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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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hat sicherlich diese Auslösung als Ausgangspunkt einer gewaltigen und un-
ausgleichbaren Principiendifferenz zwischen den gesehgebenden Gewalten Baierns
zu betrachten. Dies besonders, da bekanntlich die königlich baierische Negierung
unter der Leitung des Freiherr" v. d. Pfordten und durch seinen Mund schon
oftmals die bewundernde Aufmerksamkeit Europas dadurch in Anspruch nahm,
daß sie es seit zehn Jahren vermocht hat, ohne rettende Thaten, Oxtroyi-
rungcn u. f. w. zu herrschen, obgleich bekanntlich der Novemberbundesbcschluß
von 1855 den Regierungen für Abänderung der Verfassung keine bestimmten
Grenzen vorzeichnet und dadurch principiell feststellt, daß nicht Negierung und
Stände durch Vereinbarung, wol aber die alleinige Regierungsgewalt zu
Verfassungsänderungen befugt ist. Diesem Princip entsprechend begutachtete
damals laues die bundestägliche Commission und sanctionirte den Bundcs-
bcschluß (bei Gelegenheit der hannoverschen Verfassungsfrage), daß man aus
Untersuchung einzelner ständischen Beschwerden nicht einzugehen brauche, wenn
dieselben dahin gingen, daß eine Regierung mit ihren Verfassungsänderungen
noch hinter die Bundesnormen >vom 23. Aug. 1851 zurückgegangen sei. Da
dieser Grundsatz besteht, so ist es allerdings weit mehr Gnade der Macht¬
haber, als etwa grundgesctzliches Recht, wenn überhaupt eine Negierung der
Verfassung nachkommt und diese nicht mit beliebigen administrativen Verord¬
nungen außer Kraft erklärt. Die baierische Verfnssungsbeharrlichkeit ist sonach
ein, Gnadengeschenk des jetzigen Ministeriums.

Dies hatte die 1849 gewühlte baierische Kammer'sich wol gesagt, ehe
noch jener Buudesbcschluß erschien. Die sogenannte Lerchenfeldschc Majorität
verwahrte sich zwar immer feierlichst dagegen, daß sie die Principien der Re¬
gierung theile, stimmte aber unfehlbar für deren Vorlagen in jedem einzelnen
Fall. Nur beim Landtag 1854--55 stellte sich einige praktische Differenz bei
Gelegenheit eines Wahlgcsetzentwurfs heraus, welcher detaillirte ständische
Gliederungen zu Grundlagen des activen und passiven Wahlrechts machte,
vollberechtigte Staatsbürger wegen ihres Glaubens davon ausschloß, die
Wahlfähigkeit anderer an vexative Voraussetzungen band und dem admini¬
strativen Crmessen vollständige Grenzenlosigkeit seiner Herrschaft zuwenden
wollte. Von da an beginnt die Verstimmung zwischen den gesetzgebenden
Gewalten, und es mag nicht ohne Interesse sein, die letzten parlamentarischen
Jahre Baierns bei der heutigen Veranlassung wenigstens in allgemeinen Um¬
rissen zu recapituliren.

Im Januar 1855 war es, daß der erwähnte Wahlgesetzentwurf zur De¬
batte gestellt wurde. Man kam schon mißgestimmt dazu zusammen. Denn
unmittelbar vorher hatte die Kammer -- es war noch immer jene mit der
ehemals so absolut gefügigen Majorität unter Herrn v. Lerchenfelds Leitung ---
sich des vom betreffenden Ausschuß zur Verwerfung begutachteten Antrags enge-


hat sicherlich diese Auslösung als Ausgangspunkt einer gewaltigen und un-
ausgleichbaren Principiendifferenz zwischen den gesehgebenden Gewalten Baierns
zu betrachten. Dies besonders, da bekanntlich die königlich baierische Negierung
unter der Leitung des Freiherr» v. d. Pfordten und durch seinen Mund schon
oftmals die bewundernde Aufmerksamkeit Europas dadurch in Anspruch nahm,
daß sie es seit zehn Jahren vermocht hat, ohne rettende Thaten, Oxtroyi-
rungcn u. f. w. zu herrschen, obgleich bekanntlich der Novemberbundesbcschluß
von 1855 den Regierungen für Abänderung der Verfassung keine bestimmten
Grenzen vorzeichnet und dadurch principiell feststellt, daß nicht Negierung und
Stände durch Vereinbarung, wol aber die alleinige Regierungsgewalt zu
Verfassungsänderungen befugt ist. Diesem Princip entsprechend begutachtete
damals laues die bundestägliche Commission und sanctionirte den Bundcs-
bcschluß (bei Gelegenheit der hannoverschen Verfassungsfrage), daß man aus
Untersuchung einzelner ständischen Beschwerden nicht einzugehen brauche, wenn
dieselben dahin gingen, daß eine Regierung mit ihren Verfassungsänderungen
noch hinter die Bundesnormen >vom 23. Aug. 1851 zurückgegangen sei. Da
dieser Grundsatz besteht, so ist es allerdings weit mehr Gnade der Macht¬
haber, als etwa grundgesctzliches Recht, wenn überhaupt eine Negierung der
Verfassung nachkommt und diese nicht mit beliebigen administrativen Verord¬
nungen außer Kraft erklärt. Die baierische Verfnssungsbeharrlichkeit ist sonach
ein, Gnadengeschenk des jetzigen Ministeriums.

Dies hatte die 1849 gewühlte baierische Kammer'sich wol gesagt, ehe
noch jener Buudesbcschluß erschien. Die sogenannte Lerchenfeldschc Majorität
verwahrte sich zwar immer feierlichst dagegen, daß sie die Principien der Re¬
gierung theile, stimmte aber unfehlbar für deren Vorlagen in jedem einzelnen
Fall. Nur beim Landtag 1854—55 stellte sich einige praktische Differenz bei
Gelegenheit eines Wahlgcsetzentwurfs heraus, welcher detaillirte ständische
Gliederungen zu Grundlagen des activen und passiven Wahlrechts machte,
vollberechtigte Staatsbürger wegen ihres Glaubens davon ausschloß, die
Wahlfähigkeit anderer an vexative Voraussetzungen band und dem admini¬
strativen Crmessen vollständige Grenzenlosigkeit seiner Herrschaft zuwenden
wollte. Von da an beginnt die Verstimmung zwischen den gesetzgebenden
Gewalten, und es mag nicht ohne Interesse sein, die letzten parlamentarischen
Jahre Baierns bei der heutigen Veranlassung wenigstens in allgemeinen Um¬
rissen zu recapituliren.

Im Januar 1855 war es, daß der erwähnte Wahlgesetzentwurf zur De¬
batte gestellt wurde. Man kam schon mißgestimmt dazu zusammen. Denn
unmittelbar vorher hatte die Kammer — es war noch immer jene mit der
ehemals so absolut gefügigen Majorität unter Herrn v. Lerchenfelds Leitung —-
sich des vom betreffenden Ausschuß zur Verwerfung begutachteten Antrags enge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/130>, abgerufen am 04.11.2024.