges Land und heilige Haine lagen wüst und wurden von Privat¬
personen widerrechtlich in Beschlag genommen; schon in Pyrrhus Zeit schrieb
man eine Epidemie dem Zorn der Götter über solche Sacrilegien zu, und
stellte, um sie zu versöhnen, sorgfältig ihre Besitzrechte her, doch wiederholten
sich die Eingriffe in heiliges Eigenthum immer von neuem. Viele Tempel
standen leer, die Götterbilder waren von Rauch geschwärzt, Spinnweben über¬
zogen die Wände, auf dem Boden wuchs Gras, ja die heiligen Räume wur¬
den mit Schmuz besudelt. Im Jahre 90 v. Chr. sah eine vornehme Matrone
die Juno Sospita im Traum ihren Tempel verlassen, weil er durch die schnö¬
deste Verunreinigung entweiht war; unter dem Bilde der Göttin hatte eine
trächtige Hündin ihr Lager. Andere Tempel sänken in Ruinen, oder wurden
durch die in Rom so häusigen Brände in Schutt gelegt, ohne daß man an
ihre Wiederherstellung dachte. Dem äußerlichen Verfall des Cultus trat August,
seit er mit dem obersten Pontisicat seine Leitung und Aussicht übernommen
hatte, durch eine energische Restauration auf den umfassendsten Grundlagen
entgegen. Er sorgte zunächst für die Herstellung der Heiligthümer in gro߬
artiger Weise. Nach seiner eignen Angabe stellte, er im Jahr 28 v. Chr.
auf Senatsbeschluß nicht weniger als 80 her, wobei kein Gebäude, das wirk¬
lich einmal dem Gottesdienst bestimmt gewesen, Übergängen worden sei, einen
Theil der von ihm unternommenen Bauten vollendete erst Tiber. Andere
Restaurationen geschahen auf seine Veranstaltung von den Nachkommen der
Stifter. Er besetzte die leer gewordnen Priesterstellen, errichtete neue, ver¬
mehrte ihre Einkünfte und erhöhte ihre Würde. Als bei der bevorstehenden
Neuwahl einer Bestalln viele Eltern um die Erlaubniß nachsuchten, ihre Töch¬
ter nicht mit losen lassen zu dürfen, erklärte August mit einem Eid, er würde
eine von seinen Enkelinnen zu diesem heiligen Dienste anbieten, wenn sie das
gesetzliche Alter hätten; freilich sah er sich trotz dieses Versuchs, den religiösen
Eifer wieder zu beleben, genöthigt, Töchter von Freigelassenen zu Vestalinnen
ZU ernennen, was früher nie geschehn war. Manche in Vergessenheit gerathene
heilige Gebräuche und Götterfeste erneuerte er und sorgte dafür, daß sie in
angemessener Weise gefeiert würden.

Wie August haben auch alle folgenden Kaiser das Amt des obersten Ponti-
fex verwaltet, selbst die ersten christlichen haben die Leitung des heidnischen


Tragendes Glaubens selbst unklar und gleichgiltig" (a. a. O. S. 730.).
Von den Auspicien war in Ciceros Zeit nur noch ein Scheinbild übrig und
die Lehre derselben selbst den Augurn unbekannt geworden. In den letzten
Zeiten der Republik blieben hohe Priesterthümer aus Mangel an Bewerbern
kürzere oder längere Zeit unbesetzt.

Dieser Verfall der Religion gab sich zu Ende der Republik auch äußerlich
in Nichtachtung und Vernachlässigung der Heiligthümer kund. Tempel, Ka¬
pellen, heiliges Land und heilige Haine lagen wüst und wurden von Privat¬
personen widerrechtlich in Beschlag genommen; schon in Pyrrhus Zeit schrieb
man eine Epidemie dem Zorn der Götter über solche Sacrilegien zu, und
stellte, um sie zu versöhnen, sorgfältig ihre Besitzrechte her, doch wiederholten
sich die Eingriffe in heiliges Eigenthum immer von neuem. Viele Tempel
standen leer, die Götterbilder waren von Rauch geschwärzt, Spinnweben über¬
zogen die Wände, auf dem Boden wuchs Gras, ja die heiligen Räume wur¬
den mit Schmuz besudelt. Im Jahre 90 v. Chr. sah eine vornehme Matrone
die Juno Sospita im Traum ihren Tempel verlassen, weil er durch die schnö¬
deste Verunreinigung entweiht war; unter dem Bilde der Göttin hatte eine
trächtige Hündin ihr Lager. Andere Tempel sänken in Ruinen, oder wurden
durch die in Rom so häusigen Brände in Schutt gelegt, ohne daß man an
ihre Wiederherstellung dachte. Dem äußerlichen Verfall des Cultus trat August,
seit er mit dem obersten Pontisicat seine Leitung und Aussicht übernommen
hatte, durch eine energische Restauration auf den umfassendsten Grundlagen
entgegen. Er sorgte zunächst für die Herstellung der Heiligthümer in gro߬
artiger Weise. Nach seiner eignen Angabe stellte, er im Jahr 28 v. Chr.
auf Senatsbeschluß nicht weniger als 80 her, wobei kein Gebäude, das wirk¬
lich einmal dem Gottesdienst bestimmt gewesen, Übergängen worden sei, einen
Theil der von ihm unternommenen Bauten vollendete erst Tiber. Andere
Restaurationen geschahen auf seine Veranstaltung von den Nachkommen der
Stifter. Er besetzte die leer gewordnen Priesterstellen, errichtete neue, ver¬
mehrte ihre Einkünfte und erhöhte ihre Würde. Als bei der bevorstehenden
Neuwahl einer Bestalln viele Eltern um die Erlaubniß nachsuchten, ihre Töch¬
ter nicht mit losen lassen zu dürfen, erklärte August mit einem Eid, er würde
eine von seinen Enkelinnen zu diesem heiligen Dienste anbieten, wenn sie das
gesetzliche Alter hätten; freilich sah er sich trotz dieses Versuchs, den religiösen
Eifer wieder zu beleben, genöthigt, Töchter von Freigelassenen zu Vestalinnen
ZU ernennen, was früher nie geschehn war. Manche in Vergessenheit gerathene
heilige Gebräuche und Götterfeste erneuerte er und sorgte dafür, daß sie in
angemessener Weise gefeiert würden.

Wie August haben auch alle folgenden Kaiser das Amt des obersten Ponti-
fex verwaltet, selbst die ersten christlichen haben die Leitung des heidnischen


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[0171] Tragendes Glaubens selbst unklar und gleichgiltig" (a. a. O. S. 730.). Von den Auspicien war in Ciceros Zeit nur noch ein Scheinbild übrig und die Lehre derselben selbst den Augurn unbekannt geworden. In den letzten Zeiten der Republik blieben hohe Priesterthümer aus Mangel an Bewerbern kürzere oder längere Zeit unbesetzt. Dieser Verfall der Religion gab sich zu Ende der Republik auch äußerlich in Nichtachtung und Vernachlässigung der Heiligthümer kund. Tempel, Ka¬ pellen, heiliges Land und heilige Haine lagen wüst und wurden von Privat¬ personen widerrechtlich in Beschlag genommen; schon in Pyrrhus Zeit schrieb man eine Epidemie dem Zorn der Götter über solche Sacrilegien zu, und stellte, um sie zu versöhnen, sorgfältig ihre Besitzrechte her, doch wiederholten sich die Eingriffe in heiliges Eigenthum immer von neuem. Viele Tempel standen leer, die Götterbilder waren von Rauch geschwärzt, Spinnweben über¬ zogen die Wände, auf dem Boden wuchs Gras, ja die heiligen Räume wur¬ den mit Schmuz besudelt. Im Jahre 90 v. Chr. sah eine vornehme Matrone die Juno Sospita im Traum ihren Tempel verlassen, weil er durch die schnö¬ deste Verunreinigung entweiht war; unter dem Bilde der Göttin hatte eine trächtige Hündin ihr Lager. Andere Tempel sänken in Ruinen, oder wurden durch die in Rom so häusigen Brände in Schutt gelegt, ohne daß man an ihre Wiederherstellung dachte. Dem äußerlichen Verfall des Cultus trat August, seit er mit dem obersten Pontisicat seine Leitung und Aussicht übernommen hatte, durch eine energische Restauration auf den umfassendsten Grundlagen entgegen. Er sorgte zunächst für die Herstellung der Heiligthümer in gro߬ artiger Weise. Nach seiner eignen Angabe stellte, er im Jahr 28 v. Chr. auf Senatsbeschluß nicht weniger als 80 her, wobei kein Gebäude, das wirk¬ lich einmal dem Gottesdienst bestimmt gewesen, Übergängen worden sei, einen Theil der von ihm unternommenen Bauten vollendete erst Tiber. Andere Restaurationen geschahen auf seine Veranstaltung von den Nachkommen der Stifter. Er besetzte die leer gewordnen Priesterstellen, errichtete neue, ver¬ mehrte ihre Einkünfte und erhöhte ihre Würde. Als bei der bevorstehenden Neuwahl einer Bestalln viele Eltern um die Erlaubniß nachsuchten, ihre Töch¬ ter nicht mit losen lassen zu dürfen, erklärte August mit einem Eid, er würde eine von seinen Enkelinnen zu diesem heiligen Dienste anbieten, wenn sie das gesetzliche Alter hätten; freilich sah er sich trotz dieses Versuchs, den religiösen Eifer wieder zu beleben, genöthigt, Töchter von Freigelassenen zu Vestalinnen ZU ernennen, was früher nie geschehn war. Manche in Vergessenheit gerathene heilige Gebräuche und Götterfeste erneuerte er und sorgte dafür, daß sie in angemessener Weise gefeiert würden. Wie August haben auch alle folgenden Kaiser das Amt des obersten Ponti- fex verwaltet, selbst die ersten christlichen haben die Leitung des heidnischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/171>, abgerufen am 05.07.2024.