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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Carstens Werke, einfache Zeichnungen, zuweilen schematisch gefärbt, blen¬
den das Auge nicht. Hat man aber einmal die Aufmerksamkeit aus dieselben
gerichtet, so wird man Mühe haben, sich von denselben zu trennen. Der
Preis gebührt dem goldnen Zeitalter aus der Sammlung des Baron von
UcMll. Hier der Vater, der mit dem Kinde spielt, daneben der Greis, der
befriedigt und neidlos der genießenden Jugend zusieht, weiter nach hinten die
Liebespaare und der lustige Tanzreigen, rechts davon die selige Mutter, die in
ihren tändelnden Kindern sich wiederfindet, der naschende Knabe, der Schläfer
endlich, dem auch im Traume das Glück und die Freude zulächelt, geben ein
Bild des reinen Genusses, der ungetrübten Seligkeit zu leben und zu athmen,
wie es wahrer und ergreifender nicht geschildert werden kann. Der Bildhauer,
der mit geschickter Hand die > Graziengruppe aus dem Aquarell: Apollo und
die Musen verkörpern könnte, hätte die Unsterblichkeit sich gesichert. Von un¬
endlicher Poesie ist auch auf einem dritten Bilde: Die Ueberfahrt des Mega-
penthes der Zug, daß die beiden Kinder, die auch auf Charons Kahne Platz
gesunden, unbekümmert um ihre Umgebung, ohne Ahnung der kommenden
Schrecknisse heiter in den Strom gucken und mit den Wellen spielen. Und
so kann man Bild für Bild und auf jedem Bilde Gruppe für Gruppe be¬
trachten und wird stets Gebilden der lauteren Schönheit gegenüberstehen.
Als Kind des achtzehnten Jahrhunderts offenbart sich Carstens am meisten in
dem Traumorakel des Amphiaraos. Das Motiv besitzt keinen poetischen Reiz,
ist sür die bildende Kunst nur undeutlich zu verkörpern, interessirt aber insofern,
als es zeigt, wie sehr, jedes Gemüth von den Wirkungen der französischen
Revolution erfüllt war. Die Bilder der Freiheit und des Despotismus, die
aus den Pforten der Träume emporsteigen, find offenbare Anspielungen auf
das politische Drama in Frankreich.

Carstens Beispiel blieb zwar nicht ohne Nachfolge. Wir besitzen in Genelli
den rechten Erben seiner Phantasie und seines lauteren Schönheitssinnes,
wenn auch die poetische Natur bei dem lederen nicht so reich auftritt, und
die Anwendung antiker Formen nicht immer das Gepräge innerer Nothwendig¬
keit offenbart. Einen weiteren Raum und ausgedehnteren Umfang gewann
schon unter Carstens Zeitgenossen die im Ganzen verwandte Richtung,
welche David in Paris angebahnt hatte. An einem reizenden Bilde von
Schick: Christus im Schoße der Engel vom Kreuze träumend, bei dem man
freilich die trockne Färbung in Gedanken wegwischen muß, bemerkt man den
Einfluß von Carstens am deutlichsten. Es ist derselbe Wohllaut der Linien,
die gleiche Formenanmuth, die wir hier antreffen. Aber schon an Schlaks
großem und mit Recht vielbewundertem Bilde: Apoll unter den Hirten, deutet
das Colorit, in der Wirkung schönen Gobelins nahestehend, den Uebergang
zur französischen classischen Manier an, welche vollends bei Wächter (durch


Carstens Werke, einfache Zeichnungen, zuweilen schematisch gefärbt, blen¬
den das Auge nicht. Hat man aber einmal die Aufmerksamkeit aus dieselben
gerichtet, so wird man Mühe haben, sich von denselben zu trennen. Der
Preis gebührt dem goldnen Zeitalter aus der Sammlung des Baron von
UcMll. Hier der Vater, der mit dem Kinde spielt, daneben der Greis, der
befriedigt und neidlos der genießenden Jugend zusieht, weiter nach hinten die
Liebespaare und der lustige Tanzreigen, rechts davon die selige Mutter, die in
ihren tändelnden Kindern sich wiederfindet, der naschende Knabe, der Schläfer
endlich, dem auch im Traume das Glück und die Freude zulächelt, geben ein
Bild des reinen Genusses, der ungetrübten Seligkeit zu leben und zu athmen,
wie es wahrer und ergreifender nicht geschildert werden kann. Der Bildhauer,
der mit geschickter Hand die > Graziengruppe aus dem Aquarell: Apollo und
die Musen verkörpern könnte, hätte die Unsterblichkeit sich gesichert. Von un¬
endlicher Poesie ist auch auf einem dritten Bilde: Die Ueberfahrt des Mega-
penthes der Zug, daß die beiden Kinder, die auch auf Charons Kahne Platz
gesunden, unbekümmert um ihre Umgebung, ohne Ahnung der kommenden
Schrecknisse heiter in den Strom gucken und mit den Wellen spielen. Und
so kann man Bild für Bild und auf jedem Bilde Gruppe für Gruppe be¬
trachten und wird stets Gebilden der lauteren Schönheit gegenüberstehen.
Als Kind des achtzehnten Jahrhunderts offenbart sich Carstens am meisten in
dem Traumorakel des Amphiaraos. Das Motiv besitzt keinen poetischen Reiz,
ist sür die bildende Kunst nur undeutlich zu verkörpern, interessirt aber insofern,
als es zeigt, wie sehr, jedes Gemüth von den Wirkungen der französischen
Revolution erfüllt war. Die Bilder der Freiheit und des Despotismus, die
aus den Pforten der Träume emporsteigen, find offenbare Anspielungen auf
das politische Drama in Frankreich.

Carstens Beispiel blieb zwar nicht ohne Nachfolge. Wir besitzen in Genelli
den rechten Erben seiner Phantasie und seines lauteren Schönheitssinnes,
wenn auch die poetische Natur bei dem lederen nicht so reich auftritt, und
die Anwendung antiker Formen nicht immer das Gepräge innerer Nothwendig¬
keit offenbart. Einen weiteren Raum und ausgedehnteren Umfang gewann
schon unter Carstens Zeitgenossen die im Ganzen verwandte Richtung,
welche David in Paris angebahnt hatte. An einem reizenden Bilde von
Schick: Christus im Schoße der Engel vom Kreuze träumend, bei dem man
freilich die trockne Färbung in Gedanken wegwischen muß, bemerkt man den
Einfluß von Carstens am deutlichsten. Es ist derselbe Wohllaut der Linien,
die gleiche Formenanmuth, die wir hier antreffen. Aber schon an Schlaks
großem und mit Recht vielbewundertem Bilde: Apoll unter den Hirten, deutet
das Colorit, in der Wirkung schönen Gobelins nahestehend, den Uebergang
zur französischen classischen Manier an, welche vollends bei Wächter (durch


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[0014] Carstens Werke, einfache Zeichnungen, zuweilen schematisch gefärbt, blen¬ den das Auge nicht. Hat man aber einmal die Aufmerksamkeit aus dieselben gerichtet, so wird man Mühe haben, sich von denselben zu trennen. Der Preis gebührt dem goldnen Zeitalter aus der Sammlung des Baron von UcMll. Hier der Vater, der mit dem Kinde spielt, daneben der Greis, der befriedigt und neidlos der genießenden Jugend zusieht, weiter nach hinten die Liebespaare und der lustige Tanzreigen, rechts davon die selige Mutter, die in ihren tändelnden Kindern sich wiederfindet, der naschende Knabe, der Schläfer endlich, dem auch im Traume das Glück und die Freude zulächelt, geben ein Bild des reinen Genusses, der ungetrübten Seligkeit zu leben und zu athmen, wie es wahrer und ergreifender nicht geschildert werden kann. Der Bildhauer, der mit geschickter Hand die > Graziengruppe aus dem Aquarell: Apollo und die Musen verkörpern könnte, hätte die Unsterblichkeit sich gesichert. Von un¬ endlicher Poesie ist auch auf einem dritten Bilde: Die Ueberfahrt des Mega- penthes der Zug, daß die beiden Kinder, die auch auf Charons Kahne Platz gesunden, unbekümmert um ihre Umgebung, ohne Ahnung der kommenden Schrecknisse heiter in den Strom gucken und mit den Wellen spielen. Und so kann man Bild für Bild und auf jedem Bilde Gruppe für Gruppe be¬ trachten und wird stets Gebilden der lauteren Schönheit gegenüberstehen. Als Kind des achtzehnten Jahrhunderts offenbart sich Carstens am meisten in dem Traumorakel des Amphiaraos. Das Motiv besitzt keinen poetischen Reiz, ist sür die bildende Kunst nur undeutlich zu verkörpern, interessirt aber insofern, als es zeigt, wie sehr, jedes Gemüth von den Wirkungen der französischen Revolution erfüllt war. Die Bilder der Freiheit und des Despotismus, die aus den Pforten der Träume emporsteigen, find offenbare Anspielungen auf das politische Drama in Frankreich. Carstens Beispiel blieb zwar nicht ohne Nachfolge. Wir besitzen in Genelli den rechten Erben seiner Phantasie und seines lauteren Schönheitssinnes, wenn auch die poetische Natur bei dem lederen nicht so reich auftritt, und die Anwendung antiker Formen nicht immer das Gepräge innerer Nothwendig¬ keit offenbart. Einen weiteren Raum und ausgedehnteren Umfang gewann schon unter Carstens Zeitgenossen die im Ganzen verwandte Richtung, welche David in Paris angebahnt hatte. An einem reizenden Bilde von Schick: Christus im Schoße der Engel vom Kreuze träumend, bei dem man freilich die trockne Färbung in Gedanken wegwischen muß, bemerkt man den Einfluß von Carstens am deutlichsten. Es ist derselbe Wohllaut der Linien, die gleiche Formenanmuth, die wir hier antreffen. Aber schon an Schlaks großem und mit Recht vielbewundertem Bilde: Apoll unter den Hirten, deutet das Colorit, in der Wirkung schönen Gobelins nahestehend, den Uebergang zur französischen classischen Manier an, welche vollends bei Wächter (durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/14>, abgerufen am 26.07.2024.