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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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düsseldorfer Meister sind ungenügend vertreten. A. Achenbachs Hochflut bei
Ostende offenbart uns die energische Kraft des Meisters, der das tobende Ele¬
ment mit klarem und festem Auge überblickt, seine Ansicht von Carleone be¬
weist seine große technische Gewandtheit, die anschaulichen Belege für seine
merkwürdige Vielseitigkeit fehlen jedoch, und ebenso wird man durch die vier
ausgestellten Landschaften über das Eigenthümliche seiner Naturanschauung
und seiner vielfach nachgeahmten Malweise schlecht unterrichtet. Auch sein
Bruder, Oswald Ueberhand ist besser, als ihn die drei in München vorhandenen
Bilder erscheinen lassen. Daß Flaum und Kalkreuth gänzlich fehlen, wird
zwar bei dem minder ausgedehntem Ruhm der beiden Künstler in weiteren
Kreisen nicht ausfallen, doch bleibt die Abwesenheit besonders des ersteren bei
seiner seltenen malerischen Begabung und seinem frischen Blick für die Schönheit
der italienischen Natur immerhin bedauerlich. Oswald Ueberhand und Flaum
bilden glücklicherweise nicht die einzige, wol aber eine der glänzendsten Aus¬
nahmen von dem herrschenden Wahne Coloritwirkungen lassen sich nur durch
schreiende Lichteffecte erzielen. Die glänze Palette über die Leinwand zu schmie¬
ren, ist nicht, wie viele meinen, der Anfang, sondern das Ende der künst¬
lerischen Weisheit, auch das Augenblendcn keineswegs das Ziel der Land¬
schaftsmalerei. Wir begreifen vollkommen den Ursprung dieser Manier. Es
galt, den Reiz der landschaftlichen Schilderung durch das stoffliche Interesse,
das sich an die gewählten Motive knüpft, zu erhöhen. Unser Sinn schweift
gern in das Weite, unsere Empfänglichkeit umfaßt weitere Kreise, unser Ver¬
ständniß erstreckt sich auf eine kaum mehr begrcnzbare Welt von Erscheinungs-
' formen. Die Landschaftsmalern wollte nicht hinter der Bildung unserer Zeit
zurückbleiben und that recht daran. Wenn wir aber auch im Allgemei¬
nen zugeben, daß dem Beschauer zumeist erst das stoffliche Interesse den Weg
zum Verständniß der künstlerischen Form bahnt, und die Ueberzeugung hegen,
daß der schaffende Künstler selbst für das gegenständlich Gleichgültige die volle
Begeisterung nicht bereithalten kann und diese Gleichgiltigkeit auch in der
Formengebung sich offenbaren muß: so verlangen wir doch von ihm, daß er
sich von dem stofflichen Interesse nicht gefangennehmen läßt, vielmehr über
dasselbe hinaus zum Begreifen und zur Bewältigung der malerischen Formen
gelangt. Im Angesicht der zahllosen Schilderungen seltsamer Naturphänomene
und frappanter Lichterscheinungen können wir uns in der Regel des Glaubens
nicht erwehren, als hätte auch den Maler die bloße Neugierde an das Motiv
gefesselt und erwarten in jedem Augenblick den langen Stab des Erklärers
vor unsern Augen schwingen zu sehen, der uns auf die Raritäten aufmerksam
macht. Nicht das eine oder das andere Individuum, nicht diese oder jene
Schule trägt die Schuld davon. Grade die große Gunst, welche diese Rich¬
tung genießt, lockt zu Uebertreibungen und laßt die letztern allenthalben erstehen.




düsseldorfer Meister sind ungenügend vertreten. A. Achenbachs Hochflut bei
Ostende offenbart uns die energische Kraft des Meisters, der das tobende Ele¬
ment mit klarem und festem Auge überblickt, seine Ansicht von Carleone be¬
weist seine große technische Gewandtheit, die anschaulichen Belege für seine
merkwürdige Vielseitigkeit fehlen jedoch, und ebenso wird man durch die vier
ausgestellten Landschaften über das Eigenthümliche seiner Naturanschauung
und seiner vielfach nachgeahmten Malweise schlecht unterrichtet. Auch sein
Bruder, Oswald Ueberhand ist besser, als ihn die drei in München vorhandenen
Bilder erscheinen lassen. Daß Flaum und Kalkreuth gänzlich fehlen, wird
zwar bei dem minder ausgedehntem Ruhm der beiden Künstler in weiteren
Kreisen nicht ausfallen, doch bleibt die Abwesenheit besonders des ersteren bei
seiner seltenen malerischen Begabung und seinem frischen Blick für die Schönheit
der italienischen Natur immerhin bedauerlich. Oswald Ueberhand und Flaum
bilden glücklicherweise nicht die einzige, wol aber eine der glänzendsten Aus¬
nahmen von dem herrschenden Wahne Coloritwirkungen lassen sich nur durch
schreiende Lichteffecte erzielen. Die glänze Palette über die Leinwand zu schmie¬
ren, ist nicht, wie viele meinen, der Anfang, sondern das Ende der künst¬
lerischen Weisheit, auch das Augenblendcn keineswegs das Ziel der Land¬
schaftsmalerei. Wir begreifen vollkommen den Ursprung dieser Manier. Es
galt, den Reiz der landschaftlichen Schilderung durch das stoffliche Interesse,
das sich an die gewählten Motive knüpft, zu erhöhen. Unser Sinn schweift
gern in das Weite, unsere Empfänglichkeit umfaßt weitere Kreise, unser Ver¬
ständniß erstreckt sich auf eine kaum mehr begrcnzbare Welt von Erscheinungs-
' formen. Die Landschaftsmalern wollte nicht hinter der Bildung unserer Zeit
zurückbleiben und that recht daran. Wenn wir aber auch im Allgemei¬
nen zugeben, daß dem Beschauer zumeist erst das stoffliche Interesse den Weg
zum Verständniß der künstlerischen Form bahnt, und die Ueberzeugung hegen,
daß der schaffende Künstler selbst für das gegenständlich Gleichgültige die volle
Begeisterung nicht bereithalten kann und diese Gleichgiltigkeit auch in der
Formengebung sich offenbaren muß: so verlangen wir doch von ihm, daß er
sich von dem stofflichen Interesse nicht gefangennehmen läßt, vielmehr über
dasselbe hinaus zum Begreifen und zur Bewältigung der malerischen Formen
gelangt. Im Angesicht der zahllosen Schilderungen seltsamer Naturphänomene
und frappanter Lichterscheinungen können wir uns in der Regel des Glaubens
nicht erwehren, als hätte auch den Maler die bloße Neugierde an das Motiv
gefesselt und erwarten in jedem Augenblick den langen Stab des Erklärers
vor unsern Augen schwingen zu sehen, der uns auf die Raritäten aufmerksam
macht. Nicht das eine oder das andere Individuum, nicht diese oder jene
Schule trägt die Schuld davon. Grade die große Gunst, welche diese Rich¬
tung genießt, lockt zu Uebertreibungen und laßt die letztern allenthalben erstehen.




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[0126] düsseldorfer Meister sind ungenügend vertreten. A. Achenbachs Hochflut bei Ostende offenbart uns die energische Kraft des Meisters, der das tobende Ele¬ ment mit klarem und festem Auge überblickt, seine Ansicht von Carleone be¬ weist seine große technische Gewandtheit, die anschaulichen Belege für seine merkwürdige Vielseitigkeit fehlen jedoch, und ebenso wird man durch die vier ausgestellten Landschaften über das Eigenthümliche seiner Naturanschauung und seiner vielfach nachgeahmten Malweise schlecht unterrichtet. Auch sein Bruder, Oswald Ueberhand ist besser, als ihn die drei in München vorhandenen Bilder erscheinen lassen. Daß Flaum und Kalkreuth gänzlich fehlen, wird zwar bei dem minder ausgedehntem Ruhm der beiden Künstler in weiteren Kreisen nicht ausfallen, doch bleibt die Abwesenheit besonders des ersteren bei seiner seltenen malerischen Begabung und seinem frischen Blick für die Schönheit der italienischen Natur immerhin bedauerlich. Oswald Ueberhand und Flaum bilden glücklicherweise nicht die einzige, wol aber eine der glänzendsten Aus¬ nahmen von dem herrschenden Wahne Coloritwirkungen lassen sich nur durch schreiende Lichteffecte erzielen. Die glänze Palette über die Leinwand zu schmie¬ ren, ist nicht, wie viele meinen, der Anfang, sondern das Ende der künst¬ lerischen Weisheit, auch das Augenblendcn keineswegs das Ziel der Land¬ schaftsmalerei. Wir begreifen vollkommen den Ursprung dieser Manier. Es galt, den Reiz der landschaftlichen Schilderung durch das stoffliche Interesse, das sich an die gewählten Motive knüpft, zu erhöhen. Unser Sinn schweift gern in das Weite, unsere Empfänglichkeit umfaßt weitere Kreise, unser Ver¬ ständniß erstreckt sich auf eine kaum mehr begrcnzbare Welt von Erscheinungs- ' formen. Die Landschaftsmalern wollte nicht hinter der Bildung unserer Zeit zurückbleiben und that recht daran. Wenn wir aber auch im Allgemei¬ nen zugeben, daß dem Beschauer zumeist erst das stoffliche Interesse den Weg zum Verständniß der künstlerischen Form bahnt, und die Ueberzeugung hegen, daß der schaffende Künstler selbst für das gegenständlich Gleichgültige die volle Begeisterung nicht bereithalten kann und diese Gleichgiltigkeit auch in der Formengebung sich offenbaren muß: so verlangen wir doch von ihm, daß er sich von dem stofflichen Interesse nicht gefangennehmen läßt, vielmehr über dasselbe hinaus zum Begreifen und zur Bewältigung der malerischen Formen gelangt. Im Angesicht der zahllosen Schilderungen seltsamer Naturphänomene und frappanter Lichterscheinungen können wir uns in der Regel des Glaubens nicht erwehren, als hätte auch den Maler die bloße Neugierde an das Motiv gefesselt und erwarten in jedem Augenblick den langen Stab des Erklärers vor unsern Augen schwingen zu sehen, der uns auf die Raritäten aufmerksam macht. Nicht das eine oder das andere Individuum, nicht diese oder jene Schule trägt die Schuld davon. Grade die große Gunst, welche diese Rich¬ tung genießt, lockt zu Uebertreibungen und laßt die letztern allenthalben erstehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/126>, abgerufen am 26.07.2024.